Ärztinnen der ersten Generation: Else Weil

Im Jahr 2024 folgen wir den Spuren von zwölf teils bekannten, teils berühmten Ärztinnen „der ersten Generation“. Dazu begeben wir uns an Orte in Berlin, an denen die Frauen gelebt und gewirkt haben. Im Mittelpunkt der Exkursion im Oktober steht Else Weil.

Ärztinnen der ersten Generation

Else Weil (1889–1942)

Else Weil wurde am 19. Juni 1889 als erstes Kind einer bürgerlichen jüdischen Familie in Berlin geboren. Ihre Mutter Franziska Weil war Lehrerin, während ihr Vater Siegmund Weil als erfolgreicher Kaufmann tätig war. Im Jahr 1894 kam Else Weils Schwester Irma Roy zur Welt, die jedoch bereits im Alter von vier Jahren an Wundfieber starb. Ein Jahr nach dem tragischen Tod der Schwester wurde Bruder Kurt als drittes und letztes Kind der Familie geboren. Die gutbürgerlichen Verhältnisse der Familie und die liberale Grundhaltung der Eltern ermöglichten Else Weil den Besuch der Höheren Mädchenschule. Durch diese gute Vorbildung konnte sie am 15. März 1910 als eine von wenigen weiblichen Schülern an der Hohenzollernschule in Berlin-Schöneberg erfolgreich ihr Abitur ablegen.

Else Weil, ca. 1905

Else Weil, ca. 1905

Akademische Laufbahn und Beziehung mit Kurt Tucholsky

Im selben Jahr schrieb sich Weil an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für Philosophie ein, wechselte aber im April 1911 an die Medizinische Fakultät. Im Oktober 1916 legte sie ihr Staatsexamen ab und zwei Jahre später folgte ihre bei dem Charité-Neurologen Karl Bonhoeffer angefertigte Dissertation mit dem Titel „Beitrag zur Kasuistik des induzierten Irreseins“.

Doch nicht nur ihre akademische Karriere war zu dieser Zeit für Weil von Bedeutung. Während der Semesterferien im Sommer 1911 unternahm Weil Ausflüge in die Umgebung von Berlin und Brandenburg. Dort lernte sie den Journalisten und Schriftsteller Kurt Tucholsky kennen. Die beiden führten eine Liebesbeziehung und heirateten im Mai 1920. Die Erlebnisse dieser gemeinsamen Zeit verarbeitete Tucholsky 1912 in seinem literarischen Erstlingswerk „Rheinsberg: Ein Bilderbuch für Verliebte“. Seine Frau, Else Weil-Tucholsky, arbeitete nach Abschluss ihres Medizinstudiums drei Jahre lang als Assistenzärztin an der Medizinischen Klinik der Charité. Als Weil 1920 ihre kassenärztliche Zulassung erhielt, eröffnete sie ihre erste Praxis in der gemeinsam mit Tucholsky bewohnten Wohnung in der Berliner Kaiserallee 79 (heute Bundesallee).

Wirtschaftskrise und Massenarmut

Die finanzielle Situation der Berliner Kassenärztinnen und -ärzte war in den 1920er-Jahren jedoch keineswegs günstig. Weil beschrieb die Lage in der Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“ wie folgt: „Die wirtschaftlichen Anstellungsbedingungen für die Kassenärzte lassen die zwei Möglichkeiten zu: entweder er untersucht und behandelt seine Patienten gründlich und gewissenhaft und verhungert dabei; oder er läßt es die Masse machen und erledigt einen großen Schub Patienten oberflächlich und fabrikmäßig.“ Die zunehmende Massenarmut durch eine immer prekärer werdende Weltwirtschaftssituation hinderte die Bevölkerung im Laufe der Jahre zudem daran, Ärztinnen und Ärzte aufzusuchen. Sie konnten sich die Konsultationen und Medikamente einfach nicht mehr leisten.

Die Ehe mit Kurt Tucholsky endete bereits 1924. Weil dazu später: „Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden.“ Zudem spitzte sich ihre wirtschaftliche Situation bis 1926 so zu, dass sie ihre Praxis aufgeben und zurück in die elterliche Wohnung ziehen musste.

Immer auf dem Laufenden bleiben. Melden Sie sich hier für unseren Newsletter an.

Ein Opfer des Nationalsozialismus

Ab 1926 ist Else Weils Biografie lückenhaft und nur teilweise rekonstruierbar. Belegt ist jedoch, dass sie bis zum Entzug ihrer kassenärztlichen Zulassung durch das Naziregime im Jahr 1933 als Medizinerin tätig war. Danach verdiente sie ihren Lebensunterhalt zunächst als Privatsekretärin und später als Stenotypistin und Kindermädchen. Als am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Bebelplatz unter anderem die Bücher Tucholskys öffentlich verbrannt wurden, nahm sie aus Angst vor Verfolgung wieder ihren Mädchennamen an. Else Weils jüdische Herkunft und ihre direkte Verbindung zu Kurt Tucholsky führten schließlich Ende September 1938 zum Entzug ihrer Approbation durch die Nationalsozialisten und markierten den Beginn einer Tragödie.

Diese begann noch im selben Jahr mit Weils vierjähriger Flucht, die sie in die Niederlande und nach Frankreich führte und 1942 mit ihrer Verschleppung nach Les Milles endete. Von dort aus wurde sie am 2. September 1942 nach Drancy gebracht. Wenige Tage später verließ der 30. Transport mit ihr und 1.000 anderen Deportierten Drancy mit dem Ziel Auschwitz-Birkenau. Else Weil wurde am 11. September 1942 zusammen mit 709 jüdischen Frauen, Kindern und Männern unmittelbar nach ihrer Ankunft in einer der Gaskammern des Vernichtungslagers ermordet.

Zum Gedenken an Else Weil wurde am 27. September 2014 ein Stolperstein an ihrer ehemaligen Berliner Wohn- und Praxisadresse in der heutigen Bundesallee 79 verlegt. In Rheinsberg erinnert im Rahmen der Initiative FrauenOrte Brandenburg eine Gedenktafel an Else Weil.

Stolperstein für Else Weil

Der Stolperstein für Else Weil wurde am 27. August 2014 vor dem Haus in der Bundesallee 79 in Berlin-Friedenau verlegt.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Wir freuen uns über Ihr Feedback!

Ja
Nein

Vielen Dank!

Zur Ärztekammer Berlin