Ärztinnen der ersten Generation: Rhoda Erdmann

Im Jahr 2024 folgen wir den Spuren von zwölf bekannten Ärztinnen „der ersten Generation“. Dazu begeben wir uns an Orte in Berlin, an denen die Frauen gelebt und gewirkt haben. Im Mittelpunkt der Exkursion im Juli steht Rhoda Erdmann (1870–1935).

Ärztinnen der ersten Generation

Rhoda Erdmann (1870–1935)

Obwohl Rhoda Erdmann keine Ärztin war, zählt sie als Mitbegründerin der experimentellen Zellbiologie zu den weiblichen Pionieren der Medizin in Deutschland. In Berlin forschte sie am Robert Koch-Institut und der Charité. In der jungen Weimarer Republik gehörte Erdmann zu den ersten Frauen, die sich habilitieren konnten.

Familiäre Herkunft und der lange Weg zum Studium

Erdmann wurde am 5. Dezember 1870 im hessischen Hersfeld geboren. Sie wuchs allerdings in Hamburg auf, wohin die Familie Anfang der 1870er-Jahre umgezogen war. Ihr Vater war promovierter Oberlehrer. Die Mutter starb, als Rhoda zwölf Jahre alt war. Als älteste Tochter musste sie sich fortan um ihre jüngeren Geschwister kümmern. Der väterliche Hausunterricht bereitete die Kinder auf die Schule vor. Nachdem Erdmann die höhere Töchterschule absolviert hatte, besuchte sie ein Lehrerinnenseminar und legte das Examen für höhere und mittlere Mädchenschulen ab.

Die Möglichkeit für Mädchen bzw. junge Frauen, das Abitur zu machen und ein reguläres Studium an einer Universität aufzunehmen, bestand seinerzeit noch nicht. So reiste Erdmann viel und unterrichtete teilweise auch im Ausland, bevor sie doch den Entschluss fasste, das Oberlehrerinnen-Examen nachzuholen. Hierfür erhielten Frauen ausnahmsweise und in speziellen Kursen den Zugang zu Hochschulen. Von 1903 bis 1905 studierte Erdmann an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Naturwissenschaften. Daraufhin wechselte sie zunächst nach Zürich, später nach München. In Kassel konnte sie dann 1907 das Abitur nachholen, ehe sie im Jahr 1908 mit einer Dissertation über die Zellstruktur von Seeigeleiern bei dem Zoologen Richard Hertwig in München zum Dr. phil. promoviert wurde. Im darauffolgenden Jahr schloss Erdmann ihr Studium als Oberlehrerin in Zoologie, Botanik, Mathematik und Physik ab.

Vom Kochschen Institut für Infektionskrankheiten an die Yale University

Doch statt wieder in den Schuldienst einzutreten, entschied sich Erdmann für eine wissenschaftliche Laufbahn. Durch die Vermittlung ihres Doktorvaters Hertwig erhielt sie 1909 eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin an dem 1891 für Robert Koch gegründeten Königlich Preußischen Institut für Infektionskrankheiten in Berlin. Hier war sie in der Arbeitsgruppe des Zoologen Max Hartmann tätig und veröffentlichte erste Arbeiten in einschlägigen Fachzeitschriften.

Im Jahr 1913 erhielt Erdmann ein Stipendium, um am Osborn Zoological Laboratory der Yale University in New Haven (Connecticut) zu forschen. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges blieb sie mehrere Jahre in Yale. Zudem wurde sie 1915 Associate Researcher am Rockefeller Institute for Medical Research in Princeton. Nach dem Kriegseintritt der USA geriet Erdmann jedoch als „feindliche Ausländerin“ in den Verdacht der biologischen Kriegsführung und wurde mehrere Monate inhaftiert, bevor sie schließlich im Frühjahr 1919 nach Deutschland zurückkehren konnte.

Aufbau der experimentellen Zellforschung an der Charité

In Berlin gründete Erdmann mit Unterstützung des Pathologen und Virchow-Nachfolgers Johannes Orth an der Charité eine eigene Abteilung für experimentelle Zellforschung, die jedoch dem Institut für Krebsforschung angegliedert wurde und über keine nennenswerte Ausstattung verfügte. Als eine der ersten Frauen in Deutschland habilitierte sich Erdmann ein Jahr später, im August 1920, im Fach Protozoologie an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität. In der Folge erhielt sie einen Lehrauftrag für experimentelle Zellforschung und 1922 publizierte sie das erste deutschsprachige Lehrbuch zur Gewebezüchtung für die Krebsforschung. Nach ihrer Umhabilitierung an die Medizinische Fakultät wurde sie zwei Jahre später zur nichtbeamteten außerordentlichen Professorin und weitere vier Jahre später schließlich zur außerordentlichen beamteten Professorin an der Medizinischen Fakultät ernannt. Zum 1. April 1930 wurde ihre Abteilung am Institut für Krebsforschung in ein selbstständiges Universitätsinstitut für experimentelle Zellforschung überführt. Erdmann war Mitglied der Berliner Medizinischen Gesellschaft und 1925 Gründerin sowie erste Vorsitzende des Verbands Deutscher Hochschuldozentinnen.

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Denunziation und Entlassung – Tod 1935

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Professorin denunziert und vorübergehend verhaftet. Der Vorwurf: Sie sei Jüdin bzw. habe jüdische Kolleg:innen unterstützt und ihnen bei der Flucht ins Ausland geholfen. Obgleich sie ihre nichtjüdische Herkunft nachweisen konnte, wurde sie aus dem Universitätsdienst entlassen. Ihre Vorlesungen durfte Erdmann „aus prinzipiellen Gründen“ nicht mehr halten. Nachdem sie Einspruch gegen ihre Entlassung eingelegt hatte, wurde sie zum 24. November 1933 offiziell in den Ruhestand versetzt.

Rhoda Erdmann starb im Alter von 64 Jahren am 23. August 1935 in ihrer Wilmersdorfer Wohnung in der Nassauischen Straße 17, in der sie seit 1920 gelebt hatte. Laut amtlicher Sterbeurkunde wurde ihr Tod den Behörden durch den jüdischen Arzt Salo Drucker gemeldet, der 1940 im KZ Sachsenhausen ermordet wurde.

Orte der Erinnerung in Berlin

Inzwischen wird in Berlin auf unterschiedliche Weise an Rhoda Erdmann erinnert. Bereits 1997 wurde an der FU Berlin das Rhoda-Erdmann-Programm ins Leben gerufen – ein Weiterbildungsangebot speziell für Nachwuchswissenschaftlerinnen. Im Jahr 2012 erhielt eine Grünanlage am Koenigssee in Grunewald den Namen „Rhoda-Erdmann-Park“. Unweit des historischen Campus Charité Mitte wurde 2016 das architektonisch auffällige Rhoda-Erdmann-Haus eröffnet, das seither das Institut für Biologie der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin beherbergt. In die Labore zogen Molekular- und Zellbiolog:innen ein. Eine von der Berliner Künstlerin Anna Franziska Schwarzbach geschaffene Büste steht seit 2017 in der Eingangshalle des Rhoda-Erdmann-Hauses.

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