Ärztinnen der ersten Generation: Rahel Hirsch

Im Jahr 2024 folgen wir den Spuren von zwölf bekannten Ärztinnen „der ersten Generation“. Dazu begeben wir uns an Orte in Berlin, an denen die Frauen gelebt und gewirkt haben. Im Mittelpunkt der Exkursion im Juni steht Rahel Hirsch (1870–1953).

Ärztinnen der ersten Generation

Rahel Hirsch (1870–1953)

Rahel Hirsch zählt zu den weiblichen Pionieren der Medizin in Deutschland. In Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen wurde ihr 1913 als erster Ärztin das Prädikat Professor verliehen. Als Jüdin durch die Politik der Nationalsozialisten zunehmend gefährdet, floh sie 1938 nach England, wo sie bis zu ihrem Tod 1953 lebte.

Familie und Studium

Hirsch stammte aus einer angesehenen jüdischen Familie. Sie wurde am 15. September 1870 in Frankfurt am Main geboren. Ihr Vater Mendel Hirsch unterrichtete an der von seinem Vater Samson Raphael Hirsch, einem führenden Vertreter des Neo-Orthodoxen Judentums, in Frankfurt gegründeten Real- und höheren Töchterschule der Israelitischen Religionsgesellschaft. Nach dem Abschluss ihrer Schulausbildung arbeitete Hirsch zunächst ebenfalls als Lehrerin, denn Frauen war es Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland noch nicht möglich, Medizin zu studieren.

Um sich ihren Wunsch, Ärztin zu werden, erfüllen zu können, immatrikulierte sie sich 1898 an der Universität Zürich. Es folgten Stationen in Straßburg und Leipzig, bevor Hirsch ihr Studium 1903 in Straßburg abschließen konnte. Ihre Doktorarbeit trug den Titel „Ein Beitrag zur Lehre von der Glykolyse“.

Als Frau unter Männern

Im Oktober 1903 kam die junge Ärztin nach Berlin und erhielt eine Stelle an der von Friedrich Kraus geleiteten II. Medizinischen Klinik der Charité. Damit war sie die zweite Ärztin in der Geschichte der Charité. Im Jahr 1908 übertrug ihr Kraus die Leitung der Poliklinik der II. Medizinischen Klinik, die sie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs innehatte.

Hirsch forschte zu unterschiedlichen Themen der Inneren Medizin und veröffentlichte ihre Ergebnisse regelmäßig in Fachzeitschriften und Büchern. Sie war Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und der Berliner Medizinischen Gesellschaft. Ihre frühen Untersuchungen zur Durchlässigkeit der Darmschleimhaut für großkorpuskuläre Partikel und deren renale Elimination stießen zunächst auf Ablehnung und Unverständnis: Es dauerte über ein halbes Jahrhundert, bis die von ihr entdeckten Phänomene als „Hirsch-Effekt“ Eingang in die Fachliteratur fanden.

Auf ihre Weise engagierte sich Hirsch auch für die Belange der Frauenbewegung. Sie schrieb über den gesundheitlichen Nutzen verschiedener Sportarten für Frauen und veröffentlichte 1913 die Schrift „Körperkultur der Frau“. Zudem kämpfte sie leidenschaftlich für mehr körperliche Ertüchtigung von Mädchen und für Reformkleidung, ganz besonders für die Abschaffung des Korsetts.

In Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen wurde ihr 1913 als erster Ärztin und als dritter Frau in Deutschland der Titel „Professor“ verliehen. Die Lehrbefugnis oder ein Lehrstuhl waren mit dieser Titularprofessur allerdings nicht verbunden und auch keine finanzielle Besserstellung. Tatsächlich hatte Hirsch an der Charité anfangs ohne jedes Gehalt gearbeitet; später erhielt sie für kurze Zeit eine geringe sogenannte Remuneration.

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Praxistätigkeit und Emigration

Im Jahr 1919 verließ Hirsch die Charité und eröffnete am Kurfürstendamm eine eigene Praxis. Für die Diagnostik und Behandlung ihrer vorwiegend internistischen Patient:innen verfügte Hirsch über eine moderne Praxisausstattung – einschließlich eines Röntgenapparates. Nach Beginn der NS-Diktatur wurde ihr 1934 die Kassenzulassung entzogen. Dennoch blieb sie zunächst in Berlin und war weiterhin ärztlich tätig. Im Oktober 1938, kurz nachdem allen jüdischen Ärzt:innen die Approbation entzogen worden war, entschied sie sich zur Emigration und floh nach England, wo zwei ihrer Schwestern lebten.

Ihren Beruf konnte Hirsch dort nicht ausüben, da sie dafür die Examina hätte wiederholen müssen. Stattdessen hielt sie sich als Laborassistentin und Übersetzerin finanziell über Wasser. Von Depressionen und Verfolgungsängsten geplagt, verbrachte Hirsch ihre letzten Lebensjahre in einer Londoner Nervenheilanstalt und starb am 6. Oktober 1953 im Alter von 83 Jahren.

Zahlreiche Erinnerungsorte in Berlin

Auf Initiative zweier junger Ärztinnen wurde 1995 auf dem Gelände der Charité – Universitätsmedizin Berlin eine Bronzeplastik für Rahel Hirsch aufgestellt. Seit 2019 hängt ein Ölporträt von ihr im repräsentativen Friedrich-Althoff-Saal der Charité – eine Ehre, die bis dato ausschließlich Männern zuteilwurde.

Auf dem Campus Charité Mitte gibt es einen nach ihr benannten Kindergarten und den Rahel-Hirsch-Weg, und am Berliner Hauptbahnhof wurde 2006 eine Straße nach ihr benannt. Außerdem wurde an dem Haus Kurfürstendamm 220, das sich heute dort befindet, wo Rahel Hirsch viele Jahre gelebt und praktiziert hat, im Jahr 2016 eine Berliner Gedenktafel angebracht. In Hellersdorf trägt das Oberstufenzentrum mit dem Schwerpunkt „Medizin und Gesundheit“ den Namen Rahel-Hirsch-Schule.

Schließlich nahm im Januar 2023 neben dem Bettenhochhaus der Charité ein gemeinsames Ambulanz-, Translations- und Innovationszentrum von Charité und Berlin Institute of Health den Betrieb auf. Es erhielt den Namen „Rahel Hirsch Centre for Translational Medicine“.

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