Ärztinnen der ersten Generation: Emilie Lehmus

Im Jahr 2024 folgen wir den Spuren von zwölf bekannten Ärztinnen „der ersten Generation“. Dazu begeben wir uns an Orte in Berlin, an denen die Frauen gelebt und gewirkt haben. Im Mittelpunkt der Exkursion im Februar steht Emilie Lehmus (1841–1932).

Ärztinnen der ersten Generation

Die erste deutsche Medizinstudentin an der Universität Zürich und die erste niedergelassene Ärztin des Deutschen Kaiserreichs

Familiäre Herkunft

Emilie Lehmus kam am 30. August 1841 in Fürth als dritte Tochter von Friedrich Lehmus, einem Oberpfarrer und späteren Kirchenrat, und seiner Ehefrau Caroline zur Welt. Der hoch angesehene und sozialpolitisch engagierte Vater leitete die Ausbildung seiner insgesamt sechs Töchter selbst und förderte sie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Der rege geistige Austausch und das hohe Maß an gesellschaftlichem Engagement der Familie Lehmus prägten die junge Emilie.

Nach Vollendung der Ausbildung bei ihrem Vater legte sie im Herbst 1863 in Schwabach eine Prüfung an einem Lehrerinnenseminar ab, mit bemerkenswert guten Leistungen in Gesang und Klavierspiel. Im Anschluss an eine Reise nach Paris, die ihre Ausbildung in Französisch vervollständigen sollte, kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück und arbeitete dort bis 1870 als Lehrerin für Französisch und Musik.

Studium in Zürich

Die Quelle ihrer Inspiration zum Medizinstudium fand Emilie Lehmus in der ersten approbierten Zahnärztin Deutschlands, Henriette Hirschfeld-Tiburtius, deren Leben und Wirken im Januar in dieser Artikelserie thematisiert wurde. Die beiden Frauen trafen sich Ostern 1870 bei einer „Spreewaldwasserfahrt“ in Berlin, als Lehmus ihre dort ansässige Schwester besuchte. Der Vater billigte den Wunsch seiner Tochter, Medizin zu studieren, nicht nur, vielmehr ließ er ihn durch seine Unterstützung in Form von vorbereitendem Lateinunterricht erst möglich werden. Bereits ein halbes Jahr später konnte sich Lehmus als erste deutsche Studentin an der Universität Zürich in Medizin einschreiben. Ein Jahr später folgte ihr ihre spätere Freundin und Schwägerin von Henriette Hirschfeld-Tiburtius, Franziska Tiburtius. Eine Freundschaft, die ein ganzes Leben halten sollte und die die beiden Frauen sowohl privat als auch beruflich eng miteinander verband.

Die Universität Zürich war zu diesem Zeitpunkt faktisch die einzige Fakultät in Europa, die Frauen das Studium der Medizin ermöglichte. Diese Pionierrolle war weniger das Resultat einer progressiven Einstellung der verantwortlichen Amtsinhaber als vielmehr das Ergebnis eines schleichenden Prozesses. An der Universität Zürich wurden bereits kurz nach deren Gründung Frauen als Hörerinnen an einzelnen Fakultäten toleriert, ab 1864 auch an der medizinischen Fakultät. Da es durch die weiblichen Studierenden zu keinen Störungen kam und das Universitätsgesetz für die Immatrikulationen keine Unterscheidung weiblicher und männlicher Studierender vorsah, wurde Frauen mehr oder weniger gleichgültig die Möglichkeit auf reguläre Immatrikulation gewährt.

Nach neun Semestern bestand Lehmus das Medizinexamen mit Auszeichnung. Am 27. Februar 1875 promovierte sie bei dem Ophthalmologen Johann Friedrich Horner zum Thema „Die Erkrankungen der Macula lutea bei progressiver Myopie“. Sie bestand mit summa cum laude.

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Praktika in Prag und Dresden

Zu dieser Zeit war es für Absolventinnen eines Medizinstudiums ausgesprochen schwierig, einen Praktikumsplatz in einer Klinik zu erhalten. Lediglich zwei Einrichtungen waren in Europa bekannt, die bereit waren, auch Frauen auszubilden: eine Entbindungsanstalt in Prag und ein Entbindungsinstitut, verbunden mit einer gynäkologischen Klinik, unter der Leitung von Hofrat Franz von Winckel in Dresden.

Lehmus ging zunächst nach Prag, allerdings wurde dort kurze Zeit später Frauen der Zugang zur medizinischen Klinik und zu den Vorlesungen untersagt. So kam es, dass Lehmus ihre Praktikumszeit gemeinsam mit ihrer Freundin Franziska Tiburtius in Dresden, betreut von Franz von Winckel absolvierte. In der Debatte um die gesetzliche Verankerung des Frauenstudiums äußerte sich dieser 1890 basierend auf seinen Erfahrungen in der Ausbildung zahlreicher Ärztinnen als deren Fürsprecher.

Der Kampf um die ärztliche Zulassung

Im Jahr 1876 ließ sich Lehmus als „Arzt für Frauen und Kinder“ in einer Privatpraxis in Berlin nieder, kurz darauf folgte ihre Freundin und Kollegin Franziska Tiburtius. Doch das Führen der Berufsbezeichnung „Arzt“ war an das deutsche Staatsexamen geknüpft und ihre Versuche, zum deutschen Staatsexamen zugelassen zu werden, scheiterten.

Die letzte Möglichkeit, die sich den beiden bot, war es, eine Praxis nach dem „Kurpfuschergesetz“, das praktische Heilberufe unter das Gewerbegesetz stellte, zu eröffnen. Das Praxisschild „Dr. med.“ mussten sie in „Dr. med. der Universität Zürich“ ändern, als sie 1877 gemeinsam ihre „Poliklinik weiblicher Ärzte für Frauen und Kinder“ eröffneten, in der sie offiziell als „Heilpraktiker“ und „Bader“ praktizierten.

Die Poliklinik weiblicher Ärzte in Berlin

Die Räumlichkeiten in der Alten Schönhauser Allee 23/24 wurden ihnen von Brauerei- und Hausbesitzer Julius Bötzow kostenfrei zur Verfügung gestellt. Anders als von der Konkurrenz erwartet und erhofft, erwies sich der Titel „Dr. med. der Universität Zürich“ aufgrund der guten Reputation der Zürcher Universität gewissermaßen als Werbung, er wurde von den Patientinnen als Gütezeichen betrachtet.

Ab 1890 beteiligte sich eine dritte Ärztin in der Poliklinik, Agnes Bluhm, die Emilie Lehmus 1931 anlässlich ihres 90. Geburtstages wie folgt ehrte: „Jedem Herausstellen der eigenen Persönlichkeit in tiefster Seele abhold, mußte sie [Lehmus; Anmerkung der Redaktion] Fremden als die verkörperte Sachlichkeit erscheinen. Wer aber, wie die Schreiberin dieser Zeilen, den Vorzug jahrelanger gemeinsamer Arbeit mit ihr genossen hat, der weiß nicht nur zu schätzen, was sie als Arzt dank ihrer hohen Intelligenz und ihres von starkem Pflichtgefühl getragenen Strebens konnte, sondern auch, was sie menschlich, ärztlich und auch als Kollegin war.”

Nach 25 Jahren Arbeit schied Lehmus im Jahr 1900 mit knapp 60 Jahren nach zweimaliger Influenza-Pneumonie aus ihrer Praxis aus und kehrte in ihre fränkische Heimat zurück.

Am 17. Oktober 1932 starb sie im Alter von 91 Jahren nach kurzer Krankheit in Gräfenberg bei Erlangen.

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