Berliner Ärzte auf den Barrikaden!

Die Revolution der Jahre 1849/49 fand auch unter der Berliner Ärzteschaft viele Fürsprecher und manch einer beteiligte sich sogar aktiv an den Kämpfen.

Gedenktafel an der Tauben-/Ecke Friedrichstraße

Die Gedenktafel an der Tauben-/Ecke Friedrichstraße mit der Überschrift "Für demokratische Tradition und revolutionären Geist" erinnert an die Barrikadenkämpfer, die sich an diesem Ort am 18. März 1848 gegen die Truppen des 2. Königs-Regiments verteidigten.

Die Märzkämpfe in Berlin

Das Wort „barricade“ wurde Anfang des 17. Jahrhunderts aus dem Französischen übernommen, zunächst unter Beibehaltung der Originalschreibweise. Im Zuge der 1848er-Revolution wurde es jedoch populär und stand für eine spontan errichtete provisorische Straßensperre: Nachdem am frühen Nachmittag des 18. März 1848 auf dem Berliner Schloßplatz Soldaten (ein Missverständnis?) zwei Schüsse in die dort versammelte Menschenmenge abgefeuert hatten, eskalierte die Situation. Um das Militär aufzuhalten, wurden allein in der Innenstadt über 70 Barrikaden errichtet. Teile der männlichen Bevölkerung bewaffneten sich. Unter ihnen war auch Rudolf Virchow, der am nächsten Tag an seinen Vater schrieb:

Meine Betheiligung an dem Aufstande war eine relativ unbedeutende. Ich habe einige Barrikaden bauen helfen, dann aber, da ich nur ein Pistol bekommen konnte, nicht wesentlich mehr nützen können, da die Soldaten meist in zu großer Entfernung schossen und ein Handgemenge bei der geringen Zahl der Bürger, wenigstens an meiner Barrikade (Ecke Tauben-/Friedrich­straße) nicht möglich war.

Rudolf Virchow (1821–1902)
Grafik mit dem Konterfei von Rudolf Virchow.

Fünf Medizinstudenten und drei Ärzte

Wie viele Ärzte unter den „Revolutionären“ waren, ist nicht bekannt. An den Straßenkämpfen beteiligten sich hauptsächlich junge Handwerksgesellen, Handwerker und Arbeiter. Etwa ein Drittel von ihnen kam aus anderen Teilen Deutschlands, nur acht waren Ausländer, darunter ein Franzose. Insgesamt wurden 183 Frauen und Männern während der Barrikadenkämpfe durch die preußische Armee getötet. Ihre Beisetzung fand am 22. März auf dem eigens dafür im Friedrichshain geschaffenen Friedhof der Märzgefallenen unter großer Anteilnahme der Berliner Bevölkerung statt. Unter ihnen war kein Mediziner. Aber von den 536 namentlich bekannten Verhafteten, die am 19. März in einem langen Gefangenenzug von Berlin nach Spandau ins Gefängnis gebracht wurden, waren fünf Medizinstudenten und drei Ärzte.

Zentraler Gedenkstein auf dem "Friedhof der Märzgefallenen"

Zum 100. Jahrestag, am 18. März 1948, wurde auf dem "Friedhof der Märzgefallenen" ein Gedenkstein für die Revolutionsopfer 1848/1918 eingeweiht. Auf seiner Rückseite finden sich 29 Namen von Verstorbenen.

Funkenflug und Scheitern der Revolution

Wie 1789, als die Französische Revolution Folgen für ganz Europa hatte, kam auch 1848 der „revolutionäre Funkenflug“ aus Paris. Dort war im Februar der König abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Auslöser waren Auseinandersetzungen um das allgemeine Wahlrecht. Die Kämpfe in Paris forderten am 22. und 23. Februar 1848 mehr als 50 Tote und viele Verletzte.

Eine „revolutionäre Situation“ gab es auch in vielen anderen europäischen Ländern, doch nicht überall brach eine Revolution aus. In der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie und in Preußen beschränkten sich die revolutionären Ereignisse im Wesentlichen auf die beiden Hauptstädte Wien und Berlin. So war es in Berlin am 19. März 1848, wenn auch zum hohen Preis von fast 200 Toten, zum vorläufigen Sieg der Revolution gekommen. Friedrich Wilhelm IV. hatte den im Schlosshof aufgebahrten Märzgefallenen barhäuptig die letzte Ehre erwiesen und am 29. März wurde eine liberale Regierung eingesetzt. Aber ein am 30. März in Berlin gegründeter Volksverein, der eine „wahrhafte Volksvertretung“ gefordert hatte, setzte sich nicht durch. Stattdessen wurde der Zweite Vereinigte Landtag einberufen, der umgehend Kredite für die Armee bewilligte.

Nachdem vom 23. bis 31. Oktober 1848 die Revolution in Wien durch österreichische Truppen unter General Windisch-Grätz in blutigen Kämpfen niedergeschlagen worden war, setzten auch in Berlin verstärkt gegenrevolutionäre Bewegungen ein. Im Mai 1849, nachdem Friedrich Wilhelm IV. die ihm von der Frankfurter Nationalversammlung angetragene Kaiserwürde abgelehnt hatte, war die Revolution dann in auch in Deutschland endgültig gescheitert.

Reform der Medizinalangelegenheiten

Dennoch ist in diesem „tollen“ Jahr, als das es die Zeitgenossen bezeichneten, auch in der Medizin einiges in Bewegung gekommen: So wollten Rudolf Virchow und seine Mitstreiter – stimuliert durch die äußeren Bedingungen der Berliner Märzrevolution – eine Reform der Medizinalangelegenheiten in Preußen auf den Weg bringen. Denn hier lag vieles im Argen. Sie gründeten unter anderem die programmatische Zeitschrift „Medicinische Reform“, die ab Juli 1848 ihre Ideen verkündete. Voller revolutionärem Optimismus (und aus heutiger Sicht auch voller Illusionen) schrieb der sechsundzwanzigjährige Virchow in der ersten Nummer dieses Journals: 

(...) wo die Macht des Volkswillens die breiteste Grundlage, das demokratische Prinzip zur Anerkennung gebracht hat, ist es an der Zeit, überall und ohne Rückhalt dessen Conseqenzen durch das freie Wort, geschrieben und gesprochen, geltend zu machen. Schon treten aller Orten Aerzte in Versammlungen zusammen, die Bedürfnisse ihres Standes, ihre Kunst und Wissenschaft durch gemeinschaftliche Beratungen festzustellen.

Rudolf Virchow (1821–1902)
Grafik mit dem Konterfei von Rudolf Virchow.

Für Berlin ist hier besonders auf die im Juni 1848 erstmals zusammengetretene Generalversammlung der Berliner Ärzte hinzuweisen, die in den folgenden Monaten bis zum 20. April 1849 zwanzigmal tagte. Es wurden Kommissionen gebildet, die die gesetzlichen Grundlagen für eine Medizinalreform in Preußen erarbeiteten und Forderungen an die preußische Regierung stellten – aber sie wurden ignoriert.

Der Armenarzt Salomon Neumann schreibt im August 1948 fast schon resigniert: „… man sieht, wie unser Medicinaldepartment, unberührt von dem neuen Geiste, selbstgefällig jede andere als die bureaukratische Methode zur Vorbereitung des neuen Gesetzentwurfs verschmäht. Freilich will und kann sie die Aerzte nicht hindern, von dem Rechte der freien Association zum Zwecke gemeinschaftlicher Berathung Gebrauch zu machen …“.

Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt

Auch wenn die aus heutiger Sicht richtigen und notwendigen, aber damals (zu) revolutionären ärztlichen Reformen wie die „bürgerliche Revolution“ von 1848/49 insgesamt scheiterten, wurden sie letztlich in den darauffolgenden Jahrzehnten nach und nach verwirklicht. Das macht optimistisch und kann dazu motivieren, sich anlässlich des 175. Jahrestages der Ereignisse vertiefend mit Orten, Akteuren, Ereignissen und Langzeitfolgen einer gescheiterten Revolution zu befassen. In Berlin wurde das Jubiläum am 18. und 19. März 2023 mit einem „Wochenende der Demokratie“ zum Thema Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt an mehreren historischen Schauplätzen sehr aufwendig begangen und beispielsweise symbolisch an der Friedrich-/Ecke Jägerstraße eine Barrikade errichtet.

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