Ärztinnen der ersten Generation: Lydia Rabinowitsch-Kempner

Im Jahr 2024 folgen wir den Spuren von zwölf bekannten Ärztinnen „der ersten Generation“. Dazu begeben wir uns an Orte in Berlin, an denen die Frauen gelebt und gewirkt haben. Im Mittelpunkt der Exkursion im April steht Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871–1935).

Ärztinnen der ersten Generation

Der Bund Deutscher Ärztinnen ernannte die Tuberkuloseforscherin, obwohl sie keine Ärztin war, bei seiner Gründung vor 100 Jahren zum Ehrenmitglied. Da sie in vielerlei Hinsicht eine Pionierin war, zum Beispiel die erste Wissenschaftlerin am Robert Koch-Institut (RKI) und die erste Frau in Berlin mit Professorentitel, wurde sie für diese Artikelserie ausgewählt.

Berufliche Wirkungsstätten in Berlin

Lydia Rabinowitsch war nach ihrer Kindheit und Schulzeit im litauischen Kaunas (damals Kowno, Russisches Kaiserreich) in die Schweiz gegangen, wo Frauen anders als in den meisten anderen europäischen Ländern bereits zum Studium zugelassen waren. Von 1889 bis 1894 studierte sie Naturwissenschaften in Bern und Zürich. Nach der Promotion zog sie nach Berlin und erhielt eine Stelle als unbezahlte Assistentin an dem von Robert Koch geleiteten Institut für Infektionskrankheiten, dem heutigen RKI. Neben dieser Stelle unterrichtete sie mehrere Jahre am Woman’s Medical College der University of Pennsylvania, kehrte jedoch in den Semesterferien stets für einige Wochen nach Deutschland zurück, um ihre Forschungen am RKI fortzusetzen. Dank ihrer Bemühungen wurden Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung mit keimfreier Milch entwickelt.

Im Jahr 1903 wechselte Rabinowitsch-Kempner an das Pathologische Institut der Charité. Für ihre Verdienste auf dem Gebiet der Tuberkuloseforschung wurde ihr 1912 der Professorentitel verliehen, als zweiter Frau in Preußen und erster Frau in Berlin. Allerdings waren mit dieser Auszeichnung weder ein Lehrstuhl noch eine reguläre Bezahlung verbunden. 1920 verließ sie die Charité und übernahm – nun erstmals regulär vergütet – die Leitung des Bakteriologischen Labors am Städtischen Krankenhaus Moabit. Das Amt der Direktorin hatte sie bis 1934 inne, als sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft durch die Nationalsozialisten entlassen wurde.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Lydia Rabinowitsch hatte im April 1898 den Arzt Walter Kempner geheiratet, den sie am RKI kennengelernt hatte. Das Paar lebte mit den drei Kindern Robert, Nadja und Walter ab 1911 in der Potsdamer Straße 58a in Berlin-Lichterfelde. Für die damalige Zeit war es sehr ungewöhnlich, dass Rabinowitsch-Kempner als Ehefrau und Mutter weiterhin ihrem Beruf nachging.

Sohn Robert Kempner, dessen Patenonkel Robert Koch war, berichtete später von seiner Kindheit und wie er zwischen Mäusen, Meerschweinchen und Kaninchen aufwuchs, die als Versuchstiere unter der Veranda gezüchtet wurden. Die Tiere waren wie selbstverständlich die ständigen Spielgefährten der Kinder und gehörten ebenso wie ausgestopfte Versuchstiere und Kaninchenschädel zum normalen Spielzeug der Geschwister. Alle Kinder spielten ein Musikinstrument: Robert lernte Geige, Nadja und Walter spielten Klavier und auf die Frage, ob seine Mutter auch ein Instrument gespielt habe, antwortete Robert Kempner: „Die spielte die Tuberkulose.“ Tragischerweise erkrankten und starben sowohl der Ehemann Walter Kempner als auch Tochter Nadja an der damals noch weit verbreiteten Schwindsucht.

Letzte Ruhestätte und heutiges Gedenken

Lydia Rabinowitsch-Kempner starb am 3. August 1935, wenige Wochen vor ihrem 64. Geburtstag, an den Folgen einer Brustkrebserkrankung. Sie wurde auf dem Parkfriedhof in Lichterfelde neben ihrem Mann und ihrer Tochter begraben. Das Familiengrab ist erhalten und wird als Ehrengrab des Landes Berlin gepflegt.

Nach ihrem Tod zunächst in Vergessenheit geraten, wird inzwischen auf verschiedene Weise in Berlin an die Forscherin erinnert. Seit 2007 vergibt die Charité – Universitätsmedizin Berlin im Rahmen der Lydia-Rabinowitsch-Förderung Stipendien an promovierte oder habilitierte Wissenschaftlerinnen. Ziel des Programmes ist es, Frauen, die sich für eine verantwortliche Position qualifizieren möchten, bei der Weiterführung ihrer wissenschaftlichen Laufbahn zu unterstützen, wenn sie diese aus familiären oder sozialen Gründen unterbrochen haben. In einem Gebäude des ehemaligen Krankenhauses Moabit wurde eine Tafel zur Ehrung der nach 1933 entlassenen jüdischen Klinikmitarbeitenden angebracht, auf der auch ihr Name zu finden ist. In der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs wurde die Lydia-Rabinowitsch-Straße nach ihr benannt. Geplant ist darüber hinaus, die künftige Ringstraße auf dem Innovationscampus FUBIC in Dahlem als „Rabinowitsch-Kempner-Ring“ auszuweisen.

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