Karen Horney (1885–1952)
Im kommenden Jahr jährt sich Karen Horneys Geburtstag zum 140. Male. Sie gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen einer „psychoanalytischen Theorie der Weiblichkeit“. Horney war mit ihren Essays zu diesem Thema in den 1920er- und 30er-Jahren ihrer Zeit weit voraus. Auch wenn Karen Horney selbst „viel zu sehr Individualistin war, um sich jemals im kollektiven [...] politischen Kampf zu engagieren“, lokalisiert die bekannte US-amerikanische Soziologin und Psychoanalytikerin Nancy Chodorow die politischen und theoretischen Wurzeln des „psychoanalytischen Feminismus“ bei Karen Horney. Deren frühe Arbeiten zum Themenkreis Weiblichkeit waren demnach eine große Herausforderung für Freud und seine Anhänger der „orthodoxen Psychoanalyse“.
Familie und Ausbildung
Karen Danielsen wurde am 15. September 1885 in Hamburg geboren. Ihr Vater, Berndt Wackels Danielsen, kam aus Norwegen und fuhr für die Hapag als Kapitän zur See; ihre Mutter, Clotilde Marie van Ronzelen, entstammte einer wohlhabenden niederländischen Familie. Karen Danielsens Tagebüchern, die sie vom 13. bis zum 26. Lebensjahr schrieb und die nach ihrem Tod von ihrer Tochter Marianne veröffentlicht wurden, ist zu entnehmen, dass sich die Auseinandersetzungen mit dem konservativ denkenden, streng-religiösen Vater durch ihre ganze Kindheit und Jugend zogen. Anders als ihr älterer Bruder sollte sie eigentlich nicht einmal das Gymnasium besuchen. Mit der Unterstützung ihrer Mutter gelang es ihr dann aber doch, die väterliche Erlaubnis für eine akademische Ausbildung zu bekommen.
Im Jahr 1906 begann Danielsen in Freiburg ihr Medizinstudium. 2.350 Studierende waren dort in jenem Sommersemester immatrikuliert, davon 58 Frauen; 34 von ihnen studierten Medizin. Später setzte sie ihr Studium in Göttingen und nach ihrer Heirat mit dem ungarnstämmigen Wirtschaftswissenschaftler und Stinnes-Manager Oskar Horney, mit dem sie drei Kinder hatte, schließlich in Berlin fort, wo sie 1911 das Staatsexamen ablegte. Bereits vor dem Examen hatte sich Horney einer Analyse bei dem bekannten Freud-Schüler Karl Abraham unterzogen. Möglicherweise erwachte in diesem Zusammenhang ihr Interesse für die Lehren Sigmund Freuds. Ab 1911 besucht sie die Treffen der Berliner Psychoanalytischen Gesellschaft, wo sie 1912 einen ersten Vortrag zur Geschlechtserziehung von Kindern hielt.
Gleichzeitig spezialisierte sich Horney als Nervenärztin, und absolvierte ebenfalls 1912 ihr praktisches Jahr im Urban-Krankenhaus sowie in den Lankwitzer Heil- und Pflegeanstalten. Im Jahr 1915 promovierte sie bei Karl Bonhoeffer, dem damaligen Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie an der Charité, über posttraumatische Psychosen nach Kopfverletzungen. In den folgenden Jahren beteiligte sie sich am Aufbau des Berliner Psychoanalytischen Instituts und eröffnete 1919 eine eigene Praxis in Berlin. Mitte der 1920er-Jahre wurde ihre Ehe geschieden. Die drei Töchter – die älteste, Brigitte (1911–1988), wurde eine berühmte Schauspielerin, die mittlere, Marianne (1913–2008), und die jüngste, Renate (1915–2009), wurden Psychoanalytikerinnen wie ihre Mutter – zog sie neben ihrer intensiven Berufsausbildung und -ausübung allein auf.
Ich sollte eigentlich nichts lesen . . . nur mich selbst. Denn nur eine Hälfte meines Wesens lebt, die andere beobachtet, kritisiert, ironisiert.
Theorien und Aufsätze
Horney wird der sogenannten kulturalistischen bzw. neofreudianischen Schule der Psychoanalyse zugerechnet, „die die Libido-Theorie Sigmund Freuds verwarf und den Einfluss von Gesellschaft und Kultur auf die Entwicklung der Persönlichkeit betonte.“ Im Jahr 1922, auf dem Berliner Psychoanalytischen Kongress, hielt sie ihren wichtigen Vortrag „Zur Genese des weiblichen Kastrationskomplexes“. Darin ordnete sie Freuds „Penisneidtheorie“ als „männlichen Narzissmus“ ein und setzte ihm ihre Theorie des männlichen „Gebär(mutter)neides“ entgegen. Zwischen 1923 und 1935 publizierte Horney 19 Aufsätze, die sich mit der weiblichen Psyche und dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern befassten.
Anfang der 1930er-Jahre folgte sie einer Einladung Franz Alexanders und zog gemeinsam mit ihren zwei jüngeren Töchtern nach Chicago, wo sie zwei Jahre als stellvertretende Direktorin des Chicago Institute of Psychoanalysis tätig war. Nach Meinungsverschiedenheiten mit Alexander wechselte sie nach New York, wo sie von 1934 bis 1941 dem Lehrkörper des New York Psychoanalytic Institute angehörte. 1941 gehörte Horney zu den Mitbegründerinnen des American Psychoanalytic Institute und unterstützte die Gründung der Association for the Advancement of Psychoanalysis.
Ende der 1930er-Jahre veröffentlicht sie die Bücher „Der neurotische Mensch unserer Zeit“ und „Neue Wege in der Psychoanalyse“, die die Theorien Freuds einer grundlegenden Kritik unterzogen und die Wichtigkeit der Kultur bei der Entstehung neurotischer Konflikte betonten. „Während Freud angesichts des Konflikts zwischen Individuum und Gesellschaft ein gewisses Maß an Neurose für unvermeidlich hielt, glaubt Horney an die Kraft der Selbstverwirklichung, mit der Fehlentwicklungen korrigiert und überwunden werden können.“
Die Adressen der Wohn- und Arbeitsorte Karen Horneys in Berlin
- 1909: Dahlem, Schweinfurthstraße 4 (Pension)
- 1912: Lankwitz, Viktoriastraße / heute Leonorenstraße 17-33 (Privat-Heil- und Pflegeanstalt Berolinum)
- 1913–1915: Lankwitz, Waldmannstraße 3
- 1915–1917: Schmargendorf, Karlsbader Straße 15
- 1919–1926: Zehlendorf-Mitte, Sophie-Charlotte-Straße 15
- 1920–1928: Tiergarten, Potsdamer Straße 29 / heute 74 (Berliner Psychoanalytisches Institut)
- 1928–1932: Tiergarten, Wichmannstraße 10 (Berliner Psychoanalytisches Institut)
- 1919–1927: Wilmersdorf, Kaiserallee 202 / heute Bundesallee 202 (Praxis)
- 1926: Charlottenburg, Steinplatz 2
- 1926–1932: Tiergarten, Lützowufer 38 / heute Katharina-Heinroth-Ufer 3
Horney schrieb gut lesbare Bücher, die vor allem in den USA ein großes Publikum erreichten. Das bereits erwähnte „The Neurotic Personality of Our Time“ (1937) wird als ihr wichtigstes bezeichnet: Nach Horney ist das „große und einzige Thema des neurotischen Menschen die Angst“. Diese Angst als Kernstück der Neurose sei auch immer mit Feindseligkeit verbunden, so Horney. Diese Feindseligkeit richte sich zwar vor allem „projektiv nach außen, wird aber trotzdem als eigene Schuld empfunden. Es gibt keinen neurotischen Menschen, der sich nicht mit Selbstvorwürfen abplagt, nicht selten verbunden mit einem heftigen Bedürfnis nach Strafe. Aber es ist eben nur das ausgelebte Bedürfnis nach Selbstbezichtigung.“
So gibt es nach Horney vier Hauptwege, durch die ein Mensch versucht, sich gegen die (neurotische) Grundangst zu schützen: Liebe, Unterwürfigkeit, Macht und Distanzierung.
Tod und Erinnerung
Am 4. Dezember 1952 starb Karen Horney in New York. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer schrieb über ihren Tod: „Wer Karen Horney gekannt hat, wird schwer begreifen, dass sie gestorben sein soll [...]. Was aber kann überdauern – in einer uns unbekannten, verwandelten Gestalt, wenn die Auflösung den Körper mit chemischen Substanzen der Erde verschwistert, ins Anonyme, Außermenschliche eingebettet hat? Sicher nur das, womit Karen Horneys Lebensarbeit sich beschäftigt: die Seele.
Sie war ein Mensch, von dem man gewiss war, dass er unendlich alt werden würde. [...] Man wollte einfach von ihr überlebt werden. Man wollte wissen, wenn man die Augen schließen würde, dass dieser in sich gebändigte, doch fortgesetzt strömende Kraftquell weiterging, wie das Leben selbst.“
Über folgende Ärztinnen berichten wir im Jahr 2024:
- Januar: Henriette Hirschfeld-Tiburtius
- Februar: Emilie Lehmus
- Franziska Tiburtius
- April: Lydia Rabinowitsch-Kempner
- Mai: Hermine Heusler-Edenhuizen
- Juni: Rahel Hirsch
- Juli: Rhoda Erdmann
- August: Karen Horney
- September: Käte Frankenthal
- Oktober: Else Weil-Tucholsky
- November: Anneliese Wittgenstein
- Dezember: Anna Freud