Sommer, große Ferien, Erholung am Meer, in den Bergen, an einem kristallklaren See. Wenn die Umgebungsbedingungen stimmen, können Menschen während eines solchen Urlaubs in den Genuss der „thermischen Komfortzone“ gelangen: Als „Wohlfühltemperatur“ empfinden die meisten von uns Untersuchungen zufolge 28 Grad Celsius – allerdings unter der im Alltag selten gegebenen Voraussetzung, dass sie sich in Badekleidung oder nackt dem „Dolce far niente“ hingeben. In Berufskleidung bei hochsommerlichen Temperaturen einer anstrengenden Tätigkeit nachzugehen, kann das Wohlgefühl dagegen deutlich beeinträchtigen.
Zudem wird aus wohliger sommerlicher Wärme immer häufiger gesundheitlich bedenkliche Hitze. Die drei heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen gab es in Deutschland, der Schweiz und Österreich in den 2000er-Jahren, wie die Wetterdienste der drei Länder berichten. In Deutschland waren es die Sommer 2003, 2018 und 2019. Die Temperatur der extremsten Sommer vor 1990 ist zudem in den vergangenen 30 Jahren zum sommerlichen Durchschnitt geworden. Sogenannte Hitzetage mit über 30 Grad Celsius sind inzwischen ebenso wenig etwas Besonderes wie „Hitzewellen“, an denen sich mehrere solcher Tage aneinanderreihen. Dass der Klimawandel infolge des Ausstoßes von Treibhausgasen für unsere natürliche Umgebung bedrohlich ist, dass er Dürren mit Waldbrandgefahr, Starkregen und Überschwemmungen, das Tauen des Permafrosts und die Gletscherschmelze nach sich zieht, führen uns Medienberichte aus aller Welt fast täglich vor Augen.
Das Fieber des Planeten macht Menschen krank
Doch die Hitze ist auch für den menschlichen Organismus eine Herausforderung. Ab 32 Grad Celsius sprechen die Wetterdienste von „starker Wärmebelastung“, ab 38 Grad von „extremer Wärmebelastung“. „Unser Planet hat Fieber“, so fasst der Arzt und Buchautor Dr. med. Eckart von Hirschhausen diese Folge des Klimawandels in ein einprägsames Bild. Neben der damit angesprochenen erhöhten Temperatur nehmen aber auch Faktoren wie Luftfeuchtigkeit, Strahlung und Windgeschwindigkeit sowie der Grad der Abkühlung in den Nächten Einfluss darauf, wie sehr die „Hundstage“ uns plagen.
Dass das „Fieber“ des Planeten Menschen krank machen und ihr Leben gefährden kann, wurde in Europa einer breiteren Öffentlichkeit im Jahr 2003 bewusst: Eine lang anhaltende und für damalige Begriffe extreme sommerliche Hitzewelle hat Schätzungen zufolge in Deutschland zu 7.600 Todesfällen geführt. Das französische Wort für die Hundstage – „la canicule“ – ging erstmals in besagtem Sommer 2003 durch die Medien. Frankreich war von der Hitze damals besonders gebeutelt: Anfang August 2003 wurden an den meisten Messstationen im Land mehrere Tage hintereinander über 40 Grad gemessen. Schlimm waren aber auch die Nächte, und das vor allem in den Großstädten: In Paris zeigte das Thermometer Anfang August mehrfach nachts über 25 Grad an. Eine Folge solcher tropischen Nächte war dort seit dem Jahr 1873 nicht mehr vorgekommen. Über 15.000 Todesfälle werden auf die Hitzewelle 2003 im Land zurückgeführt. 90 Prozent der Hitzetoten in Paris waren alleinstehend und über 75 Jahre alt. Da die Sterblichkeit in den Herbst- und Wintermonaten danach nicht niedriger war als im Vorjahr, handelte es sich keineswegs nur um Menschen, die ohnehin schon im Sterben gelegen hätten.
Klima- und Hitzeschutz im Krankenhaus
Besonders gefährdet: hochaltrige Alleinstehende
Der Schock darüber, als alternde Gesellschaft die fragilsten Mitglieder mitten in der Feriensaison, als die Familien Urlaub am Wasser oder in den Bergen machten, in den großstädtischen Wärmeinseln ungeschützt zurückgelassen zu haben, saß tief: Die französische Nationalversammlung setzte sofort eine Kommission ein, die die Folgen der Hitzewelle analysierte und erste Empfehlungen aussprach. Seitdem sind etwa die öffentlichen Altenheime verpflichtet, Gemeinschaftsräume im Sommer zu kühlen. Zudem wurden Register von allein lebenden Hochaltrigen, die bei Hitzewellen sofort zu kontaktieren sind, angedacht. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Pariser Stadtverwaltung schließlich einen detailliert ausgearbeiteten Plan Canicule.
Er gilt für die Metropole, in der die internationale Staatengemeinschaft im Jahr 2015 das ambitionierte Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarte: Mit vereinten Kräften will die Menschheit der Erderwärmung, die seit Beginn des Industriezeitalters zu beobachten ist, bei 1,5 Grad Celsius eine Grenze setzen. Die Berichte des Weltklimarates IPCC verdeutlichen, wie entscheidend das Erreichen der vereinbarten Klimaziele ist. Zugleich wird in diesen Berichten immer wieder deutlich: Wir brauchen beides. Wir müssen klimaschädliche Gasemissionen drastisch reduzieren und wir müssen Maßnahmen ergreifen, um unsere Gesellschaften an die Erderwärmung anzupassen. Neben dem großen politischen Ziel, die Erderwärmung zu begrenzen, müssen wir uns pragmatisch mit den längst erkennbaren Folgen des Klimawandels auseinandersetzen. Denn selbst im besten Fall – dem Erreichen der Klimaziele, wird sich nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes „die Entwicklung der Hitzetage in den nächsten Jahrzehnten auf dem aktuell hohen Niveau stabilisieren“. Worst-Case-Szenarien gehen von einer deutlichen Zunahme der Hitzetage aus. Die Menschen müssen also in jedem Fall lernen, mit den Gegebenheiten umzugehen.
Das Gesundheitswesen auf extreme Temperaturen vorbereiten
Genau an dieser Anpassung aber hapert es – noch. „Deutschland ist für den Katastrophenfall durch mögliche große Hitzewellen nicht gerüstet“, ist im Policy Brief for Germany des „Lancet Countdown“ zu lesen. „Kommunen, das Gesundheitswesen und die Versorgungssysteme in Deutschland sind auf Extremtemperaturen wie im Sommer 2021 in Kanada oder in Südosteuropa nicht vorbereitet. Die Klimakrise verursacht längere und intensivere Hitzeperioden und wird noch in dieser Dekade zu Hitzeereignissen bisher nicht bekannten Ausmaßes führen. Das hat bereits heute ernsthafte Folgen für die Gesundheit von Millionen von Menschen bis hin zu Todesfällen – auch in Deutschland.“ Gefährdet sind aber nicht allein ältere, multimorbide Menschen, sondern auch Schwangere, chronisch Kranke sowie Kinder und Jugendliche. Auch Obdachlose und Menschen, die den ganzen Tag im Freien arbeiten, gehören zu den vulnerablen Gruppen. Die gesundheitlichen Konsequenzen sind dramatisch und mit hohen Kosten verbunden.
Aus der Erkenntnis heraus, dass Angehörige der Gesundheitsberufe sowohl bei der Begrenzung des planetaren „Fiebers“ als auch bei der Anpassung an die klimatischen Veränderungen eine herausgehobene Rolle spielen, ist die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V., kurz KLUG, entstanden. Auf der Website des Vereins sind nützliche allgemeine Informationen und spezifische Fortbildungsmodule für Ärzt:innen und Pflegekräfte verfügbar. Hier wird nicht nur erläutert, wie – ambulant behandelbarer – Hitzestress zur bedrohlicheren Hitzeerschöpfung werden kann und woran zu erkennen ist, ob der – oft intensivpflichtige – Hitzeschlag vorliegt. Wichtig sind auch Hinweise zur Kühlung von Praxisräumen, zu Problemen der Wirksamkeit bestimmter Medikamente bei Lagerung in der Hitze und Empfehlungen, einzelne Verordnungen für die Zeit der Hitzewelle abzusetzen, etwa Diuretika. Und nicht zuletzt geht es um den Eigenschutz der Beschäftigten.
Wir müssen als Gesellschaft die vulnerablen Gruppen vor den Gefahren der Hitze schützen. Es wird unterschätzt, wie viele Menschen schon heute in Folge der Klimakrise auch hier in Berlin sterben.
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Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin gegründet
Und was geschieht in Berlin? Im Juni 2022 wurde hier das Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin aus der Taufe gehoben, initiiert durch die Ärztekammer Berlin, KLUG und die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Zahlreiche Akteure des Gesundheitswesens haben sich diesem Bündnis angeschlossen. Damit nimmt Berlin eine Vorreiterrolle ein. Inzwischen liegen Musterhitzeschutzpläne für Krankenhäuser, ambulante Praxen, Bezirksämter, stationäre Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste vor. Anlässlich der Vorstellung des Bündnisses sagte PD Dr. med. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin: „Zwischen den Jahren 2018 und 2020 gab es allein in Berlin und Brandenburg rund 1.400 Hitzetote. Hitze ist für Menschen mit Vorerkrankungen, Schwangere, kleine Kinder und alle, die im Freien arbeiten, eine konkrete Gefahr. Für ältere und vorerkrankte Menschen und insbesondere für diejenigen, die allein wohnen, sind Hitzewellen lebensbedrohlich. Wir müssen als Gesellschaft die vulnerablen Gruppen vor dieser Gefahr schützen. Es wird unterschätzt, wie viele Menschen schon heute in Folge der Klimakrise auch hier in Berlin sterben.“ (Mehr über die aktuellen Arbeitsergebnisse und Pläne des Bündnisses)
Dabei trifft gerade Städter:innen die Hitze besonders heftig: Der sogenannte Wärmeinseleffekt, der den Aufenthalt in großen Städten während einer Hitzewelle so problematisch macht, entsteht durch hohe Gebäude, die die Wärme speichern und gleichzeitig die Luftzirkulation behindern. Zudem speichern Straßenbeläge zusätzlich die Wärme und geben sie nachts ab. Verstärkt wird der Effekt durch die Abwärme von Industrie und Kraftfahrzeugen. Damit sich Städte in Zukunft auf solche Hitzebelastungen besser vorbereiten können, förderte das Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) seit 2016 das Projekt „Stadtklima im Wandel“ mit 26 Millionen Euro. Ziel war die Entwicklung, Bewertung und Anwendung des Stadtklimamodells „PALM-4U“, mit dem unter anderem Gesundheitsrisiken wie Hitzestress oder Luftbelastungen untersucht werden können. Das Modell wurde in Berlin und zwölf weiteren deutschen Städten intensiv getestet. Anfang März 2023 wurden die Projektergebnisse bei einem Abschlusstreffen vorgestellt und diskutiert.
Brunnhilde spendet kühlenden Sprühnebel
Eine Stadt mit vergleichbaren „urbanen Wärmeinseln“ wie in Berlin ist die Hauptstadt unseres Nachbarlandes Österreich. Die Stadt Wien hat im Frühjahr des vergangenen Jahres einen detaillierten Wiener Hitzeaktionsplan veröffentlicht. Anders als der – langfristig angelegte – „Wiener Klimafahrplan“ zur Reduktion der Emissionen, der Wien bis 2040 klimaneutral machen soll, ist dies ein Plan zur Anpassung an bereits eingetretene Veränderungen. Der Plan „für ein cooles Wien der Zukunft“ enthält smarte Ideen wie das Aufstellen von „Schattenbankerln“ und von „Sommerspritzer-Nebelduschen“ zur Abkühlung im Stadtgebiet. Zahlreiche mobile Trinkbrunnen mit Sprühnebelfunktion, genannt die „Brunnhilden“, sollen zusätzlich von April bis Ende Oktober auf Hydranten montiert werden. Außerdem werden öffentlich zugängliche, klimatisierte „Cool Spots“ ausgewiesen. Eine App namens „Cooles Wien“ informiert die Bürger:innen über diese Räume, in denen sie gratis Kühlung finden.
Den Wiener Hitzeaktionsplan durchzieht die Einsicht, dass das Gesundheitsproblem „Hitze“ ärmere, alleinlebende und alte Menschen zumeist härter trifft – vor allem, wenn ihnen mitmenschliche Unterstützung und Solidarität fehlen. Der Umweltmediziner PD. Dr. med. Hans-Peter Hutter vom Zentrum für Public Health an der Medizinischen Universität Wien, der an der Abfassung des Wiener Hitzeaktionsplans beteiligt war, formuliert es so: „Die Hitze deckt auf, was in unserer Gesellschaft falsch läuft.“ Möglicherweise sind kommunale Pläne zum gesundheitlichen Schutz der Bürger:innen vor den schlimmsten Auswirkungen der Hitze nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Aber Hitzeschutz ist, wie Ärztekammer- Präsident Bobbert bei der Vorstellung des Berliner Hitzeschutzplans formulierte, „eine zutiefst solidarische und gemeinschaftliche Aufgabe“.
Ausführliche Informationen zum Thema „Hitzeschutz“
- Aktionsbündnis Hitzeschutz
- Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG)
- hitze.info
- Centre for Planetary Health Policy (CPHP): Pressemitteilungen
- BZgA: Klima Mensch Gesundheit
- Bundesärztekammer: Hitzewellen
- Planetary Health Academy
- Health for Future
- Bezirksamt Neukölln: Hitzeschutz und Klimafolgenanpassung