Die GOÄneu
Die GOÄ mag zwar nicht so alt sein wie die erste bekannte Gebührenregelung für Ärzte im Codex Hammurabi aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. – dort wurden die Honorare je nach sozialem Rang des Patienten und der Schwere des Eingriffes gestaffelt –, aber die Unzufriedenheit über ihre ausbleibende Novellierung ist bei vielen dennoch groß. Eine Erneuerung der GOÄ ist vor allem aufgrund der großen Anzahl verschiedenster Interessengruppen, die es zu harmonisieren gilt, ein kompliziertes und langwieriges Unterfangen.
Der aktuelle Entwurf zur GOÄ-Novelle, bekannt als GOÄneu, wird seit vielen Jahren in enger Zusammenarbeit mit dem PKV-Verband, den Fachgesellschaften und der Bundesärztekammer erarbeitet. Laut Reinhardt wurden von Anfang an rund 170 wissenschaftliche Fachgesellschaften und Berufsverbände „extrem transparent […] mit ins Boot geholt“. Allein in den vergangenen Monaten wurden demnach noch etwa 300 Änderungen an der GOÄneu vorgenommen, über die der Deutsche Ärztetag in Leipzig abstimmen sollte.
In seiner Einleitung zeigte sich Reinhardt optimistisch, gestärkt durch den deutlichen Rückenwind von der neuen Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU), die sich öffentlich klar zu einer neuen GOÄ bekannt hatte. Er forderte die Abgeordneten eindringlich auf, dieses politische Momentum zu Beginn einer neuen Bundesregierung unbedingt zu nutzen.
Wer glaubt, an der alten Fassung festhalten zu können, und wer glaubt, dass alles bliebe, wie es ist, der irrt sich.
In der Summe profitiert die Arzt:innenschaft
Reinhardt beschwor seine Kolleg:innen: „Ich bin der festen Überzeugung, wenn wir keinen Kompromiss finden, wird es uns nicht gelingen, politisches Kapital zu gewinnen.“ Er warnte davor, dass die Öffentlichkeit die Ärzt:innenschaft in diesem Fall als rein geldorientiert und zutiefst zerstritten wahrnehmen würde, was es sehr erschweren würde, sich an anderer Stelle ins Gespräch einzubringen.
Der BÄK-Präsident führte weiter aus: „Wer glaubt, an der alten Fassung festhalten zu können, und wer glaubt, dass alles bliebe, wie es ist, der irrt sich.“ Er gab zu bedenken, dass auch die PKV, die zehn Jahre lang kleinteilig mit der Bundesärztekammer verhandelt habe, dann die Lust verlieren werde, weiter mit den Ärzt:innen zu sprechen. Dann fasste er die Vorteile der Novelle zusammen und wies darauf hin, dass diese eine bessere Honorierung der Ärzt:innenschaft vorsehe. So werde sich das Ausgabenvolumen der PKV in den ersten drei Jahren um 1,9 Milliarden Euro erhöhen. Die Novellierung der GOÄ verfolge die Ziele von Rechtssicherheit, Transparenz, Verlässlichkeit und Modernisierung für privat versicherte Menschen. Immerhin seien dies zehn Prozent der Bevölkerung und diese müssten rechtssichere Transparenz darüber haben, was ihnen in Rechnung gestellt wird.
Besonders die technische Medizin, die aktuell sehr auskömmlich honoriert werde, müsse Abstriche hinnehmen, konstatierte Reinhardt. In der Summe profitiere die Ärzt:innenschaft durch die GOÄneu jedoch erheblich. So könnten nun mittels Zuschlägen die Fälle abgerechnet werden, in denen für Ärzt:innen durch Assistenz und besondere Aufwendungen Kosten entstünden. Freie Honorarvereinbarungen mit den Patient:innen seien weiterhin möglich. Auch die Bewertung der Kinderleistungen seien erheblich gestiegen. In der geltenden Fassung seien diese gar nicht abgebildet, gab Reinhardt zu bedenken.

Dr. med. Matthias Blöchle, Vizepräsident der Ärztekammer Berlin
Foto: Ole Eggert / Ärztekammer Berlin
Bereits im Vorfeld der Debatte bezeichnete Dr. med. Matthias Blöchle, Vizepräsident der Ärztekammer Berlin, die GOÄneu als Gegenteil von Bürokratieabbau.
Zum Abschluss skizzierte Reinhardt die nächsten Schritte für den Fall einer Zustimmung des Deutschen Ärztetages zur GOÄneu. Zunächst solle der gemeinsame Entwurf dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Einleitung der Novellierung übergeben werden. Bis zum Inkrafttreten solle die GOÄneu in Zusammenarbeit mit den ärztlichen Verbänden und dem PKV-Verband kontinuierlich verbessert werden. Dabei würden Fehlerkorrekturen und die Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts im Vordergrund stehen. Nach der Verabschiedung solle die Gemeinsame Kommission die Weiterentwicklung sicherstellen.
Zwischen politischem Druck und ärztlicher Verantwortung
Die sich anschließende Debatte um die Novellierung der GOÄ zeigte, wie viele Emotionen mit dem Thema verbunden sind – auch durch den Zusammenprall der unterschiedlichen Perspektiven innerhalb der Ärzt:innenschaft. Bereits im Vorfeld der Debatte äußerte sich Dr. med. Matthias Blöchle, Vizepräsident der Ärztekammer Berlin, dahingehend, dass die GOÄ für ihn das Gegenteil von Bürokratieabbau sei. Zudem stelle die Einschränkung bei den Steigerungsfaktoren einen erheblichen Nachteil dar. Angesichts der rasanten Ausgabensteigerungen seien die zu erwartenden finanziellen Zuwächse viel zu gering.
Prof. Dr. med. Nicola Buhlinger-Göpfarth von der Landesärztekammer Baden-Württemberg betonte hingegen, dass die GOÄ-Novelle ein politischer Prozess gewesen sei, der hinreichend differenziert und unter Einbindung aller Berufsverbände vonstattengegangen sei. Sie hob hervor, dass in der Vergangenheit technische Leistungen zunehmend in den Fokus der GOÄ gerückt seien und die neue Novelle eine „Renaissance der sprechenden Medizin“ ermöglichen könne. Zugleich appellierte Buhlinger-Göpfarth an die Abgeordneten, nicht den Fehler zu machen und sich als handlungsunfähig zu zeigen.
Einen deutlichen Ton schlug Prof. Dr. med. Bernd Haubitz von der Landesärztekammern Bayern an. Erforderte eine hohe Verantwortung für den gesamten Berufsstand ein und kritisierte „Methoden, die einem Ärzteparlament unwürdig sind“, etwa das Verteilen von „roten Flyern“ mit agitierendem Inhalt vor dem Deutschen Ärztetag, um Ärzt:innen zu beeinflussen. Haubitz mahnte zu einer verantwortungsvollen Abstimmung, da eine weitere Verzögerung der Dinge noch schädlicher wäre.
Auch Dr. med. Reinhard Reichelt von der Landesärztekammer Bayern berichtete, dass er im Vorfeld des Deutschen Ärztetages immer wieder von Kolleg:innen kontaktiert worden sei, um gegen die GOÄ zu stimmen. Er warnte davor, dass die Ärzt:innenschaft bei einer Ablehnung erneut von der Politik überholt werden würde. Die thüringische Abgeordnete Dr. med. Sabine Köhler bezeichnete die Debatte als hoch emotional und dankte der Bundesärztekammer für die gute Moderation der Diskussion. Sie hob die Einbindung der Verbände und den langen, transparenten Clearing-Prozess hervor.
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Dr. med. Hendrik Schönbohm aus Schleswig-Holstein kritisierte hingegen, dass eine Selbstverwaltung, die nach zehn Jahren noch immer nicht in der Lage sei, eine GOÄ zu verabschieden, die Politik dazu verleiten würde, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dr. med. Jens Placke, Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, ergänzte, dass die aktuelle GOÄ teilweise nicht mehr rechtsfähig sei, und forderte zur Zustimmung auf.
Julian Veelken, Abgeordneter der Ärztekammer Berlin, richtete sich an das Präsidium und die Kolleg:innen und sagte, dass viele wüssten, wie kritisch er dem gesamten Komplex GOÄ gegenüberstehe. Er habe jedoch großen Respekt vor dem persönlichen Engagement des Präsidenten, der den Kompromiss über viele Jahre hinweg erarbeitet habe. Er wolle nicht noch einmal grundsätzlich über die GOÄ reden. „Die Kuh muss vom Eis“, so Veelken. Zudem wünsche er sich, dass sich der DÄT zukünftig auch mit der Finanzierung der GKV auseinandersetzen würde.
Andere Stimmen betonten die Bedeutung der „sprechenden Medizin“. So schilderte Dr. med. Barbara Römer von der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, wie Patient:innen mit Google-Diagnosen in die Praxis kämen und eine ärztliche Einschätzung verlangten. Sie begrüßte, dass dies in der neuen GOÄ hinterlegt sei und das Gespräch nun eine angemessene Honorierung erfahren würde. Dr. med. Elke Neuwohner aus Hessen unterstrich, dass die Ärzt:innenschaft im „Human Touch“ ungeschlagen sei und das Gespräch das wesentliche Mittel darstelle.
Überraschend deutliches Votum
Nach der kontroversen Diskussion fiel das Abstimmungsergebnis dann überraschend deutlich aus: Mit 212 Ja-Stimmen und 19 Nein-Stimmen stellten sich die Delegierten des Ärztetages mehrheitlich hinter den Entwurf der neuen GOÄ. Es folgten Standing Ovations im Publikum sowie Umarmungen unter den Mitgliedern des Vorstandes der Bundesärztekammer. Auch aus der Politik kamen bereits positive Signale. An die Umsetzung der neuen GOÄ wolle man im Bundesgesundheitsministeriums „zeitnah einen Haken machen“, kündigte Tino Sorge (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, vor wenigen Tagen in Berlin an.
Alle Beschlüsse
Für weitere Informationen und die Beschlüsse des Ärztetages zur Novellierung der Gebührenordnung (GOÄ) klicken Sie im Online-Portal den Reiter „nach TOP filtern“ an und wählen Sie „TOP IV Novellierung der Gebührenordnung für Ärzt (GOÄ)“ aus.
Darüber hinaus finden Sie hier die unter unter Beteiligung von Berliner Abgeordneten gestellten bzw. unterstützten Anträge und Ergebnisse.
Der Deutsche Ärztetag tagte vom 27. bis 30. Mai 2025 in Leipzig und befasste sich mit einer Vielzahl an Themen – von Verbesserungen des eLogbuchs über den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin bis hin zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Unsere Artikel zum 129. Deutschen Ärztetag im Überblick.