Diskussion über das Thema Schwangerschaftsabbruch notwendig
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche zwar strafbar, für betroffene Frauen bleiben sie jedoch unter bestimmten Voraussetzungen ohne strafrechtliche Konsequenzen. Dieser Umstand bildet den Kern einer gesellschaftspolitischen Kontroverse: Die einen treten für die Entkriminalisierung ein, die anderen befürworten die Beibehaltung der bestehenden Gesetze. Diese unterschiedlichen Meinungen finden sich auch innerhalb der Ärzt:innenschaft wieder. Angesichts dessen war eine umfassende Diskussion über das Thema Schwangerschaftsabbruch dringend geboten.
Dr. med. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK), eröffnete die Debatte zum Tagesordnungspunkt „Schwangerschaftsabbruch“ und stellte die Position des BÄK-Vorstandes vor, die im Antrag „Ärztliche Perspektiven zum Schwangerschaftsabbruch“ verankert ist. Sie machte deutlich, dass Ärztinnen und Ärzte aus persönlichen, weltanschaulichen oder religiösen Gründen nicht zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs gezwungen werden dürfen.
Mit dem Vorstandsantrag fordere der Deutsche Ärztetag laut Lundershausen die Politik auf, die Debatte um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sensibel und unter Einbeziehung der Ärzt:innenschaft zu führen. Grundlegend sei, dass Ärztinnen und Ärzte frei und nach ihrem Gewissen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen entscheiden können.
Außerdem verlange die BÄK mit dem Antrag wirksamen Schutz für Ärzt:innen, die Abbrüche vornehmen, vor Drangsalierungen und Angriffen. Betont würden die Beibehaltung der verpflichtenden, ergebnisoffenen Beratung, die geltende Fristenlösung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche post conceptionem und der Arztvorbehalt.

Prof. Dr. med. Mandy Mangler, Ärztekammer Berlin
Foto: Ole Eggert / Ärztekammer Berlin
Mit ihrem Antrag „Entkriminalisierung“ forderte Prof. Dr. med. Mandy Mangler gemeinsam mit den Berliner Abgeordneten Alexandra Archodoulakis, Dr. med. Laura Schaad, PD Dr. med. Peter Bobbert und Dr. med. Kathleen Chaoui die Wahrung der Selbstbestimmung von Patientinnen.
Laut Antrag seien die neutrale Beratung und die Bedenkzeit entscheidend für eine informierte Entscheidung der Frau. Die BÄK fordere zudem, dass Angebote für operative und medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche flächendeckend und erreichbar sein müssten, um Frauen eine echte Wahl zu ermöglichen. Abschließend wünschte sich Lundershausen, dass die nun folgende Debatte von Empathie und Respekt geprägt sein solle.
Debatte: Zwischen Entkriminalisierung, Beratungspflicht und ärztlicher Rolle
Die Diskussion zeigte dann ein breites Spektrum an Meinungen, die von der „Gleichstellung der Geschlechter“, so Dr. med. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, bis hin zur Rolle der Ärzt:innenschaft reichten.
Prof. Dr. med. Mandy Mangler, Abgeordnete der Ärztekammer Berlin, sprach zu dem von ihr gemeinsam mit den Berliner Abgeordneten Alexandra Archodoulakis, Dr. med. Laura Schaad, PD Dr. med. Peter Bobbert und Dr. med. Kathleen Chaoui eingebrachten Antrag „Entkriminalisierung“. Sie klärte darüber auf, dass der Paragraf 218 aus dem Jahr 1871 stamme und nicht von Ärzt:innen mitbestimmt worden sei. Man könne die Patientinnen entscheiden lassen, ob sie beraten werden möchten, so Mangler. Damit unterstrich sie die in ihrem Antrag geforderte Wahrung der Selbstbestimmung.
PD Dr. med. Kirsten Jung von der Landesärztekammer Thüringen berichtete, dass der Paragraf 218 für sie sehr deprimierend gewesen sei. Als junge Frau in der DDR, wo Schwangerschaftsabbrüche letztlich ab den 1970er-Jahren legal waren, wollte auch sie über ihren Körper selbst entscheiden. Heute stehe jedoch die Selbstverwirklichung im Mittelpunkt. „Wir leben in einer narzisstischen Gesellschaft“, so Jung. Ein Drittel der Schwangerschaften in der DDR endeten mit einem Abbruch, berichtete sie. Eine verpflichtende Beratung sei das Recht des ungeborenen Lebens, daher wolle sie daran festhalten.
Alexandra Archodoulakis, Abgeordnete der Ärztekammer Berlin, sprach sich für eine niederschwellige Versorgung aus und kritisierte die Beratungspflicht als Hürde. Außerdem lehnte sie die in einem Antrag geforderte Ultraschalluntersuchung als Voraussetzung für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch ab. Dies sei respektlos gegenüber der Frau und medizinisch nicht begründet. Archodoulakis betonte, dass die Ärzt:innenschaft unbedingt eine Position zum Schwangerschaftsabbruch beziehen müsse, um der Politik nicht die Möglichkeit zu geben, fehlende Meinungen zu unterstellen. Ihr gehe es darum, die Autonomie der Patientinnen aufrechtzuerhalten.
Aspekt der Schuld
Prof. Dr. med. Jörg Weimann, ebenfalls Abgeordneter der Ärztekammer Berlin, erinnerte daran, dass Gesetze Schranken und Normen definieren. Er gab zu bedenken, dass der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch unter dem Aspekt der Schuld verortet sei und bei deren Nachweis eine Strafe folge. Dies halte er für unhaltbar. Zwar befürwortete Weimann die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, warnte jedoch davor, in einen rechtsfreien Raum zu geraten, in dem beispielsweise die Beratung nicht mehr sanktionierbar wäre, etwa als Ordnungswidrigkeit.
Dr. med. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, warf die Frage auf, ob der richtige Weg beschritten werde, und betonte dabei die ärztliche Perspektive. Grundsätzlich sprach sie sich für die Unterstützung der Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus, fühlte sich jedoch als Ärztin überfordert, rechtliche Regelungen zu beurteilen. Letztlich sei für sie das Bundesverfassungsgericht maßgeblich. Gemeinsam mit anderen hatte sie einen Antrag eingebracht, der den Erhalt des ungeborenen Lebens sowie die Gewissensentscheidung von Ärzt:innen, ob sie einen Abbruch durchführen wollen, deutlich stärker betonte als andere Anträge.
Dr. med. Susanne Johna, Vizepräsidentin der BÄK, hob die Rolle der Ärzt:innenschaft als wichtigen Teil der Gesellschaft hervor, der sich zu vielen relevanten Themen äußern sollte. Sie wünschte sich Achtung für die Frauen, die diese Erfahrung durchleben, statt Ächtung.

Prof. Dr. med. Jörg Weimann, Ärztekammer Berlin
Foto: Ole Eggert / Ärztekammer Berlin
Prof. Dr. med. Jörg Weimann befürwortete zwar die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, warnte jedoch davor, in einen rechtsfreien Raum zu geraten.
Ein zentraler Punkt der Debatte war die Beratungspflicht: Markus Haist von der Landesärztekammer Baden-Württemberg argumentierte für deren Beibehaltung, da sich ein Viertel der Frauen nach der Beratung gegen einen Abbruch entscheide. Er befürwortete Straffreiheit in Verbindung mit einer Beratungspflicht. Christine Neumann-Grutzeck, Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer, hob ebenfalls die Wichtigkeit einer Beratung hervor. Sie widersprach der Meinung, dass diese überflüssig sei, da ärztliche Beratungen nicht klassisch sozial seien. Sie sprach sich daher ebenfalls für eine Beratungspflicht aus.
Auch Dr. med. Nathalie Jasmin Becker von der Ärztekammer Westfalen-Lippe unterstrich, prioritär sei es für Ärzt:innen, Patientinnen zu beraten. Sie zitierte weiterhin Zahlen aus Umfragen, denen zufolge 72 Prozent der Befragten eine Legalisierung befürworten. Selbst in der katholischen Tagespresse plädierten 68 Prozent für eine Streichung aus dem Strafrecht, so Becker.
Politisch Verantwortliche brauchen Augenmaß
In der abschließenden Abstimmung fand der Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer, der die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs forderte, eine breite Zustimmung und wurde unter Jubel angenommen. Auch weitere Anträge mit ähnlicher Zielsetzung, darunter der aus Berlin, erhielten eine große Mehrheit. Damit fordert der Deutsche Ärztetag von den politisch Verantwortlichen unter anderem Augenmaß in der Debatte um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Ärzteschaft müsse eng in diese Diskussion einbezogen werden. „Sowohl das Recht der Frauen auf reproduktive Selbstbestimmung als auch das Recht des Ungeborenen auf Leben ist zu beachten“, stellte der Deutsche Ärztetag mit dem angenommenen Beschlussantrag klar.
Ein Antrag der Abgeordneten Mangler und weiterer Unterstützer:innen aus Berlin, der die Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche durch die gesetzliche und private Krankenversicherung forderte, wurde zur weiteren Bearbeitung an den Vorstand überwiesen. Aktuell müssen Frauen die Kosten von rund 250 Euro selbst tragen, was für manche eine finanzielle Belastung darstellt. Diese Forderung wird auch von der Weltgesundheitsorganisation unterstützt, die Schwangerschaftsabbrüche als integralen Bestandteil der Gesundheitsversorgung betrachtet und eine vollständige finanzielle Absicherung empfiehlt.
Beschlüsse
Für weitere Informationen und die Beschlüsse des Ärztetages zum Thema „Schwangerschaftsabbruch“ klicken Sie im Online-Portal den Reiter „nach TOP filtern“ an und wählen Sie „TOP V Ärztliche Perspektiven zum Schwangerschaftsabbruch“ aus.
Darüber hinaus finden Sie hier die unter unter Beteiligung von Berliner Abgeordneten gestellten bzw. unterstützten Anträge und Ergebnisse.
Der Deutsche Ärztetag tagte vom 27. bis 30. Mai 2025 in Leipzig und befasste sich mit einer Vielzahl an Themen – von Verbesserungen des eLogbuchs über den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin bis hin zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Unsere Artikel zum 129. Deutschen Ärztetag im Überblick.
- eLogbuch: Nutzerzahlen steigen
- Künstliche Intelligenz ist die Elektrizität der Gegenwart
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- GOÄ: Gut Ding will Weile haben
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- Berlin auf dem 129. Deutschen Ärztetag in Leipzig