Ausgangslage: Ein internationales Netzwerk engagierter Ärztinnen
Im Jahr 1919 wurde in den USA die Medical Women’s International Association (MWIA) gegründet. Deren erste Vorsitzende, Esther Pohl Lovejoy, rief Ärztinnen in der ganzen Welt dazu auf, eigene Landesverbände zu gründen und sich unter dem Dach der MWIA zusammenzuschließen. Dies war der entscheidende Impuls, der fünf Jahre später zur Gründung des Bundes Deutscher Ärztinnen führte. Bereits 1923 hatte es Pläne für ein Gründungstreffen in Berlin gegeben. Dieses musste jedoch aufgrund finanzieller Schwierigkeiten infolge der Hyperinflation verschoben werden.
Im Juli 1924 erschien die erste Ausgabe der „Vierteljahrsschrift des Bundes Deutscher Ärztinnen“, herausgegeben von den Berliner Ärztinnen Hermine Heusler-Edenhuizen und Laura Turnau. In ihrem Gründungsaufruf definierten sie die Aufgaben des neu geschaffenen Bundes: „1. Zusammenschluss der Ärztinnen Deutschlands, 2. Bearbeitung sozial-hygienischer Fragen vom Standpunkt der Ärztin als Frau, 3. Ausarbeitung von Vorschlägen für die sozial-hygienische Gesetzgebung des Reiches und der Länder von demselben Standpunkt aus, 4. Sorge für die nicht mehr arbeitsfähigen älteren Kolleginnen sowie Unterstützung der jungen Medizinerinnen in ihren Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten.“
Gründungstreffen in Berlin
Drei Monate später, im Oktober 1924, trafen sich rund 50 Ärztinnen aus ganz Deutschland in Berlin zu einer konstituierenden Generalversammlung. Der erste Tag des Treffens, der 25. Oktober 1924, gilt heute offiziell als Gründungsdatum des Deutschen Ärztinnenbundes. Im Mittelpunkt standen organisatorische Fragen wie Vorstandswahlen, die Ausarbeitung eines Arbeitsprogrammes und einer Satzung. Aber auch medizinische Einrichtungen wie das Oskar-Helene-Heim, das Kaiserin Auguste Victoria Haus sowie die Klinik weiblicher Ärzte wurden gemeinsam besichtigt.
Der letzte Abend fand in den Räumen des Lyzeum-Clubs am Lützowplatz statt. Die liberale Politikerin und Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer, eine der ersten weiblichen Reichstagsabgeordneten in der jungen Weimarer Republik, erinnerte in ihrer Ansprache an den Bundesratsbeschluss, der 25 Jahre zuvor Frauen das Medizinstudium in Deutschland ermöglicht hatte.
Zu Ehrenmitgliedern ernannt wurden Franziska Tiburtius und Lydia Rabinowitsch-Kempner. Beide hatten zu einer Zeit in der Schweiz studiert, als es in Deutschland noch kein Frauenstudium gab. Tiburtius hatte sich 1876 als erste Ärztin in Berlin niedergelassen und ein Jahr später gemeinsam mit Emilie Lehmus die Poliklinik weiblicher Ärzte für Frauen und Kinder eröffnet. Rabinowitsch-Kempner hatte sich als Tuberkuloseforscherin am Robert Koch-Institut und an der Charité einen Namen gemacht und 1912 als erste Frau in Berlin den Professorentitel erhalten.
Pionierinnen im Ärztinnenbund
Bereits im Juli 1924 hatte eine Delegation deutscher Ärztinnen am ersten MWIA-Kongress in London teilgenommen. Auf der konstituierenden Generalversammlung in Berlin wurde die Gynäkologin Hermine Heusler-Edenhuizen zur Gründungsvorsitzenden und die Hamburger Kinderärztin Lilli Meyer-Wedell zu ihrer Stellvertreterin beziehungsweise zur geschäftsführenden Vorsitzenden gewählt. Die Kinderärztin Laura Turnau übernahm das Amt der Schriftführerin. Dem Gründungsvorstand gehörten zudem die Essener Gynäkologin Toni von Langsdorff, die Düsseldorfer Augenärztin Hella Rieth-Esser und die Freiburger Kinderärztin Else Liefmann an.
Die Hamburger Dermatologin Marie Unna-Boehm verfasste für die „Vierteljahrsschrift des Bundes Deutscher Ärztinnen“ einen Bericht über die Gründungsversammlung. Sie schrieb: „Wer die Berliner Tagung mitgemacht hat, wird den Eindruck mit nach Hause genommen haben, daß frische Kräfte am Werk sind, einen neuen, gut fundierten Bau zu errichten. Wenn den Baumeistern, denen wir Anregung, Plan und Fundamente verdanken, erst von allen Seiten Hilfskräfte zugeströmt sein werden, wird es bald ein stolzes, weites und umfassendes Gebäude werden.“