Von Medfluencer:innen lernen?

Gesundheit erhalten, Krankheiten vorbeugen – dieser Ansatz wird in der Medizin immer wichtiger. Traditionelle Aufklärungs- und Präventionskampagnen mit ihren Botschaften rund um einen gesünderen Lebensstil sind für viele Menschen aber nicht besonders interessant: Sie haben diese zu oft gehört, und sind zu oft an guten Vorsätzen gescheitert. Haben Medfluencer:innen für diese Herausforderung ein besseres Rezept?

Wenn es um Lebensstiländerungen geht, wird es schwierig. Nicht nur für die Patient:innen selbst, sondern auch für Ärzt:innen und anderes Gesundheitspersonal, das über gesundes Verhalten aufklärt. Mehr Bewegung, weniger Zucker, mehr frisches Obst und Gemüse, weniger Stress, mehr Schlaf, kein Alkohol und kein Nikotin – das klingt simpel. In der Realität ist jedoch nichts schwerer, als neue Gewohnheiten zu etablieren. Vor allem, wenn Patient:innen einen Alltag umstellen sollen, der schon voller Verpflichtungen und Stress ist. Dann stellt sich zuerst die Frage, wie erreicht wird, dass sich Menschen damit überhaupt beschäftigen wollen. Erst danach geht es um konkrete Verhaltensänderungen.

Medfluencer:innen scheinen den Dreh rauszuhaben. Sie begeistern Menschen für das Thema Gesundheit im Internet offenbar mühelos. Die Zahl ihrer Follower:innen in den sozialen Netzwerken wächst. Und auch die Zahl der Medfluencer:innen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Offizielle Statistiken dazu fehlen zwar, in Deutschland könnten es aber mittlerweile 400 bis 1.000 sein, schätzt Philipp Jones. Er ist Geschäftsführer der Agentur Medservation. Die Agentur betreibt eine Datenbank mit Medfluencer:innen. Jones bevorzugt für sie jedoch den Begriff „Healthfluencer:innen“, wie er gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt erklärte. Denn nicht nur Ärzt:innen, Pflegekräfte oder Therapeut:innen betreiben Accounts, sondern auch Praxen und Kliniken. Zu den gefragtesten Inhalten gehören seiner Erfahrung nach die Dermatologie sowie die Ästhetische Medizin, aber auch die Allgemeinmedizin.

Gesundheit trifft einen Nerv im Internet

Gerade Jüngere interessieren sich für das Thema Gesundheit. Zwar gibt es auch dazu keine offiziellen Zahlen, aber die Gesundheitsbotschafter:innen erreichen zum Teil ein Millionen­publikum auf Instagram, YouTube und per Podcast. Damit schlagen sie eine Brücke zwischen klassischer Medizin und den Menschen, die Gesundheitsfragen haben. Laut einer Studie mit circa 1.000 jungen Erwachsenen zwischen 15 und 25 Jahren aus Österreich folgen 40 Prozent von ihnen Gesundheits-Influencer:innen auf sozialen Kanälen. Über 30 Prozent finden ihre Botschaften nützlich für die eigene Gesundheit. Die Mehrheit der Befragten nimmt sie als vertrauensvolle Quelle für Gesundheitsinformationen und -produkte wahr (Eur J Public Health: Influencers as a new source of health information: Insights from an Austrian youth survey).

Gesundheitskommunikation im Internet trifft aber nicht nur in dieser Altersgruppe einen Nerv. Eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos hat ergeben, dass sich fast 60 Prozent der Deutschen nicht nur auf die Aussagen ihrer Ärzt:innen verlassen, sondern zusätzlich im Internet recherchieren. Dabei sind es mehr Frauen als Männer (61 zu 56 Prozent). Interessant war, dass vor allem Menschen mit niedrigerem Bildungs­niveau das tun: 72 Prozent der Befragten aus dieser Gruppe wollen sich lieber selbst informieren, gegenüber 56 Prozent mit mittlerem Bildungsgrad und 62 Prozent mit hohem Bildungsgrad (Studie „Ipsos Global Trends 2024“).

Vertrauen ist die wichtigste Währung – auch im Netz

Wenn Influencer:innen hohe Vertrauenswerte erreichen, hat das nicht unbedingt etwas mit ihrer Expertise zu tun. Eine Approbation ist keine Voraussetzung, um sich im Internet „Doc“ zu nennen. Es zählen nicht nur Name und Auftreten, sondern auch hohe Follower- und Klickzahlen. Ganz nach dem Motto: „Was viele gut finden, kann nicht schlecht sein.“ Doch wie genau erreichen die Healthfluencer:innen ein Millionenpublikum? Vertrauen hängt stark mit Glaubwürdigkeit zusammen und diese hat wiederum viel damit zu tun, wie gut sich das Publikum mit der Person auf der anderen Seite des Bildschirms identifizieren kann. Dabei spielt beispielsweise eine Rolle, ob die Person verständliche Begriffe benutzt, ob ihre Sprache vertraut klingt und ob sie die Nachbarin oder der Kumpel aus dem Sportverein sein könnte. Zeigt sie Verständnis für Gesundheitsprobleme und dafür, dass gute Vorsätze oft scheitern? Aber manchmal ist auch einfach nur wichtig, ob jemand sympathisch wirkt.

Ein weiterer Vorteil sind die Sprechzeiten der Internet-Doktor:innen. Als mediale Figuren, die rund um die Uhr erreichbar sind, haben sie einige Mittel an der Hand, um Nähe und Verständnis zu vermitteln. Wer nach Feierabend noch in der Praxis bleibt, um ein Video zu drehen, sendet die Botschaft: „Ich nehme mir extra Zeit für meine Patient:innen.“ Eine Botschaft, deren Wert angesichts des Zeitmangels, der im Praxisalltag herrscht, kaum zu überschätzen ist. Wenn dann noch Einblicke in Persönliches dazukommen, verstärkt das den Effekt und suggeriert: „Ich bin eine oder einer von euch. Ich helfe euch mit meinem Wissen, sodass ihr zur Gemeinschaft der Gesundheitsprofis gehört. Dann habt ihr eure Gesundheit selbst in der Hand.“ Im Kern geht es dabei darum, dass Influencer:innen das Bedürfnis nach Gemeinschaft bedienen.

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Die soziale Komponente der Gesundheitskommunikation

Die Botschaft von der Gemeinschaft verfängt insbesondere bei marginalisierten Gruppen, wie sozial benachteiligten Menschen und Menschen mit niedriger Bildung. Aber auch bei Frauen. In all diesen Gruppen spielt Selbsthilfe eine wichtige Rolle. Das hat historische Gründe. Im Laufe der Medizingeschichte mussten viele Menschen, die nicht männlich, weiß und wohlhabend waren, die Erfahrung machen, dass ihre Perspektive vom Medizinbetrieb systematisch ignoriert wurde. Dieser Zusammenhang ist besonders in der Frauengesundheit von Bedeutung. Gesundheit spielt im Leben von Frauen eine große Rolle. Wenn eine Frau krank wird, geraten oft auch ihre Kinder und pflegebedürftigen Angehörigen in Not. Frauen plagt dann zusätzlich ein schlechtes Gewissen. Lange Zeit wurden körperliche Beschwerden von Frauen auf die Psyche geschoben – und blieben somit unbehandelt.

Zwar ist der Zugang zu medizinischer Hilfe heute weniger von Geld, sozialer Klasse und Geschlecht abhängig, aber immer noch hängt die Lebenserwartung und der Gesundheitszustand mit diesen Faktoren zusammen. Präventionsangebote erreichen diejenigen, die sie am dringendsten brauchen nach wie vor zu schlecht. Das begünstigt Misstrauen bei den Betroffenen. Lange Wartezeiten, ein skeptischer Gesichtsausdruck der Ärztin oder ein offener Widerspruch des Arztes bestätigen, was die Patientin oder der Patient schon vorher glaubte: „Meine Perspektive zählt im Sprechzimmer nicht!“ Ein weiteres Problem sind Wissenslücken aufgrund fehlender Forschung. Denn auf viele Fragen der Menschen gibt es keine eindeutigen Antworten oder wissenschaftliche Belege. Das ist bei der Prävention nicht anders. Wer gesund lebt, kann trotzdem krank werden: Ein Kettenraucher überlebt womöglich seinen abstinenten Nachbarn. Dieses Wissen erschwert die Kommunikation über sinnvolle Verhaltensänderungen.

Auch das Netz muss sich an Regeln halten

Während Ärzt:innen in ihren Sprechstunden den einzelnen Menschen in den Blick nehmen, können sich Medfluencer:innen auf allgemeine Grundsätze beschränken. Ihr Publikum weiß das und hinterfragt weniger, ob dieser Grundsatz auch für ihre persönliche Situation der richtige ist. Paradoxerweise wirken Ärzt:innen am Bildschirm oft nahbarer als hinter ihrem Schreibtisch. Das kann daran liegen, dass sie auch Persönliches preisgeben, (mehr) Witze machen oder in Jeans und T-Shirt zu sehen sind.

Internet-Ärzt:innen nutzen oft unverwechselbare Merkmale, um sich abzuheben. Viele Medfluencer:innen suchen sich einen bestimmten Schwerpunkt, bei Ärzt:innen ergibt sich dieser meist ganz von selbst. So nennt sich der Kinderarzt PD Dr. med. Michael Dördelmann im Netz „Pädicus“, der Gynäkologe Dr. med. Konstantin Wagner spart nicht mit Humor und die Ärztin und Journalistin Dr. med. Julia Fischer geht in vielen Posts mit sich selbst in den Dialog, wenn sie über allgemeine Gesundheitsthemen informiert.

Ob Medfluencer:innen der Gesundheit etwas Gutes tun oder ihr eher schaden, muss sich erst noch erweisen. Fest steht jedoch: Das Internet ist ein Kommunikationskanal, der viele Möglichkeiten bietet, um Menschen zu erreichen, deren Alltag wenige Anreize für gesundheitsbewusstes Verhalten bietet.

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