Mit Humor und einer unkonventionellen Ansprache
„Ständig müde Eisenmangel“ – solche und andere gesundheitliche Beschwerden geben viele Menschen täglich in die Maske von Suchmaschinen ein, und zwar noch bevor sie eine Praxis aufsuchen. Doch die Ergebnisse sind für drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland schwer zu verstehen und zu deuten – in der Fachsprache ist die Rede von einer niedrigen digitalen Gesundheitskompetenz. Das hat eine repräsentative Querschnittbefragung ergeben, die ein Forschungsteam der Universität Bielefeld bereits im Jahr 2022 durchgeführt hat.
Überraschend an den Ergebnissen der Befragung war jedoch etwas anderes: Erstmals gaben auch jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren an, Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen zu haben, nämlich rund 60 Prozent. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Generation Z und jünger gezielt in sozialen Medien wie TikTok, Instagram und YouTube nach Gesundheitsinhalten sucht, beispielsweise über Hashtags. Dabei stoßen die Menschen immer häufiger auf Accounts von sogenannten Medfluencer:innen.
Die Betreibenden solcher Kanäle klären oft mit Humor und einer unkonventionellen Ansprache über Gesundheitsthemen auf. Genau wie der Wahlberliner Jasper Iske. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ärztliches Personal auf Social Media benötigen, um zu zeigen, dass wir auch Menschen sind und dass Menschlichkeit zugelassen ist. Das nimmt Patienten die Hürde, mit uns Medizinern in Kontakt zu treten und ihre Fragen tatsächlich loszuwerden“, erklärt der Arzt in Weiterbildung in der Herzchirurgie seine Motivation.
Iske ist im vierten Weiterbildungsjahr. Neben der OP-Tätigkeit forscht er am Deutschen Herzzentrum der Charité zu Alterungsprozessen von Herzmuskelzellen. Während der Pandemie ist ihm aufgefallen, dass zunehmend medizinische Falschinformationen im Internet auftauchten. Viele seiner Posts widmen sich der Richtigstellung oder Einordnung von Falschbehauptungen, die auch von anderen Medizinern oder Menschen mit einem medizinischen Hintergrund stammen. Deren Accounts tauchen dann mit sichtbarem Namen in seinen Videos auf. „Als Ärzte genießen wir einen Vertrauensvorschuss“, sagt der 30-Jährige.„ Ich will dazu beitragen, dass dieses Vertrauen nicht ausgenutzt wird.“ In einem seiner letzten Videos kritisierte Iske beispielsweise einen renommierten Medizinverlag dafür, dass er das Buch „Homöopathie in der Intensiv- und Notfallmedizin“ herausgegeben hat, da es den Behauptungen der Autoren stark an Evidenz mangelt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ärztliches Personal auf Social Media benötigen, um zu zeigen, dass wir auch Menschen sind und dass Menschlichkeit zugelassen ist.
Gesundheitskommunikation für Nicht-Fachleute
Mittlerweile folgen Jasper Iske auf Instagram über 70.000 Accounts. Mit ihren Posts, Videos und Podcasts schaffen Medfluencer:innen wie er im besten Fall das, was im Alltag in Praxis und im Krankenhaus oft immer seltener gelingt. Sie erklären in einfacher Sprache Hintergründe zu Erkrankungen und liefern dabei genau das, was laut einer Studie der Universität Bielefeld fehlt: Gesundheitskommunikation, die auch für Nicht-Fachleute verständlich ist und niedrigschwellig zugänglich gemacht wird. Oft haben die Inhalte von Medfluencer:innen außerdem einen präventiven Charakter, beispielsweise wenn es um ausgewogene Ernährung und Sport geht.
Problematisch wird es nur, wenn es den Betreibenden eines medizinischen Accounts nur vordergründig um Aufklärung geht. In den vergangenen Monaten berichteten Medien wie der SWR und das ZDF Magazin Royale über verschiedene Medfluencer:innen, deren Kanäle zwar einen medizinischen Anstrich haben und oft sogar von tatsächlichen Ärzt:innen geführt werden, inhaltlich jedoch nicht dem Wissensstand der Forschung entsprechen. Teilweise werden auch kommerzielle Interessen verfolgt und es wird beispielsweise für Produkte geworben. Beides können unter Umständen Straftatbestände sein.
Sachliche, berufsbezogene Informationen
Ein Beispiel ist das Heilmittelwerbegesetz. Es untersagt Angehörigen medizinischer Berufe irreführende Werbung für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen und andere Mittel außerhalb von Fachkreisen. Ärzt:innen ist die Verbreitung von sachlichen, berufsbezogenen Informationen gestattet, jedoch keine berufswidrige Werbung, also anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Vor allem Fremdwerbung ist untersagt. Ein Beispiel hierfür sind Produkte wie Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine, die sehr oft in den sozialen Medien beworben werden. Werbung für die eigene medizinische Tätigkeit als Ärztin ist hingegen erlaubt.
Wie so oft steckt auch hier der Teufel im Detail. Daher hat die Bundesärztekammer eine Handreichung erstellt, die alles zusammenfasst, worauf „Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende bei der Nutzung sozialer Medien achten sollten“. Sie rät zum Beispiel dazu, mit vollem Namen aufzutreten und den medizinischen Hintergrund transparent darzustellen. Denn hinter medizinischen Accounts können sich Laien, Medizinstudierende oder eben promovierte Ärzt:innen verbergen. Für Nutzende ist die Seriosität auf den ersten Blick jedoch nur schwer einzuschätzen. Zumal sich einige Content-Creator den Titel „Doc“ im Namen verpassen, ohne tatsächlich ein Medizinstudium absolviert zu haben.
Ihr berufliches Tun kann und wird auch daran gemessen werden, wie Sie sich online verhalten.
Transparenz in Bezug auf Qualifikationen und Interessenkonflikte schützt vor Missbrauch und ist fair gegenüber den Nutzenden. Denn wie die Bundesärztekammer schreibt: „In Wirklichkeit sind Sie, ganz gleich, in welchem Kontext Sie sich bewegen, immer Arzt und müssen sich überlegen, wie Sie sich präsentieren. Ihr berufliches Tun kann und wird auch daran gemessen werden, wie Sie sich online verhalten.“
Im Zweifel haftbar
Während Mediziner:innen die besondere Verantwortung ihrer Arbeit im Krankenhaus und in der Praxis oft sehr bewusst ist, ist vielen nicht klar, dass sie sie auch im Privaten und somit auch in den sozialen Medien tragen. Viele nutzen beispielsweise einen privaten Instagram-Account. Dort kann es schnell passieren, dass man einen Vorfall aus dem Krankenhaus zwar anonymisiert schildert, sich über Verknüpfungen aber doch schlussfolgern lässt, um welche Patientin oder welchen Patienten es sich handelt – und es zum Bruch der ärztlichen Schweigepflicht kommt. Oder man wird per Direktnachricht oder in einem Kommentar um Rat gefragt. Die Antwort kann unter Umständen als individuelle Beratung gewertet werden, für die man als Ärztin oder als Arzt im Zweifel haften muss. Und das gilt auch, wenn all dies über den privaten Social-Media-Account passiert ist.
Die Handreichung der Bundesärztekammer ist ein Schritt, um Desinformation durch Medfluencer:innen entgegenzutreten. Sie ist als Anleitung gedacht, die zeigt, wie es richtig geht und im Sinne der Aufklärung sogar wünschenswert ist. Was jedoch bleibt, ist das Problem der mangelnden Kontrolle. Denn es gibt keine zuständige Aufsicht, die gegen irreführende Inhalte oder missbräuchliches Verhalten von Medfluencer:innen vorgeht. Verbraucherzentralen und Landesmedienanstalten scheinen bei der Flut von Posts offenbar nicht hinterherzukommen. Die Ärztekammern sind nur für Ärzt:innen zuständig und werden nur bei konkreten Hinweisen aktiv. Auch bei der Berliner Ärztekammer gab es bereits Meldungen. Förmliche berufsrechtliche Verfahren seien dabei aber nur in wenigen Fällen notwendig gewesen. „In den allermeisten Fällen sind und waren die betreffenden Ärztinnen und Ärzte in der Vergangenheit einsichtig, das heißt, sie haben nach einer Anhörung durch die Ärztekammer Berlin ihr Verhalten angepasst und die monierten berufswidrigen Tätigkeiten unterlassen“, lautet die Erfahrung der Ärztekammer Berlin.
Ärzt:innen in sozialen Medien
Worauf Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende bei der Nutzung sozialer Medien achten sollten:
In Fallbeispielen wird geschildert, wo mögliche Probleme für Ärzt:innen und Medizinstudierende liegen und wie sie ihnen begegnen können. Die Handreichung richtet sich ebenso an Neulinge wie an erfahrene Nutzer:innen sozialer Medien.
Die vom SWR und dem ZDF Magazin Royale kritisierten Medfluencer:innen betreiben ihre Accounts derweil weiterhin. Einige ihrer Aussagen hatte der Herzchirurg in Weiterbildung Jasper Iske bereits als falsch entlarvt. Er berichtet, dass er regelmäßig Anwaltsschreiben mit einer Abmahnung seitens solcher Medfluencer:innen bekommt. „Diese Schreiben kommen eigentlich nie, wenn Personen betroffen sind, sondern vor allem, wenn ich ihr Geschäftsmodell gefährde“, so Iske. Derlei Zuschriften reicht er an seine Anwältin weiter. „Ich lasse mich nicht einschüchtern“, sagt der Berliner Arzt. Und da er nicht nur einfach seine Meinung äußert, sondern wissenschaftlich objektivierbare Fakten liefert, gibt ihm das Gesetz recht. Seine Inhalte sind korrekt und leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung. Seine Followerschaft dankt ihm mit nahezu ausschließlich positiven Rückmeldungen. Und mit wohlverdientem Vertrauen.