Bis zuletzt. Die schwierige Debatte über den assistierten Suizid

Was juristisch und politisch zum Thema „assistierter Suizid“ entschieden wird, ist für Ärzt:innen von höchster Bedeutung. Drei Gesetzentwürfe und etliche Stellungnahmen liegen inzwischen dazu vor. Ein Arbeitskreis der Ärztekammer Berlin diskutiert die offenen Fragen und bereitet berufsrechtlich relevante Empfehlungen vor.

Dr. med. Thomas Schindler, Arzt für Allgemeinmedizin mit Schwerpunkt Palliativmedizin, betreut unheilbar Kranke in ihrem häuslichen Umfeld.

Der Palliativmediziner hört zu und spricht mit seinen Patient:innen über deren Alltag, über Schmerzen und körperliche Schwäche, über ihre Ängste.

So werden die rechtlichen Regelungen zum ärztlich assistierten Suizid diskutiert

Es ist erst sieben Jahre her, dass der Deutsche Bundestag dieses Gesetz verabschiedete: Am 3. Dezember 2015 wurde mit dem „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ dem deutschen Strafgesetzbuch (StGB) der Paragraf 217 hinzugefügt. Nicht zuletzt wegen der vielen gesellschaftlichen – auch ärztlich-berufspolitischen – Debatten, die dem vorausgingen, ist das noch vielen Ärzt:innen sehr präsent.

Wahrscheinlich ist es durch die Wirren der Corona-Anfangszeit zu erklären, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 26. Februar 2020 zunächst weniger Aufsehen erregte. Angesichts seines Inhalts ist das dennoch erstaunlich. Denn durch das Urteil wurde das Gesetz von 2015 samt der Ergänzung im StGB als mit dem Grundgesetz und dem dort formulierten Schutz der Persönlichkeitsrechte unvereinbar und damit für nichtig erklärt. Somit ist die „geschäftsmäßige“ Suizidhilfe, also eine auf wiederholte Hilfe zur Selbsttötung angelegte Tätigkeit von Organisationen, Vereinen und Einzelpersonen, grundsätzlich wieder straffrei möglich.

Für den Gesetzgeber ging es in gewisser Weise wieder zurück zum Start, wenn auch auf einer neuen Ebene, denn das BVerfG hat klare Worte zum Recht auf eine selbstbestimmte Sterbeentscheidung gesprochen. Auch die Ärzt:innenschaft ist von den Entwicklungen unmittelbar betroffen. „Wenn wir gar nichts täten, hätten wir den Status quo ante, ohne ein Schutzkonzept. Das können wir als Ärzte nicht wollen“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. Klaus Reinhardt im Oktober bei einer Veranstaltung der Reihe „BÄK im Dialog“.

Drei Gesetzentwürfe zur Sterbebeihilfe

Auch der Staat könne das nicht wollen, denn er habe in dieser Frage eine Schutzpflicht gegenüber den Sterbewilligen, betont eine Gruppe von mehr als 100 Bundestagsabgeordneten in der Einleitung zu einem von ihnen eingebrachten Gesetzentwurf mit dem sperrigen, aber informativen Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“. Die Schutzpflicht des Staates beinhalte es, „dafür Sorge zu tragen, dass der Entschluss zur Selbsttötung nicht nur auf einer vorübergehenden Lebenskrise oder auf einer psychosozialen Einflussnahme beruht und keine psychische Erkrankung oder eine mangelnde Aufklärung und Beratung dem Selbsttötungsentschluss zugrunde liegt“.

Diese staatliche Schutzpflicht bedürfe der Ausgestaltung und Konkretisierung. „Es ist daher Aufgabe des Gesetzgebers, ein konsistentes Regelungskonzept zu entwickeln, welches das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Schutz des Lebens auflöst.“ Dazu will diese Gruppe um Prof. Dr. Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) einen Beitrag mit ihrem Entwurf leisten. Es treibt sie die starke Sorge, die „autonome Selbstbestimmung Dritter“ könne negativ beeinflusst werden, wenn es in einer Gesellschaft leicht möglich ist, geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Und wenn das Erwartungshaltungen gegenüber Schwerkranken beeinflusst. „Das Ausschlagen von Suizidangeboten darf nicht rechtfertigungsbedürftig werden.“ Die Abgeordneten schlagen deshalb vor, einen veränderten, mit einer Ausnahmeregelung versehenen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch zu behalten. Das verschafft ihnen eine Sonderstellung unter den drei vorliegenden Gesetzentwürfen zu diesem Thema.

Nur wenn folgende Bedingungen erfüllt sind, soll es straffrei möglich sein, einem anderen Menschen beim Suizid zu helfen: Zunächst müsse „nach einer in der Regel zweimaligen Untersuchung durch einen Facharzt / eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten“ festgestellt werden, dass die Entscheidung zur Selbsttötung frei verantwortlich getroffen wurde. Zweitens sei dann eine „umfassende ergebnisoffene Beratung in einem auf die Situation des/der Betroffenen angepassten interdisziplinären Ansatz“ erforderlich. Insbesondere bei Vorliegen einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung könne die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung über die Selbsttötung im Ausnahmefall auch nach einem einzigen Untersuchungstermin getroffen werden. Drittens sieht dieser Entwurf flankierend ein strafbewehrtes Verbot für bestimmte Formen der Werbung der Hilfe zu Selbsttötung vor, „um der gesellschaftlichen Normalisierung der Hilfe zur Selbsttötung wirksam entgegenzuwirken“. Bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags Ende November 2022 wurde allerdings deutlich, dass dieser „Castellucci“-Entwurf nach Ansicht mehrerer juristischer Expert:innen nur schwer mit dem Verständnis des BVerfG von einem Recht auf selbstbestimmtes Sterben in Einklang zu bringen ist – im Unterschied zu den beiden anderen Entwürfen.

Kriterium „gegenwärtige medizinische Notlage“

Unter den Kurztitel „Selbstbestimmtes-Sterben-Gesetz“ stellen rund 50 Abgeordnete um Renate Künast (Bündnis 90 / Die Grünen) und Dr. Nina Scheer (SPD) ihren Gesetzesvorschlag. Als Ziel wird gleich zu Beginn der sichere Zugang zu bestimmten Betäubungsmitteln genannt, mit denen sich Betroffene ihren Suizidwunsch erfüllen können. Dabei unterscheiden die Autor:innen deutlich zwischen zwei Gruppen von Betroffenen: Menschen, die ihren Tod aufgrund einer schweren Krankheit, also aus einer „gegenwärtigen medizinischen Notlage“ heraus anstreben, und anderen, die das ohne eine solche Lebenssituation tun. Nur im ersten Fall soll die Ärzt:innenschaft bei der Prüfung der Frage, ob das „benötigte Hilfsmittel“ zur Verfügung gestellt werden sollte, eine entscheidende Rolle spielen. Als Hilfsmittel wird hier ausdrücklich das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital genannt.

Den Initiator:innen dieses Entwurfes ist es wichtig, dass im zweiten Fall, also bei gesunden Sterbewilligen, höhere Anforderungen an die Betroffenen gestellt werden, was die glaubhafte Darlegung des Sterbewunsches, seiner Ursache und seiner Dauerhaftigkeit betrifft. Schon wegen des „Selbstbildes der Ärzteschaft“ dürften diese in solchen Fällen ohne medizinische Notlage nicht in eine entscheidende Rolle gedrängt werden. Wichtig seien dagegen zugelassene Beratungsstellen und eine Landesstelle, die jeweils für den Zugang zum Betäubungsmittel zuständig ist.

Das „Selbstbestimmte-Sterben-Gesetz“ enthält zudem eine Pflicht zur Evaluierung: Spätestens drei Jahre nach Inkrafttreten soll nach dem Willen der Verfasser:innen die Bundesregierung dem Parlament über die Auswirkungen Bericht erstatten. Werbung in grob anstößiger Weise für Leistungen im Rahmen des Gesetzes soll als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Suizidhilfe per Rechtsverordnung

Der dritte Entwurf wurde unter dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe“ von rund 80 Abgeordneten um Katrin Helling-Plahr, Prof. Dr. med. Karl Lauterbach (SPD) und Dr. Petra Sitte (Die Linke) vorgebracht). Er setzt schon in seiner Wortwahl und mit der vorangestellten Problembeschreibung einen deutlich anderen Akzent: Wenngleich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die Beihilfe zur Selbsttötung (wieder) legal ist, bestünden noch immer faktische Hürden, betonen die Autor:innen. „Menschen, die sehnlichst sterben möchten und Menschen, die bereit sind, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten, sehen sich insoweit einer nicht hinreichend geregelten Rechtsmaterie ausgesetzt. So ist es beispielsweise weiterhin nicht möglich, Medikamente zur Selbsttötung zu erhalten.“ Ziel des Gesetzentwurfes sei es, unter diesen Umständen das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ abzusichern und klarzustellen, dass die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist. Mit dem Gesetzentwurf wolle man den vom Bundesverfassungsgericht dargebotenen Normierungsspielraum nutzen, „um Menschen, die ernstlich sterben möchten und diesen Wunsch frei und eigenverantwortlich im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gebildet haben, ebenso wie Personen, die zur Hilfe bereit sind, einen klaren Rechtsrahmen zu bieten.“

Den „Normierungsspielraum“ nutzen die Abgeordneten, die hinter diesem dritten Entwurf stehen, um gesetzlich eine durch die Länder organisierte Beratungsinfrastruktur festzulegen. Staatlich anerkannte, wohnortnahe Beratungsstellen, die auch von freien Trägern oder von Ärzt:innen eingerichtet werden können, aber auf jeden Fall unabhängig von Einrichtungen mit dem Angebot zur Suizidhilfe arbeiten müssen, sollen Suizidwillige umfassend informieren und beraten. Ärztinnen und Ärzte wiederum dürften, anschließend an eine höchstens acht Wochen, mindestens aber zehn Tage zurückliegende Beratung, einer Person, „die aus autonom gebildetem, freiem Willen ihr Leben im Sinn des § 3 beenden möchte“, ein Arzneimittel zum Zweck der Selbsttötung verschreiben. Details dieser Suizidhilfe per Rechtsverordnung zu regeln, etwa zur fachlichen Qualifikation der Ärzt:innen, zu Meldepflichten und zur Vergütung, soll nach dem Willen dieser Gruppe von Abgeordneten Aufgabe des Bundesgesundheitsministeriums sein. Das Betäubungsmittelgesetz soll so verändert werden, dass es die ärztliche Verschreibung der nötigen Medikamente ermöglicht. Neben einem jährlichen Bericht der Bundesregierung über vorgenommene Beratungen und Verschreibungen sieht der Gesetzentwurf ebenso wie der von Künast und Scheer eine Evaluierung der Wirksamkeit des Gesetzes vor, erstmals nach drei Jahren. Als einziger Entwurf enthält der von Helling-Plahr, Lauterbach und Sitte auch die Einschränkung der Gültigkeit für Menschen „mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland“. So möchte man verhindern, dass die Bundesrepublik zum „Land des internationalen Sterbetourismus“ wird.

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Änderung der (Muster-)Berufsordnung

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bestand auch berufspolitisch Handlungsbedarf. Am 5. Mai 2021 wurde beim 124. Deutschen Ärztetag beschlossen, das ausdrückliche berufsrechtliche Verbot ärztlicher Suizidhilfe aus der (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer herauszunehmen. Der Satz „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ entfiel damit. In der (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer heißt es nun unter § 16: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen.“ Und, mit ausdrücklichem Bezug auf die strafbare „Tötung auf Verlangen“: „Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten.“ Zudem dürfe es niemals Aufgabe der Ärzt:innenschaft sein, für Nichterkrankte eine Indikation, Beratung oder gar Durchführung eines Sterbewunsches zu vollziehen. Der Antrag hierzu kam aus Berlin.

Rein gesetzestechnisch betrachtet befindet sich unser Land nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auf dem Stand vor der Verabschiedung des Gesetzes von 2015. Doch in der Diskussion hat sich viel getan. Zum Beispiel liegt seit dem 22. September 2022 eine ausführliche Stellungnahme des Deutschen Ethikrates mit dem Titel „Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit“ und schon etwas länger, seit Juli 2021, ein Diskussionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zur „Neuregelung des assistierten Suizids“ als „Beitrag zur Debatte“ vor. Die Akademie wünscht sich einen „breiten gesellschaftlichen Diskurs“ zu dem Thema.

Die Bundesärztekammer wiederum hat sich am 23. November 2022 mit einem Papier zur Bewertung der drei neuen Gesetzentwürfe und mit detaillierten Änderungswünschen eingebracht. Sie begrüßt ausdrücklich, dass alle Entwürfe eine verpflichtende Beratung sowie ein Schutzkonzept vorsehen und dass im Castellucci-Vorschlag die Fachlichkeit von Psychiater:innen einbezogen ist. Am Künast-Entwurf wird die deutliche Unterscheidung zwischen schwer kranken Menschen mit Sterbewunsch und solchen, die sich aus anderen Gründen Assistenz beim Suizid wünschen, lobend hervorgehoben. Die Bundesärztekammer begrüßt, dass Ärzt:innen nur bei der Prüfung von Fällen aus der ersten Gruppe eine entscheidende Rolle spielen sollen. Generell spricht sie sich dafür aus, auch ältere, schwerkranke Jugendliche in die Überlegungen einzubeziehen, und auf jeden Fall sei eine umfassende und fortlaufende Evaluation nötig, die im Castellucci-Entwurf nicht vorgesehen ist. Kurz: Keiner der vorgelegten Entwürfe genügt allen Anforderungen, die im Papier der Bundesärztekammer gestellt werden.

Palliativmediziner:innen sind der Linderung von Leid am Lebensende verpflichtet – sie sind keine Suizid-Expert:innen, werden aber immer häufiger in diesem Kontext angesprochen. Allein ihrem Gewissen werden sie zu folgen haben bei der Frage, ob sie einem unheilbar kranken Menschen am Lebensende tödlich wirkende Mittel verschreiben. In ihrer Entscheidung für oder gegen eine solche Hilfestellung sind sie zu respektieren.

Dr. med. Thomas Schindler

Debatten im Arbeitskreis „Ärztlich assistierter Suizid“

Auch in der Ärztekammer Berlin wird intensiv diskutiert, wie sich die Lage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes darstellt. Im Herbst 2021 wurde beschlossen, dass die Berufsordnung der Kammer unverändert bestehen bleibt, bis die Gesetzeslage klar ist. Da die Berufsordnung im Unterschied zu den Festlegungen anderer Landesärztekammern eine „Sollbestimmung“ und kein ausdrückliches Verbot enthält („Ärzte sollen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ statt „Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“), besteht nach Auskunft der Juristin Martina Jaklin, Leiterin der Abteilung Berufs- und Satzungsrecht der Ärztekammer Berlin, etwas mehr Spielraum und kein akuter Handlungsbedarf. Die Ärztekammer Berlin hat also bisher noch keine Änderungen an ihren Regelungen zum ärztlich assistierten Suizid vorgenommen. Sie hat aber einen Arbeitskreis eingerichtet, der Vorschläge zur Anpassung der Berufsordnung erarbeitet.

Diskussionsbedarf besteht durchaus: Prof. Dr. med. Jörg Weimann, Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin am Sankt Gertrauden-Krankenhaus, berichtet von zum Teil kontroversen Debatten im interfraktionellen Arbeitskreis „Ärztlich assistierter Suizid“ der Ärztekammer Berlin, dessen Vorsitzender er ist. Als besonders aufwühlend empfindet er, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, anders als in anderen europäischen Ländern, Menschen unabhängig von schwerer, lebensbedrohlicher Krankheit ein Recht auf (ärztliche) Assistenz beim Suizid zugesprochen wird, auch gesunden Menschen, die keine Patient:innen sind. Weimann hält das eindeutig nicht für eine ärztliche Aufgabe. Sein Eindruck von den bisherigen Diskussionen im Arbeitskreis: „Ärztinnen und Ärzte wollen bei schwer kranken Patient:innen im Einzelfall wohlabgewogene Entscheidungen treffen können, sie sehen es aber nicht als ihre ärztliche Aufgabe an, gesunden Menschen bei deren Suizid zu assistieren.“

Die politischen Überlegungen zu einem neuen Gesetz könnten die Arbeit von Mediziner:innen konkret betreffen. „Am Ende gibt es bei allen drei Entwürfen eine Art Papier, mit dem kommen die Menschen dann zu Ihnen“, macht Weimann seinen ärztlichen Kolleg:innen die Dringlichkeit der Diskussion deutlich. „Wir werden in der Ärztekammer Berlin beschließen müssen, welche Haltung wir dazu einnehmen.“ Im Arbeitskreis werde man weiter diskutieren und überlegen, welche Regelungen man der Delegiertenversammlung und dem Vorstand der Ärztekammer Berlin vorschlagen wolle, ergänzt Martina Jaklin. Tendenziell hält die Juristin stärkere Regulierungen bei Suizidwünschen von Gesunden für nötig. „Was die Schwerkranken betrifft, so nutzen Ärztinnen und Ärzte die heute bereits bestehenden rechtlichen Spielräume.“

„Diese Begleitung Schwerkranker ist nichts anderes als das, was wir Palliativmedizin nennen“, ergänzt Weimann. Auch hier werden Medikamente gegeben, etwa im Rahmen der „palliativen Sedierung“, die in einigen Fällen den Tod – im Sinne der Inkaufnahme einer Nebenwirkung – beschleunigen könnten, die sogenannte indirekte Sterbehilfe. „Der kleine, aber gewichtige Unterschied liegt in der Zielrichtung meines Tuns“, erläutert Weimann. „Ist das Therapieziel der Tod, oder ist es Schmerz- und Leidensminderung?“

Derweil sehen sich Ärztinnen und Ärzte in Kliniken und Praxen immer wieder mit der Frage nach dem assistierten Suizid konfrontiert. „Ich bin froh über jeden, der mich auf das Thema anspricht“, sagt die hausärztlich tätige Internistin und Delegierte Dr. med. Irmgard Landgraf, deren Steglitzer Praxis eng mit dem Agaplesion Bethanien Sophienhaus zusammenarbeitet und die seit sieben Jahren palliativmedizinisch tätig ist. Man müsse sich dann die Zeit nehmen, um genau zu erfahren, was hinter dem Sterbewunsch steckt. Und man brauche den aufmerksamen Blick für die Ambivalenz, die diesen Wunsch in vielen Fällen kennzeichnet.

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Wie können Ärzt:innen Menschen am Lebensende beistehen?

Die OSTKREUZ-Fotografin Sibylle Fendt hat den Palliativmediziner Dr. med. Thomas Schindler bei Hausbesuchen im Berliner Westen begleitet.

Problematische Rolle der Sterbehilfeorganisationen

Der Berliner Internist Dr. med. Michael de Ridder, langjähriger Leiter der Rettungsstelle am Vivantes Klinikum am Urban und Mitbegründer des Vivantes Hospizes in Berlin-Tempelhof, hat im Jahr 2016 gemeinsam mit anderen gegen den 2015 eingeführten Paragrafen 217 des StGB geklagt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erschien 2021 sein Buch mit dem programmatischen Titel „Wer sterben will, muss sterben dürfen – Warum ich schwer kranken Menschen helfe, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden“. In einem großen Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ bekennt de Ridder Mitte Juni 2022 freimütig, in einigen Fällen schon Suizidhilfe geleistet zu haben – nachdem er alle Alternativen zur Selbsttötung ausführlich mit den Patient:innen besprochen habe. Seinen Patient:innen „in schwerster Not zu helfen, unerträgliches Leid zu beenden“, gehöre für ihn dazu. Und noch etwas ist de Ridder wichtig: „Mir wäre es lieber, wenn die Sterbehilfeorganisationen mit dem neuen Gesetz überflüssig würden, denn die Vereine haben gerade nicht das Vertrauensverhältnis zu den Patienten wie wir Ärzte. Auch sollte sich niemand mehr wie heute im Ausland Hilfe suchen müssen.“

Nicht zuletzt an diesem Punkt setzt die Grundsatzkritik der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) an den beschriebenen Gesetzentwürfen an. Eine Eingrenzung unerwünschter Aktivitäten von Suizidhilfeorganisationen sehe man in keinem der drei Entwürfe, schreibt der Vorstand in einer Stellungnahme vom 23. November 2022. Zudem seien viele der vorgeschlagenen Regelungen mangelhaft, unscharf oder auch missverständlich formuliert. Jeder der Entwürfe führe zu einer „Juristisierung“ des Lebensendes, „in der persönliche Einlassungen fast keine Rolle mehr spielen“, so DGP-Vizepräsident Dr. med. Bernd Oliver Maier. Die gewählten Fristen und die Konzepte, mit denen die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Sterbewünsche ermittelt werden sollen, bezeichnen die Palliativmediziner:innen in ihrer Grundsatzkritik als „willkürlich“. Kurz: Die DGP spricht sich dagegen aus, einen der drei vorliegenden Entwürfe umzusetzen – zumal es mit einem Gesetz zum assistierten Suizid keine Eile habe: „Die aktuell bestehende Gesetzeslage bietet bereits einen Handlungsspielraum, der die Umsetzung der Suizidassistenz prinzipiell ermöglicht.“

Stattdessen solle die gesellschaftliche Diskussion zu dem Thema fortgesetzt werden. Dass diese teilweise sehr kontrovers geführt wird, zeigte sich auch bei der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages Ende November 2022. Dort blieb kein Zweifel: Die Frage, wie ärztliche Sterbebegleitung gestaltet werden kann, wird uns weiter begleiten.

Im Fokus: Interviews zum Thema

Ein Gespräch mit der Internistin und Hausärztin Dr. med. Irmgard Landgraf. Die Delegierte der Ärztekammer Berlin betreut seit Jahren auch Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen hausärztlich.

Ein Gespräch mit Dr. med. Bernd Oliver Maier, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Chefarzt Palliativmedizin und Onkologie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden.

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