„Suizidprävention muss Normalität werden, Suizidassistenz absolute Ausnahme bleiben“

Ein Gespräch mit Dr. med. Bernd Oliver Maier, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Chefarzt Palliativmedizin und Onkologie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden.

Dr. med. Bernd Oliver Maier
Interview mit
Dr. med. Bernd Oliver Maier

Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin

Foto: Reinhard Berg

Allein das Darüber-Sprechen-Dürfen hat für viele Betroffene eine sehr entlastende Wirkung. Wir müssen dem Thema Raum geben, den Äußerungen der Patient:innen respektvoll begegnen. Wir dürfen Sterbe- und Todeswünsche nicht banalisieren.

Dr. med. Bernd Oliver Maier,
Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Chefarzt Palliativmedizin und Onkologie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden

Redaktion: Herr Dr. Maier, was sollten Ärzt:innen tun, wenn Patient:innen Todeswünsche äußern?

Dr. med. Bernd Oliver Maier: Es gilt zuallererst genau hinzuhören und herauszufinden, was die konkrete Situation ausmacht. Wir sollten einen solchen Wunsch nicht als Auftrag verstehen, das wäre fast so etwas wie ein ärztlicher Kunstfehler. Wir müssen derartige Äußerungen unserer Patient:innen auch ein Stück weit diagnostisch betrachten. Wenn wir als Ärztinnen und Ärzte zum Ausdruck bringen, dass ein Todeswunsch uns berührt, und wenn wir empathisch nachfragen, dann antworten Patient:innen in den allermeisten Fällen: Ich will so nicht mehr leben. Das ist auch als versteckter Auftrag zu verstehen, etwas an der Situation zu verbessern. Allein das Darüber-Sprechen-Dürfen hat für viele Betroffene eine sehr entlastende Wirkung. Wir müssen dem Thema Raum geben, den Äußerungen der Patient:innen respektvoll begegnen. Wir dürfen Sterbe- und Todeswünsche nicht banalisieren.

Werden diese Wünsche durch eine optimale palliativmedizinische Betreuung bedeutungslos?

Wir müssen aufpassen, dass wir keine palliativmedizinisch motivierten Heilsversprechen geben. Egal, wie gut wir sind, wir werden den Wunsch nach Suizidassistenz nicht ganz und gar überflüssig machen. Ich glaube tatsächlich, dass auch dann einige wenige Fälle übrig bleiben werden, in denen der Suizid die tragische und unausweichliche Option darstellt. Klar ist: Suizidprävention muss Normalität werden, Suizidassistenz absolute Ausnahme bleiben. Wenn ein Mensch, der als Arzt oder Ärztin die „Methodenkompetenz“ für den Umgang mit Medikamenten mitbringt, einem anderen Menschen dabei hilft, so ist das faktisch heute nicht verboten. Diesem Ausnahmefall wurde mit der Änderung der (Muster-)Berufsordnung ja schon Rechnung getragen. Persönlich möchte ich aber berichten: Ich habe sicher schon tausende Menschen beim Sterben begleitet, die Suizidassistenz hat mir im „Repertoire“ meiner ärztlichen Möglichkeiten dabei nicht gefehlt.

Ihre Fachgesellschaft bezeichnet Palliativmedizin als Teil der Suizidprävention. Warum?

Es ist ein Teil unserer Arbeit, dass wir Menschen in Not erleben. Ihre größte Sorge ist oft eine Zukunft in Abhängigkeit, mit Schmerzen und mit Demütigungen. Wir wissen, dass wir ihnen viel anzubieten haben, wir können ihren Lebensmut trotz der herausfordernden Situation, die durch ihre Krankheit entsteht, stärken. Das muss aber viel bekannter gemacht werden, denn noch bestehen hier viele falsche Vorstellungen.

Was ist mit den Menschen, die Unterstützung beim Suizid wünschen, deren Lebenserwartung aber nicht durch eine schwere Krankheit verkürzt ist?

Als Palliativmediziner sprechen wir vor allem für lebensbedrohlich Erkrankte. Die Situation ist sicher noch schwieriger, wenn keine schwere Krankheit Grund für den Suizidwunsch ist. Das Grundrecht, sich selbst das Leben zu nehmen, besteht zwar unabhängig davon, doch der Mitwirkungsvorbehalt des Arztes spielt in diesem Fall eine stärkere Rolle. Wichtig ist dafür ein erweitertes Verständnis der sozialen und psychischen Situation der Betroffenen, denen wir durch das gemeinsame Tragen von Leid Rückhalt geben müssen. Auf keinen Fall wollen wir die „Spezialisten für Sterbehilfe“ sein.

Welche Gefahren sehen Sie in neuen gesetzlichen Regelungen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes?

Alle drei Ansätze bieten eine einfache Lösung für ein kompliziertes Problem. Schutzkonzepte lassen sich nicht so leicht operationalisieren. Man hat dann zwar Rechtssicherheit, aber die individuelle Bedeutung der Situation erfährt keine Würdigung. Dabei wissen und würdigen wir, dass viele Abgeordnete konstruktiv um Lösungen ringen.

Aus unserer Erfahrung heraus erkennen wir aber, wie schwierig dieses Unterfangen ist. Wir sind aktuell nicht in der Situation, dass wir schnellstmöglich gesetzliche Regelungen brauchen. Die Ärzt:innen gewinnen dadurch nichts für ihre praktische Arbeit. Gesetze sollten vordringlich den Regelfall normieren und nicht einen Ausnahmefall. Also sollten wir lieber Maßnahmen anstoßen, mit denen die palliativmedizinische Versorgung und die Suizidprävention verbessert werden. Neue gesetzliche Gegebenheiten könnten in der aktuellen Situation übrigens den professionell agierenden Sterbehilfeorganisationen nützen, denn sie sind am ehesten dazu in der Lage, sich darauf einzustellen. Bevor wir ein schlechtes Gesetz haben, sollten wir die Diskussion fortsetzen. Die Ärzt:innenschaft sollte sich aus ihrer eigenen Meinungshoheit dem Thema stellen und in die Diskussion einsteigen. Wir dürfen uns nicht wegducken.

Im Fokus: Mehr zu diesem Schwerpunkt

Ein Gespräch mit der Internistin und Hausärztin Dr. med. Irmgard Landgraf. Die Delegierte der Ärztekammer Berlin betreut seit Jahren auch Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen hausärztlich.

Was juristisch und politisch zum Thema „assistierter Suizid“ entschieden wird, ist für Ärzt:innen von höchster Bedeutung. Drei Gesetzentwürfe und etliche Stellungnahmen liegen inzwischen dazu vor. 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Wir freuen uns über Ihr Feedback!

Ja
Nein

Vielen Dank!

Zur Ärztekammer Berlin