„Jeder Mensch braucht einen Arzt, mit dem er über Todeswünsche sprechen kann“

Ein Gespräch mit der Internistin und Hausärztin Dr. med. Irmgard Landgraf. Die Delegierte der Ärztekammer Berlin betreut seit Jahren auch Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen hausärztlich.

Dr. med. Irmgard Landgraf
Interview mit
Dr. med. Irmgard Landgraf

Internistin und Hausärztin

Foto: Kathleen Friedrich

Einige haben Angst vor einem langen Leiden und einem qualvollen Tod. Als Ärztin signalisiere ich, dass ich sie dabei nicht im Stich lasse, ich versuche, ihnen Mut zu machen.

Dr. med. Irmgard Landgraf,
Fachärztin für Innere Medizin, Hausärztin mit geriatrischem Schwerpunkt

Redaktion: Frau Dr. Landgraf, wie häufig hören Sie Wünsche wie: „Ich möchte nicht mehr leben, ich möchte am liebsten gleich sterben!“ oder „Frau Doktor, können Sie mir dabei helfen?“

Dr. med. Irmgard Landgraf: Bei hochbetagten und alten, hinfälligen Menschen kommt es öfter vor, dass sie fragen: Wie lange muss ich noch leben? Oder: Muss ich die ganzen Medikamente nehmen? Es kommt auch immer wieder vor, dass Patientinnen und Patienten sich nach Sterbehilfeorganisationen erkundigen.

Wie gehen Sie damit um?

Ich rate ganz deutlich von diesem Weg ab und erkläre gleichzeitig: Sie können hier palliativmedizinisch versorgt werden, ich begleite Sie dabei. Ich kann Ihnen versprechen, dass Sie sich nicht quälen müssen. Dafür könnte ich viele Beispiele anführen, etwa das der Frau Mitte 90, die ihre Familie zusammengerufen hat, um den Angehörigen zu erklären, sie werde nach einer Krankenhausbehandlung nicht mehr auf die Beine kommen. Sie wolle nun nicht mehr essen und trinken und ihre Medikamente nicht mehr nehmen. Sie ist dabei geblieben, langsam schwächer geworden und schließlich mit guter medizinischer Begleitung sanft gestorben.

So dezidiert ist aber nicht jeder Todeswunsch.

Das ist sehr wichtig: In vielen Fällen sind Todeswünsche ambivalent. Ich nenne Ihnen ein sprechendes Beispiel: Ein alter Herr, dessen Ehefrau vor einiger Zeit verstorben war, hat sich bei mir recht dringlich nach Möglichkeiten zur Hilfe bei der Selbsttötung erkundigt. Nach dem ausführlichen Gespräch über die Gründe für seine Lebensmüdigkeit, in dem er von seiner Einsamkeit und Traurigkeit erzählte, wollten wir uns gerade verabschieden. Da fiel dem Patienten noch etwas ein: Er hatte in diesem Jahr seine Grippeschutzimpfung noch nicht bekommen und fragte nach einem Termin dafür. Spätestens da war klar: Er wollte nicht wirklich aus dem Leben gehen, er wollte nur seiner Frau nachgehen.

Was können Sie direkt nach einer schlimmen Diagnose für Ihre Patient:innen tun?

Wenn Patient:innen mit einer solchen Diagnose kommen, nutze ich das, um zu fragen, was ihnen noch wichtig ist. Es hilft meist, gleich zu Beginn einen richtigen Plan zu machen, wie sie ihre Lebenszeit nutzen und einen guten Ausstieg aus ihrem Leben finden können. Oft gibt es ungeklärte Fragen mit lieben Menschen. Dann ist es wichtig, dass auch die Kinder in das Pflegeheim kommen – in vielen Fällen kann man wirklich noch etwas anbahnen. Viele Betroffene wollen bilanzieren. Man kann sie und ihre Familien als Hausärztin gut auffangen.

Einige haben Angst vor einem langen Leiden und einem qualvollen Tod. Als Ärztin signalisiere ich, dass ich sie dabei nicht im Stich lasse, ich versuche, ihnen Mut zu machen. Wenn es wirklich darum geht, dass der Abschied ansteht, kann ich Angehörigen Ratschläge für dessen Gestaltung geben. Das kann recht unkonventionelle Formen annehmen: So hat die Ehefrau eines Mannes, der früher gern jeden Abend ein Glas Wein getrunken hatte, in der Sterbephase die Mundpflege mit ein wenig Rotwein gemacht. Sie konnte etwas für ihn tun, was niemand sonst konnte.

Wie ist Ihre Haltung zum ärztlich assistierten Suizid?

Ich biete den Menschen eine Alternative an. Damit bin ich in 30 Jahren hausärztlicher Tätigkeit gut zurechtgekommen. Ich denke aber, wenn ein Mensch trotz guter Beratung keine Alternative zum assistierten Suizid für sich sieht, sollten Ärzt:innen ihm dabei helfen, den richtigen Weg zu finden, auch um harte Suizide zu vermeiden. Auch das gehört zu einer patientenzentrierten Medizin. Ich bin aber sicher, dass es nicht so häufig ist. Jeder Mensch braucht eine Ärztin oder einen Arzt, mit dem er vertrauensvoll auch über solche Wünsche und Gedanken sprechen kann. Dafür benötigen wir Zeit. Mir ist ganz wichtig, dass wir diese Zeit bekommen. Solche präventiven Gespräche sollten als besondere Beratungsgespräche in unsere Gebührenordnung aufgenommen werden.

Im Fokus: Mehr zu diesem Schwerpunkt

Ein Gespräch mit Dr. med. Bernd Oliver Maier, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Chefarzt Palliativmedizin und Onkologie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden.

Was juristisch und politisch zum Thema „assistierter Suizid“ entschieden wird, ist für Ärzt:innen von höchster Bedeutung. Drei Gesetzentwürfe und etliche Stellungnahmen liegen inzwischen dazu vor. 

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