Für das Menschenrecht auf Gesundheit

Mit dem „Internationalen Tag der Menschenrechte“ am 10. Dezember erinnern die Vereinten Nationen jedes Jahr daran, dass diese Rechte weltweit immer wieder verletzt werden. So auch das Menschenrecht auf Gesundheit. Aus diesem Anlass hatte die Ärztekammer Berlin im Jahr 2022 in einer Presserklärung mehr staatliche Unterstützung für die medizinische Versorgung nicht krankenversicherter Menschen gefordert.

Nicht krankenversichert trotz Versicherungspflicht

Insbesondere wir Ärzt:innen seien in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass jedem Menschen eine angemessene Gesundheitsversorgung gewährt werde, so Präsident PD Dr. med. Peter Bobbert in der Presseerklärung. Seitdem hat sich wenig zum Besseren verändert. Vor allem ist die Politik bis heute eine grundsätzliche Lösung des Problems schuldig geblieben.

Vergegenwärtigen wir uns: In einem reichen Land wie Deutschland mit einem der teuersten und besten Gesundheitssysteme der Welt gibt es Menschen, die trotz Versicherungspflicht nicht krankenversichert sind. Das betrifft Menschen mit Beitragsschulden, häufig Wohnungslose und regelmäßig Migrant:innen ohne geregelten Aufenthaltsstatus und auch EU-Bürger:innen ohne Versicherungsschutz im Herkunftsland. Ohne Versichertenkarte kann im Fall einer Erkrankung keine ärztliche Behandlung in Anspruch genommen werden. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung wird verwehrt. 

Vergegenwärtigen wir uns auch: Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist ein unveräußerliches Menschenrecht. Deutschland hat sich durch die Ratifizierung internationaler Vereinbarungen wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel 25), dem UN-Sozialpakt (Artikel12), der Charta der Grundrechte der EU (Artikel 12) und der UN-Deklaration "Universal Health Coverage" dem Menschenrecht auf bestmögliche Gesundheit verpflichtet. Dies bedeutet, das Recht auf Gesundheit zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Darin sind sich auch alle demokratischen Parteien in ihren gesundheitspolitischen Grundsatzprogrammen einig.

Einwohnerzahl einer mittelgroßen deutschen Stadt

Wie viele Menschen derzeit keinen oder nur einen erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung haben, ist nicht genau bekannt. Die Zahl von 61.000 Menschen ohne Krankenversicherung in Deutschland unterschätzt das Problem gewaltig. Diese Zahl stammt aus dem 
letzten Mikrozensus 2016, der nur Personen mit festem Wohnsitz erfasst. Allein für Berlin geht die Berliner Stadtmission von einer Größenordnung von etwa 60.000 bis 80.000 Menschen aus. Das entspricht der Einwohnerzahl einer mittelgroßen deutschen Stadt und legt die Forderung nach einem staatlich finanzierten Zugang zu medizinischer Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung nahe.

Als Teilerfolg dieser Forderung gibt es seit 2019 die sogenannte Clearingstelle für nicht krankenversicherte Menschen bei der Berliner Stadtmission. Ein nichtstaatlicher Träger – in diesem Fall die Berliner Stadtmission – übernimmt staatlich gefördert die medizinische Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung und prüft dabei, ob Ansprüche auf Teilhabe an der regulären Krankenversicherung bestehen. In der Versorgungsrealität gelingt es jedoch aufgrund des zahlenmäßig hohen Bedarfs aber nicht, die Versorgungslücke zu schließen.

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Die Verantwortung für die gesundheitliche Versorgung dieser Menschen liegt daher weiterhin bei zivilgesellschaftlichen Initiativen und ehrenamtlich getragenen Strukturen. Akteure sind das seit 1996 agierende Medibüro Berlin in Kreuzberg, seit 2001 die Malteser Praxis für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM) in Wilmersdorf, OPEN-med Zehlendorf, 2016 aus einer Initiative von Ärzt:innen zur Versorgung von Geflüchteten hervorgegangen sowie OPEN-med Lichtenberg, 2022 von „Ärzte der Welt„ auf Grund des nach wie vor steigenden Bedarfs initiiert. Die Caritas und die Berliner Stadtmission engagieren sich seit Jahrzehnten besonders in der Betreuung von wohnungslosen Menschen. Diese Initiativen arbeiten nach einem ähnlichen Prinzip. Die ärztliche und nichtärztliche Mitarbeit erfolgt in der Regel ehrenamtlich. Die Einrichtungen versorgen Patient:innen direkt vor Ort oder sie vermitteln an Netzwerke kooperierender Haus- und Facharztpraxen, die anonym und kostenfrei weiterbehandeln. Die Kosten für Medikamente, Hilfsmittel, Laboruntersuchungen sowie endoskopische und bildgebende Diagnostik werden aus Spendengeldern finanziert. 

Gut ausgestattet

Patient:innen mit rechtlichen Fragen rund um den Zugang zu einer Krankenversicherung, Aufenthaltstitel sowie sozialen Themen werden an kooperierende Beratungsstellen weitervermittelt. Im Notfall werden die Patient:innen an das nächstgelegene geeignete Krankenhaus weitergeleitet. Auf Grund der ärztlichen Schweigepflicht und des daraus resultierenden verlängerten Geheimnisschutzes dürfen die persönlichen Daten der Patient:innen vom Verwaltungspersonal des Krankenhauses nicht an die Ausländerbehörde gemeldet werden. Daraus ergibt sich ein gewisser Schutz vor Abschiebung.

Die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung bietet berlinweit das umfangreichste medizinische Versorgungsangebot an. Träger ist ein Verein des Malteserordens, die Praxis ist einer von 19 Standorten der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung in Deutschland. Sie befindet sich im Schwesternwohnheim des St. Gertrauden-Krankenhauses in der Aachener Straße in Wilmersdorf. Die Praxis ist dienstags bis freitags von 9 bis 13 Uhr geöffnet. Die Praxis verfügt über eine gute technische Basisausstattung: Zahnbehandlungseinheit, gynäkologische Untersuchungseinheit, Ruhe-EKG und Spirometrie, zwei Ultraschallgeräte mit, Farbdoppler-Sonographie und Vaginalsonde, Tokogramm und Basislabor mit Point-of-Care-Diagnostik.

Die Anzahl der Behandlungszimmer erlaubt es, drei Sprechstunden gleichzeitig parallel abzuhalten. Derzeit wird auch eine Montagssprechstunde angeboten, deren Finanzierung jedoch nur bis zum Jahresende gesichert ist. Der Senat finanziert Teilzeitstellen für einen medizinischen Leiter, eine Praxismanagerin, eine Sozialarbeiterin, eine medizinische Fachangestellte (MFA) und 3 geringfügig beschäftigte MFA. Zusammen mit 30 ehrenamtlich tätigen Ärzt:innen sowie 10 ehrenamtlich tätigen Helfenden werden zweimal wöchentlich allgemeinmedizinische, gynäkologische und zahnmedizinische Sprechstunden sowie einmal wöchentlich eine pädiatrische, alle zwei Wochen eine orthopädische und einmal monatlich eine dermatologische Sprechstunde angeboten. 

Schwerpunkt verlagert sich auf Behandlung chronischer Erkrankungen

Im Jahr 2023 wurden 4.200 Patient:innen behandelt. Die drei häufigsten Herkunftsländer bzw. -gebiete sind Vietnam, (35 Prozent der Patient:innen), Serbien (10 Prozent der Patient:innen) und unterschiedliche afrikanische Länder (6 Prozent der Patient:innen), mit steigender Tendenz bei Osteuropa und Lateinamerika. Der Anteil deutscher Patient:innen ohne Krankenversicherungsnachweis liegt bei 6 Prozent. Die Hälfte der Beratungs- und Behandlungsanlässe sind allgemeinmedizinischer Natur. Das Krankheitsspektrum unterscheidet sich kaum von Praxen in sozialen Brennpunkten. Allenfalls sind die Erkrankungen weiter fortgeschritten, weil die Angst vor Abschiebung die Kontaktaufnahme verzögert hat. Lebensumstände wie Armut, kein fester Wohnsitz, kein soziales Netzwerk, keine Familie sowie die Sprachbarrieren erschweren eine kontinuierliche Gesundheitsversorgung.

Die andere Hälfte der Patient:innen verteilt sich etwa zu gleichen Teilen auf Zahnmedizin, Pädiatrie und Gynäkologie. Der Schwerpunkt der Gynäkologie liegt in der Betreuung von schwangeren Frauen: 82 Prozent der gynäkologischen Behandlungsanlässe waren Schwangerschaftsüberwachung. Hier ist der tatsächliche Bedarf derzeit größer als das Leistungsvermögen der Praxis. Die Aufnahme neuer Patient:innen musste daher bis auf Weiteres beschränkt werden. Auch im Bereich Zahnmedizin droht zukünftig ein Engpass, da einer der langjährig tätigen Zahnärzte die Praxis aus Altersgründen verlassen wird. Stand bei Gründung der Praxis noch die Notfallversorgung akuter Erkrankungen im Vordergrund der ärztlichen Versorgung, verlagert sich jetzt der Schwerpunkt insbesondere in der Allgemeinmedizin zunehmend auf die Behandlung chronischer Erkrankungen. Darin spiegelt sich die Tatsache wider, dass die Patient:innen oft jahrelang im Status fehlender Aufenthaltsberechtigung leben müssen.

Bürokratische Hürden, finanzielle Grenzen

Die aktuellen migrationspolitischen Debatten lassen befürchten, dass sich diese Situation verfestigen wird. Ein Teil der Patient:innen kann an die Clearingstelle weitergeleitet werden, insbesondere dann, wenn sie einer langfristigen fachärztlichen Weiterbehandlung bedürfen oder elektive Operationen indiziert sind. Die Clearingstelle kann an kooperierende Ärzt:innen verweisen und quartalsweise Kostenübernahmescheine ausstellen. Die Abrechnung erfolgt pauschal mit der Kassenärztlichen Vereinigung, die die Behandlungskosten über das Land Berlin refinanziert. Dieses Konstrukt könnte eine modellhafte Lösung für das Problem der umfassenden Gesundheitsversorgung der in Deutschland lebenden Menschen ohne Krankenversicherung sein. Es entspricht der Forderung der Bundesärztekammer, dass es Aufgabe des Gesetzgebers ist, allen in Deutschland lebenden Menschen die notwendigen Gesundheitsleistungen zugänglich zu machen und dafür die finanziellen Rahmenbedingungen zu schaffen. 

Die Clearingstelle hat aber auch bürokratische Hürden und finanziellen Grenzen. Menschen, die sich weniger als 6 Monate in Deutschland aufhalten oder Patient:innen aus Serbien werden nicht betreut, obwohl kein Sozialversicherungsabkommen mit Deutschland besteht. Auch die finanzielle Ausstattung kommt regelmäßig an ihre Grenzen. So waren im November 2022 die Kassen leer und die Ärztekammer Berlin forderte zu Recht, dass medizinische Versorgung staatlich garantiert werden muss.

Leider ist es heute, zwei Jahre später, immer noch so, dass weiterhin zivilgesellschaftliches Engagement, ehrenamtliche Tätigkeit und Spendenbereitschaft notwendig sind, um die medizinische Versorgung von Menschen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz sicherzustellen.

Mehr zum Thema

Die Clearingstelle hilft Menschen ohne Krankenversicherung. Sie berät und übernimmt die Kosten für dringende medizinische Behandlungen und vermittelt Hilfesuchende an Praxen aus ihrem Netzwerk. Doch es fehlt an ärztlichen Kooperationspartner:innen. Ein Interview.

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