„Wir brauchen die enge Vernetzung von Kinderärzt:innen und Sozialarbeiter:innen“

Als Präventionsforscherin setzt sich Univ.-Prof. Dr. med. Freia De Bock für ein evidenzbasiertes Vorgehen und für die Evaluation bestehender Programme zur Verhältnisprävention ein. Ihr besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, ob derartige Programme alle gesellschaftlichen Schichten erreichen. Im Gespräch erklärt sie, warum sie für die Einführung von Gesundheitsfachkräften an Schulen ist und welche sozialen und ökonomischen Vorteile damit verbunden sein können.

Univ.-Prof. Dr. med. Freia De Bock
Interview mit
Univ.-Prof. Dr. med. Freia De Bock

Fachärztin für Kinderheilkunde, Leiterin des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaften an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Foto: privat

Als Kinderärztin fordern Sie Gesundheitsfachkräfte an den Schulen einzusetzen. Warum?

Es gibt viele internationale und mittlerweile auch deutsche Studien zur Wirkung von Gesundheitsfachkräften an Schulen. Sie zeigen, dass Gesundheitsfachkräfte die Versorgungssituation von Kindern mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Epilepsie in Schulen erfolgreich verbessern können. Auch die akute Versorgung nach Unfällen übernehmen sie so, dass die Kinder insgesamt weniger Fehltage haben sowie Lehrpersonen und weiteres Schulpersonal entlastet werden. Das lohnt sich auch ökonomisch.

Etwas weniger Evidenz gibt es zur Wirkung auf Prävention und Gesundheitsförderung in der Schule. So gibt es Projekte, die schulische Gesundheitsfachkräfte als Treiber einer gesundheitsförderlichen Schulentwicklung sehen. Harte Nachweise stehen jedoch noch aus. Allerdings ist klar, dass die Bildungsinstitutionen die wichtigsten Lebenswelten für Prävention im frühen Lebensalter sind und dass Lehrkräfte nicht noch zusätzlich das Thema Gesundheit als volle Aufgabe übernehmen können. Daher bin ich für die Einführung von Gesundheitsfachkräften an Schulen, denn für die Kinder gibt es ein hohes Potenzial, dass sich ihre Versorgung und präventive Begleitung verbessern kann.

Sind Kinderärzt:innen heute eigentlich ausreichend mit anderen Berufen, etwa mit Sozialarbeiter:innen, vernetzt?

Das wäre gut, denn eine enge interdisziplinäre Vernetzung zwischen Kinderärzt: innen und Sozialarbeiter:innen würde sowohl eine frühzeitige und koordinierte Unterstützung von Kindern mit psychosozialen Risikofaktoren als auch eine bedarfsgerechte, integrierte Versorgung von Kindern mit chronischen Erkrankungen ermöglichen. Allerdings zeigen unsere regionalen Studien im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG), dass nur etwa ein Drittel der niedergelassenen Kinderärzt:innen mit Akteur:innen der Sozialarbeit in Kitas oder Schulen zusammenarbeitet oder solche als Kontakte kennt. Kontakte mit dem Jugendamt geben zwei von drei Kinderärzt:innen an.

Dies deckt sich mit Daten des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen: Nur 37,5 Prozent der niedergelassenen Kinderärzt:innen haben beispielsweise schon einmal an einem Treffen des lokalen Netzwerks Frühe Hilfen teilgenommen. Das heißt, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kinderärzt: innen und Sozialarbeiter:innen in Deutschland bislang eher punktuell und projektbezogen stattfindet, und dass sie oft vom Engagement einzelner Personen abhängt. Dabei dürften wohl alle Kinderarztpraxen in Deutschland Kinder behandeln, die aus psychosozial belasteten Haushalten kommen.

Warum brauchen wir die Evaluation von Programmen, wenn wir über Prävention doch schon so viel wissen?

Es ist richtig, dass die Evidenz zur Wirksamkeit von Präventionsprogrammen zunimmt. Verglichen mit anderen Bereichen der Gesundheit ist aber das Wissen darüber, wie Programme beispielsweise alle in der Gesellschaft zu gleichen Maßen erreichen können, jedoch noch nicht ausreichend. Wie vermeide ich ein sogenanntes Präventionsdilemma – also dass gebildetere Gruppen mehr von Programmen profitieren, während Personen, denen Bildung und Gesundheitskompetenz fehlen, weniger profitieren? Evaluationen müssen in Zukunft differenzierte Aussagen über die Wirkung in unterschiedlichen Bevölkerungsteilen ergeben.

Mehr zum Thema

Vorbeugen ist besser als Heilen – dieser Grundsatz der Medizin ist unbestritten. Doch worin genau besteht Prävention? Wer ist dafür verantwortlich? Wie werden Angebote wissenschaftlich abgesichert? Und welche Rolle kommt der Ärzteschaft auf diesem weiten Feld zu?

Während Wohlstandserkrankungen steigen, wird ärztliche Expertise in der Präventionspolitik ignoriert. Die Folge? Häufig unqualifizierte Influencer:innen übernehmen die Gesundheitskommunikation – oft mit schädlichen Folgen.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Wir freuen uns über Ihr Feedback!

Ja
Nein

Vielen Dank!

Zur Ärztekammer Berlin