Redaktion: Herr Zorn, wie sind Sie zur Niederlassung gekommen?
Malte Zorn: Der Weg in die Niederlassung war kein spontaner Entschluss, sondern ein Entwicklungsprozess während meiner Weiterbildung. Im Laufe der Zeit wurde mein Wunsch, Medizin nicht nur auszuführen, sondern auch selbst zu gestalten, für mich immer größer. Die Arbeit in der Klinik bot mir nicht die nötige Flexibilität. Als sich dann die Möglichkeit ergab, die Praxis zu übernehmen, war das die Chance, meine eigenen Ideen umzusetzen.
Vermutlich haben Sie bei Ihrer Entscheidung die Vor- und Nachteile abgewogen?
Natürlich, für die Niederlassung sprachen die freieren Gestaltungsmöglichkeiten der Abläufe in Diagnostik, Therapie und Interaktion mit meinen Patient:innen sowie für meine Familie die bessere Planbarkeit der Arbeitszeiten. Ich hatte aber auch großen Respekt vor dem Wechsel. In der klinischen Tätigkeit hat man ein eingebettetes Arbeitsumfeld. In meinem Fach – der Augenheilkunde – zudem hoch spezialisiert. Als klassischer niedergelassener Arzt in einer Einzelpraxis arbeitet man eher als Generalist. Anfangs war meine Sorge, dass mir der fachliche Austausch und die Spezialisierung fehlen würden. Außerdem hatte ich Sorge vor den Aufgaben in meiner Rolle in Management und Führung.
Welche Erwartungen hatten Sie an die Selbstständigkeit?
Ich habe erwartet, dass ich als Selbstständiger die Abläufe und Prioritäten meiner Arbeit wirklich selbst bestimmen kann. Mir war jedoch auch klar, dass mit dieser Freiheit auch Verantwortung einhergeht. Wenn Strukturen nicht funktionieren, muss ich sie aktiv verändern.
Wie ging es dann weiter?
Wenn ich die rein administrativen Aufgaben der Praxisübernahme außen vor lasse, war initial die größte Herausforderung, als Externer in gewachsene Abläufe und ein bestehendes Team mit festen Praxisstrukturen hineinzuwachsen. Dafür habe ich mir, aber auch meinem Team und meinen Patient:innen Zeit gelassen. Es gab eine Übergangszeit, in der mein Vorgänger und ich parallel in der Praxis gearbeitet haben. Wenn man aus dem klinischen Sektor kommt und den ambulanten noch nicht kennt, ist das sehr wertvoll. So erfährt man aus erster Hand, wie die konkrete Praxis funktioniert.
Wie haben Sie diese Herausforderungen gemeistert – oder wie meistern Sie diese?
Veränderungen habe ich schrittweise eingeführt und dabei stets mein Team und die Patient:innen mitgenommen, um die Disruption möglichst gering zu halten. Um der Bürokratie Herr zu werden, habe ich nach technischen Lösungen gesucht, die mich im Alltag entlasten. Außerdem erledige ich viele administrative Tätigkeiten flexibel von zu Hause aus. Hier ist die Digitalisierung ein Gamechanger. Fachlich konnte ich das Spektrum schrittweise erweitern und der letzte große Schritt war unser Praxisumzug in neue Räume.
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Gab es spezielle Angebote, Beratungen oder Workshops, die Sie zur Vorbereitung auf den Schritt in die Selbstständigkeit genutzt haben?
Ich habe häufig das Gespräch mit erfahrenen Kolleg:innen gesucht. Dabei hatte ich das Glück, dass sich viele – auch fachübergreifend – offen gezeigt haben. Diese Gespräche waren sehr hilfreich. Ebenso hilfreich war das Fortbildungsangebot der Ärztekammer und der KV. Spannend ist auch der Blick in den Health-Tech-Bereich. Viele Start-ups entwickeln Lösungen für administrative und versorgungsbezogene Probleme.
Und heute: Gibt es Dinge oder Angebote in Ihrer Praxis, die Sie bewusst anders handhaben als Ihre Kolleg:innen bzw. als Sie es in Ihrer Studien- und Weiterbildungszeit erlebt haben?
In unserem Team haben wir einen offenen, respekt- und vertrauensvollen Umgang auf Augenhöhe. Das ist vor allem im ambulanten, eng getakteten Praxisalltag wichtig. Ich versuche dabei immer, ein offenes Ohr zu haben, denn viele gute Ideen kommen aus dem Team selbst. Ich möchte mir auch die Neugier auf Neues erhalten, beispielsweise auf das Arbeiten mit digitalen Lösungen, mit denen wir unseren Alltag erleichtern oder bereichern können, oder auf medizinische Entwicklungen, die wir im ambulanten Bereich in die Patientenversorgung integrieren können. Das ist aus meiner Sicht ein entscheidender Teil der modernen Medizin.
Wie sieht ein typischer Tag in Ihrer Praxis aus?
Der Tag beginnt morgens mit einer kleinen Teamrunde bei Kaffee, in der wir aktuelle organisatorische Punkte besprechen. Die folgenden Sprechstunden sind eng getaktet, aber klar definiert. Gelegentlich trifft man sich im Teamraum beim Durchatmen. An einigen Tagen bieten wir spezialisierte Sprechstunden für besondere Krankheitsbilder oder Therapien an. OP- oder Lasersprechstunden lockern den Alltag ebenfalls auf. Am Ende des Tages halten wir kurz Rücksprache darüber, was gut funktioniert hat bzw. wo wir nachjustieren müssen. Administrative Aufgaben erledige ich flexibel im Homeoffice.
Laut einer Studie sind niedergelassene Ärzt:innen sehr unzufrieden mit der ausufernden Bürokratie.
Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Die Bürokratie ist ein Problem. In meiner Praxis versuche ich, sie so weit wie möglich zu strukturieren und zu digitalisieren. Wir arbeiten mit standardisierten Abläufen und klaren Zuständigkeiten im Team. Trotzdem bleibt vieles unnötig komplex, weil Schnittstellen fehlen und Regulierungen nicht praxistauglich sind. Hier sehe ich definitiv Handlungsbedarf unserer Verbände.
Haben sich Ihre Erwartungen an die Selbstständigkeit bisher erfüllt?
Ja, meine Erwartungen haben sich erfüllt. Die Selbstständigkeit gibt mir die Freiheit, medizinische und organisatorische Entscheidungen so zu treffen, wie ich sie für sinnvoll halte.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Praxis in den kommenden Jahren?
Ich sehe die größte Herausforderung darin, eine persönlich-patientenzentrierte Medizin mit fachlicher Spezialisierung und gleichzeitig hoher Nachfrage in Einklang zu bringen. Mein Ziel ist es, Strukturen zu schaffen, die beides ermöglichen. Die Praxis als Mikrokosmos, in dem Medizin, Kommunikation und Organisation ineinandergreifen.
Ist die Arbeit als niedergelassener Arzt für Sie persönlich erfüllend? Wenn ja, warum?
Ja, definitiv. Es erfüllt mich sehr, dass ich in der Tätigkeit als Arzt für meine Patient:innen da sein kann und mir die Sinnfrage nicht stellen muss. So geht es uns allen. Als niedergelassener Arzt kann ich dafür die Rahmenbedingungen weiterentwickeln. Meine Familie freut sich über geregelte Sprechstundenzeiten. Das ist mir wichtig.
Angenommen, Sie sitzen mit Freund:innen oder ehemaligen Kommiliton:innen zusammen. Welches Fazit würden Sie über Ihren Weg in
die Niederlassung ziehen?
Jeder muss seinen eigenen Weg finden, da sind wir alle unterschiedlich. Für mich war die Niederlassung genau der richtige Schritt. Ärzt:innen, die gestalten wollen, sollten sich mit dieser Option beschäftigen. Ich sehe es als großes Privileg unseres Berufs, diesen Weg gehen zu können. Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass ärztliche Kolleg:innen in leitenden Positionen in der ambulanten Versorgung tätig sind. In Kliniken und anderen großen Strukturen scheint der ärztliche Einfluss auf die Versorgung kleiner zu werden. Ich denke, dass wir Ärzt:innen hier mehr Verantwortung übernehmen sollten.
Vielen Dank für das Gespräch.
