Zwischen Paragrafen und Patient:innen – Formen der Rehabilitation

Zum Arbeitsalltag der meisten Ärzt:innen gehört nicht nur die Versorgung ihrer Patient:innen. Regelmäßig müssen sie über Arbeitsunfähigkeit entscheiden oder Befunde für verschiedene Sozialversicherungsträger erstellen. In der Reihe „Zwischen Paragrafen und Patient:innen – Sozialmedizin verständlich“ gewährt Dr. med. Andrea Bratfisch einen Einblick in sozialmedizinische Themen und ordnet diese für die ambulante und klinische Tätigkeit ein. Dafür greift sie auf ihre umfassenden Erfahrungen als Bereichsleiterin im Dezernat Angewandte Sozialmedizin der Abteilung Prävention, Rehabilitation und Sozialmedizin der Deutschen Rentenversicherung Bund zurück.

Eine kurze Einführung zum Thema Rehabilitation finden Sie in Teil I: Rehabilitationsindikation. Dort werden die grundlegenden Maßnahmen, Ziele und Anwendungsbereiche erläutert. In Teil II: Rehabilitationsträger und -zugang gibt die Autorin einen Überblick über die verschiedenen Sozialversicherungsträger sowie deren Zuständigkeiten und Leistungen.

Formen der Rehabilitation

Die Rehabilitation, kurz „Reha“, ist ein wichtiges Instrument der Solidargemeinschaft im System der sozialen Sicherung. Sie unterstützt Menschen, die durch Krankheit oder Behinderung belastet sind. Gerade in unserer alternden Gesellschaft gewinnt die Reha zunehmend an Bedeutung. Denn immer mehr ältere Menschen, chronisch Erkrankte und Menschen mit Behinderung benötigen Unterstützung. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an längere Lebensarbeitszeiten.

In diesem Teil geht es um die verschiedenen Formen der Rehabilitation.

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

  • Allgemeine medizinische Rehabilitationsmaßnahmen werden in der Regel aus der ambulanten ärztlichen Versorgung heraus beantragt. Sie dienen der Wiederherstellung oder Erhaltung der Gesundheit nach akuten Erkrankungen oder chronischen Erkrankungszuständen. Sie können stationär oder ambulant erfolgen.
    Sie umfassen eine Behandlung durch Ärzt:innen, Zahnärzt:innen und Angehörige anderer Heilberufe (unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung), Arznei- und Verbandmittel, Heilmittel (auch physikalische Sprach- und Beschäftigungstherapie), Psychotherapie, Hilfsmittel, Belastungserprobung und Arbeitstherapie, stufenweise Wiedereingliederung sowie Förderung der Selbsthilfe.
  • Eine Frührehabilitation beginnt noch während der Behandlung im Akutkrankenhaus. Beispiele hierfür sind die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung oder die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation.
  • Die Anschlussheilbehandlung bzw. Anschlussrehabilitation (AHB) ist eine stationäre Leistung, die sich nahtlos an eine Krankenhausbehandlung anschließen soll bzw. in einem engen zeitlichen Zusammenhang dazu steht (maximal 14 Tage). Die Leistungen finden in ausgewählten Rehabilitationseinrichtungen statt und unterscheiden sich von anderen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nur durch das Einleitungsverfahren. Für die Patientenauswahl wurde ein Indikationskatalog entwickelt.
  • Anschlussgesundheitsmaßnahmen (AGM) sind eine Alternative zur AHB, wenn die Zugangsvoraussetzungen für eine AHB nicht geklärt werden können oder eine Direkteinleitung nicht möglich ist.
  • Eine Sonderform der medizinischen Rehabilitation ist die Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR). Mithilfe berufsorientierter Angebote sollen berufliche Problemlagen identifiziert und gelöst werden, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen und eine Rückkehr in den Beruf zu ermöglichen.
  • Die onkologische Rehabilitation richtet sich an Menschen, die nach einer Krebsbehandlung Unterstützung benötigen, um ihre Lebensqualität zu verbessern und in den Alltag zurückzukehren. Neben der körperlichen Erholung stehen auch die psychische Stabilisierung und die berufliche Wiedereingliederung im Mittelpunkt. Onkologische Reha-Maßnahmen umfassen eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Therapeuten und Psychologen. In der Regel beginnt die onkologische Rehabilitation nach Abschluss der Primärbehandlung (zum Beispiel Operation oder Strahlentherapie) und kann bis zu zwei Jahre nach der Behandlung in Anspruch genommen werden. Oft wird sie als Anschlussheilbehandlung direkt nach der Akutbehandlung durchgeführt.
  • Entwöhnungsbehandlungen für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen zielen nicht nur auf die körperliche Entwöhnung, sondern auch auf die langfristige psychologische Stabilisierung und Reintegration in die Gesellschaft ab. Sucht-Reha-Programme beinhalten sowohl stationäre als auch ambulante Angebote und richten sich an Menschen mit Abhängigkeiten von Alkohol, Drogen oder nichtstoffgebundenen Süchten, wie beispielsweise pathologisches Spielen. Die Maßnahmen umfassen eine Mischung aus medizinischer Behandlung, psychologischer Beratung und sozialer Unterstützung. Zusätzlich werden oft Beratungsangebote zur beruflichen Integration und zur Anpassung des sozialen Umfelds bereitgestellt.

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  • Die geriatrische Rehabilitation richtet sich an ältere multimorbide Menschen. Das Ziel besteht darin, die Selbstständigkeit der Patient:innen zu bewahren, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden und ihre Lebensqualität zu steigern. Diese Form der Rehabilitation kommt häufig nach Sturzfolgen, operativen Eingriffen oder in frühen Stadien von Demenzerkrankungen zum Einsatz. Dabei geht es nicht nur um die Behandlung von körperlichen Einschränkungen, sondern auch um die Förderung der geistigen Gesundheit und der sozialen Teilhabe. Die geriatrische Rehabilitation ermöglicht eine frühzeitige Pflegeprävention und kann somit den Bedarf an langfristiger Pflege verringern.
  • Die Kinder- und Jugendrehabilitation bietet jungen Patient:innen mit chronischen Krankheiten, psychosomatischen Beschwerden oder Verhaltensauffälligkeiten altersgerechte Unterstützung. In der Reha wird sowohl die medizinische als auch die psychische und soziale Entwicklung gefördert. Häufige Indikationen sind Atemwegserkrankungen, Allergien, Hauterkrankungen oder Stoffwechselstörungen. In vielen Fällen kann ein Elternteil mit aufgenommen werden, um die Behandlung zu unterstützen und die Integration in den Alltag zu erleichtern.
  • Die Rehabilitation psychisch kranker und behinderter Menschen (RPK) richtet sich an Personen, die aufgrund psychischer Erkrankungen oder geistiger Behinderungen in ihrer sozialen, beruflichen und alltäglichen Lebensführung eingeschränkt sind. Das Ziel besteht darin, die Selbstständigkeit zu fördern, die Lebensqualität zu steigern und die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Typische Indikationen sind schwere Depressionen, Schizophrenie, bipolare Störungen, Angststörungen und neurodegenerative Erkrankungen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Die RPK umfasst medizinische Behandlung, psychotherapeutische Unterstützung und sozialpädagogische Maßnahmen. Ein besonderer Fokus liegt auf der sozialen Integration und beruflichen Wiedereingliederung, die oft durch berufliche Bildung oder Arbeitsplatzanpassung erfolgt. Mithilfe individueller Therapie- und Trainingsprogramme werden die Patient:innen dabei unterstützt, ihre Lebensführung und Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu verbessern. Auch die Unterstützung im Alltag, etwa durch betreutes Wohnen, spielt eine zentrale Rolle.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur beruflichen Rehabilitation

Diese zielen auf die (Wieder-)Eingliederung ins Erwerbsleben ab und richten sich an Menschen, die ihren bisherigen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können. Es handelt sich um Maßnahmen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes. Sie umfassen Beratung, Vermittlung, Trainingsmaßnahmen zur Qualifizierung, technische Hilfen, die Anpassung des Arbeitsplatzes sowie Mobilitätshilfen. Darüber hinaus zählen auch berufliche Anpassung, Weiterbildung und Ausbildung, Ausbildungszuschüsse, Eingliederungszuschüsse oder Zuschüsse für Arbeitshilfen im Betrieb dazu. Ebenso zählen die Kraftfahrzeughilfe und Arbeitsassistenzen dazu. Zu den Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation zählen die Berufsbildungswerke und die Berufsförderungswerke sowie Berufliche Trainingszentren. Dazu zählen auch die Eingangsverfahren und die Maßnahmen im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen.

Leistungen zur Teilhabe an Bildung

Die schulisch-pädagogische Rehabilitation beginnt mit der Früherkennung und Frühförderung im Säuglings- und Kleinkindalter. Sie wird beispielsweise in sozialpädiatrischen Zentren, in Förderkindergärten und an Förderschulen angeboten.

Leistungen zur sozialen Teilhabe (in der Gemeinschaft) oder auch soziale Rehabilitation

Soziale Reha-Maßnahmen zielen darauf ab, die soziale Teilhabe und Selbstständigkeit von Patient:innen, insbesondere bei chronischen psychischen oder geistigen Erkrankungen, zu fördern. Diese Rehabilitationsform umfasst unter anderem betreutes Wohnen, sozialpädagogische Betreuung sowie Angebote zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie richtet sich vor allem an Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung Unterstützung benötigen, um ihren Alltag zu meistern und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Fazit

Rehabilitation ist ein vielschichtiges Thema und spielt eine entscheidende Rolle für die Lebensqualität, Selbstständigkeit und Erwerbsfähigkeit von Menschen. Niedergelassene Ärzt:innen sind dabei oft die ersten Ansprechpartner:innen und nehmen eine Schlüsselrolle bei der Initiierung von Rehabilitationsmaßnahmen ein. Sie kennen ihre Patient:innen genau, können sie beraten und die nötigen Anträge einleiten. Auch Krankenhausärzt:innen, insbesondere im Rahmen von Anschlussheilbehandlungen, sowie Betriebs- und Werksärzt:innen übernehmen diese wichtige Aufgabe und tragen maßgeblich zur rechtzeitigen Unterstützung bei.

Mehr zum Thema

Seit Juli 2023 gilt das Trio-Gesetz mit neuen Regelungen für mehr Transparenz bei der Vergabe medizinischer Rehabilitationsleistungen. Ärzt:innen sollten Patient:innen aktiv über das Wunsch- und Wahlrecht informieren und bei der Klinikwahl beraten.

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