Redaktion: Herr Dr. Stavermann, warum wollen sich junge Dermatolog:innen nicht mehr niederlassen?
Dr. med. Thomas Stavermann: In den vergangenen zehn bis zwölf Jahren hat ein erheblicher Struktur- und Einstellungswandel im Gesundheitssystem und unter den jungen Ärzt:innen stattgefunden. Zusammengefasst hat dies dazu geführt, dass es erstens weniger Ärzt:innen gibt – besonders abseits der Ballungsgebiete –, dass sich zweitens die jungen Kolleg:innen anstellen lassen und dass sie drittens sehr genaue Vorstellungen von Arbeitszeitmodellen, Work-Life-Balance und Verdienst haben.
Eine Umfrage zum Berufsmonitoring der Kassenärztlichen Vereinigung (KBV) unter Medizinstudierenden hat ergeben, dass das Fach Dermatologie nicht besonders beliebt ist – fängt da das Problem schon an?
Dass die Dermatologie dabei so schlecht abschneidet, ist schade, verwundert mich aber nicht. Im Medizinstudium sind für die Dermatologie nur sehr wenige Ausbildungsstunden vorgesehen, in denen viele Studierende den Eindruck bekommen: Das ist eklig, das riecht schlecht, das fühlt sich komisch an. Wie toll dieses Fach ist, kommt nicht ausreichend zur Geltung. Das beeinflusst die Wahl der Facharztausrichtung nachhaltig.
Haben die Akutsprechstunden, der „hausärztliche Vermittlungsfall“ und die „Überweisung mit Dringlichkeit“ etwas an den Termin-Problemen verändert?
Nein, die Akutsprechstunden erfüllen ihren Zweck nur bedingt; denn die Wahrnehmung des akuten Krankheitsbildes ist bei den Patient:innen sehr unterschiedlich. Somit wird die eigentlich zu begrüßende Akutsprechstunde leider zu oft von denen in Anspruch genommen, die kein akutes Leiden haben. Patient:innen, die wirklich einen Akuttermin benötigen, bleiben häufig auf der Strecke. Auch der sogenannte Hausarzt-Vermittlungsfall funktioniert nicht gut: Von dem Geld, das die KV vermittelt, kommen 0,5 Prozent bei uns an. Viele Patient:innen bringen beispielsweise keinen Überweisungsschein mit, auf dem die Betriebsstättennummer (BSNR) vermerkt ist. Unsere Medizinische Fachangestellte muss dann hinterhertelefonieren und diese erfragen. Das ist wieder viel bürokratischer Aufwand.
Bei den Dringlichkeitsüberweisungen der KV erleben wir häufig, dass Patient:innen innerhalb einer Woche einen Termin bekommen, aber nicht von Spandau in unsere Praxis fahren wollen, weil ihnen der Weg zu weit ist. Dann hat ein Großteil dieser Patient:innen kein Problem, das wirklich akut behandelt werden muss. Aus meiner Sicht würde das System besser funktionieren, wenn man der KV zurückmelden könnte, wer kein akuter Fall war, oder wenn das Kriterium „akut“ durch entsprechende, bereits vorhandene Abfragemodalitäten herausgearbeitet und in die Terminvergabe einfließen würde.
Was braucht es, um den dermatologischen Nachwuchs in strukturschwache Gebiete zu locken?
Man kann den Jungen fünf Kindergartenplätze und zwei Eigentumswohnungen anbieten – die gehen trotzdem nicht in bestimmte Bezirke. Zumindest nicht in solche, in denen die Aussicht gering ist, ein akzeptables Auskommen durch eine Mischkalkulation von gesetzlich Versicherten und Privatpatient:innen zu erzielen. Dabei geht es ja gar nicht um die Rolex und den Porsche. Es geht darum, dass man nach einer sehr langen akademischen Ausbildung die Kosten für Miete und Essen gut finanzieren und zudem für das Alter vorsorgen kann. Früher hat man sich am Ende seiner Laufbahn durch den gewinnbringenden Verkauf der Praxis seinen Ruhestand finanziert, aber das ist heute nicht mehr möglich. Um sich eine gute Altersvorsorge leisten zu können, braucht man die zusätzlichen Einnahmen von privatversicherten und selbstzahlenden Patient:innen während der Arbeitsjahre.
Was raten Sie angehenden Dermatolog:innen, die sich kassenärztlich niederlassen wollen?
Ich ermutige alle, die darüber nachdenken, in die ambulante fachärztliche Versorgung zu gehen. Ich kann aber auch verstehen, wenn junge Dermatolog:innen das unter den gegebenen Umständen nicht wollen. Die politischen Rahmenbedingungen haben sich unter Gesundheitsminister Lauterbach so verändert, dass ich es mittlerweile für Kamikaze halte, sich als Einzelkämpfer in einer Kassenarztpraxis niederzulassen – wenn überhaupt, dann nur im Team. Die Anforderungen – gestiegene Personalkosten, massiver bürokratischer Aufwand pro Patienten und dazu noch ein kaum kalkulierbares Risiko von Regressforderungen sind alleine kaum noch zu bewältigen. Für Niederlassungsinteressierte stellt sich daher die Frage: Wenn ich trotz hoher Arbeitszeiten inklusive bürokratischer Tätigkeiten keine wirtschaftliche Absicherung habe, mich dazu noch mit der ständigen Angst vor Regressen und Personalengpässen beschäftigen muss, warum soll ich mich dann in einer Kassenarztpraxis niederlassen? Ich kann doch in einer dermatologischen Privatpraxis sehr gut überleben. Wenn man junge Ärztinnen und Ärzte dazu bekommen will, dermatologische Kassensitze zu übernehmen und das auch in weniger attraktiven Gebieten, braucht es schon ein paar mehr Ideen als Prämien und mietfreies Wohnen. Es braucht vor allem andere politische Rahmenbedingungen.