Martin Gumpert: Medizin als soziale Wissenschaft

Dichterarzt, Sozialmediziner, Schriftsteller, Exilant und Psychotherapeut: Martin Gumpert (13.11.1897–18.04.1955). Zur Erinnerung an einen großen Arzt aus Berlin.

Er lebte viele Rollen und wurde doch vergessen

Plastische Chirurgie mag heute ein Produkt des gehobenen ärztlichen Leistungskatalogs sein, aber in den 1920er und 1930er-Jahren war sie ein soziales Anliegen: Kriegsverletzte, Opfer von Arbeitsunfällen, mit „syphilitischer Höckernase“ geborene junge Frauen oder Knaben, die an entstellenden dermatologischen Leiden litten, waren vom gesellschaftlichen Leben faktisch ausgeschlossen. Operationen waren kostspielig und psychosoziale Beratung unbekannt. Doch dies änderte sich in Berlin am 1. August 1929, als im Gesundheitsamt Wedding die erste Beratungsstelle für soziale Kosmetik eröffnet wurde. Hier beriet der Arzt Martin Gumpert verzweifelte Patientinnen und Patienten, die aufgrund ihrer Verletzungen keinen Job fanden, alleine blieben und zunehmend resignierten.

Gumpert organisierte Weiterbildungen für Ärzt:innen und schrieb ein Lehrbuch für soziale Kosmetik, das 1931 erschien. Ihm waren sozialmedizinische Anliegen geläufig, war er doch der Schwiegersohn des bedeutenden Dermatologen Alfred Blaschko (1858–1922), der ihm die Effektivität von Gesundheitsaufklärung vor Augen geführt hatte. Blaschko koordinierte die Arbeit der wirkmächtigen Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (DGBG). So hatte Gumpert bereits 1928 eine Beratungsstelle für Geschlechtskranke aufgebaut, wobei sein Schwerpunkt auf der Aufklärung werdender Mütter und betroffener Kinder lag. Auch hierzu legte er zahlreiche Publikationen vor, hielt Vorträge in ganz Deutschland und machte sich bei politischen Akteuren, die einfache Lösungen für die Zukunft versprachen, äußerst unbeliebt.

Unser Freund Martin Gumpert, Arzt, Dichter, Biograph, Erzähler; ein sehr ruhiger Mann mit runder Buddha-Miene, kleinem Mund und dunklen starken Augen. Im Blick verrät sich eine Leidenschaft, von der die stoische Fassade sonst nichts merken ließe.

Klaus Mann,
aus „Der Wendepunkt“ (Memoiren, 1974, S. 495)

Die Flucht ins Exil

Wenn er nicht gerade ärztlich praktizierte, Beratungen durchführte oder Vorträge hielt, veröffentlichte Gumpert expressionistische Gedichte und befreundete sich mit Schriftstellern wie Heinrich (1871–1950) und Thomas Mann (1879–1955) sowie dessen Sohn Klaus (1906–1949). Als 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland die Regierung übernahmen, zählte Martin Gumpert zu den ersten Berliner Ärzt:inn en, die aller Ämter enthoben wurden. Von da an beschränkte er sich auf seine Privatpraxis und die Schriftstellerei. Seine Biografie über den Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann (1755–1843), die 1934 im Verlag S. Fischer erschien, avancierte zur erfolgreichsten Ärztebiografie der 1930er-Jahre – und bescherte Gumpert die ungeteilte Aufmerksamkeit der Homöopath:innen. Es folgten weitere erfolgreiche Bücher über das Leben deutscher Ärzte des 19. Jahrhunderts sowie über das Wirken Henri Dunants (1828–1910), der das Internationale Rote Kreuz begründet hatte.

Diese Publikationserfolge konnten Gumpert allerdings nicht vor weiterer Ausgrenzung bewahren, sodass er schließlich 1936 in die USA ins Exil ging. Dort fasste er rasch Fuß und eröffnete eine dermatologische Praxis in New York City. Er hielt weiterhin Kontakt zur Familie Mann und fungierte etwa als medizinischer Berater Thomas Manns bei der Abfassung des „Doktor Faustus“.

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Zur Erinnerung an einen großen Arzt aus Berlin

Diese Leidenschaft bezog sich weiterhin auf die soziale Medizin. Gumpert verfasste Patientenratgeber, avancierte zum Präzeptor der nordamerikanischen Geriatrie und veröffentlichte Gesundheitstipps für chronisch Kranke. Auch politisch blieb er aktiv und informierte die nordamerikanischen Leser:innen über die gesundheitlichen Verhältnisse im Dritten Reich. So erschien 1940 sein Buch „Heil Hunger! Health under Hitler“ und in einem Gedicht nannte er die Nazis „Miasma, das die Sonne verdunkelt“. 1942 erhielt Martin Gumpert die US-Staatsbürgerschaft. Nach Kriegsende besuchte er 1949 die gerade im Entstehen begriffene Bundesrepublik und fühlte sich abgestoßen vom Selbstmitleid der vormaligen Nazis und treuen Volksgenoss:innen. Er kehrte nach New York zurück, wirkte als Konsiliarius am Goldwater Memorial Hospital und gab ab 1952 die Zeitschrift „Lifetime Living“ heraus, in der er für ein erfülltes, gesundheitsorientiertes Leben warb.

Selbst scheint er sich nicht an seine Ratschläge gehalten zu haben, denn als er am 18. April 1955 starb, hatte er sich schlichtweg zu Tode gearbeitet – stets im Bemühen, anderen zu helfen. Die Erinnerung an ihn verblasste – auch in Berlin. Vielleicht ließe sich der Berliner Senat dafür erwärmen, bei einer Straßen(um-)benennung Martin Gumpert zu berücksichtigen. Er hätte es verdient, dass man ihn nicht vergisst. Um an ihn zu erinnern, fand am 13. November 2022 ihm zu Ehren ein Symposium im Tagungshaus des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf statt.

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