Hans Hirschfeld: Totgeschwiegen und wiederentdeckt

Vor 90 Jahren, am 7. April 1933, trat das nationalsozialistische Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in Kraft. Dieses diente den neuen Machthabern dazu, jüdische und politisch missliebige Beschäftigte aus öffentlichen Einrichtungen wie Universitäten und Krankenhäusern zu verdrängen. Allein in Berlin wurden hunderte Ärztinnen und Ärzte entlassen. Einer von ihnen war der jüdische Hämatologe Hans Hirschfeld.

Stele mit Informationen zu Hans Hirschfeld

Im Jahr 2021 wurde ein Platz an der Universität Ulm nach Hans Hirschfeld benannt. Verbunden war dieses Ereignis mit einer Sonderausstellung, um an den jüdischen Arzt zu erinnern.

150. Geburtstag: Leben und Werk des Berliner Hämatologen Hans Hirschfeld (1873–1944)

Herkunft, Schule, Studium

Hirschfeld wurde am 20. März 1873 in Berlin als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach dem Besuch des Lessing-Gymnasiums nahm er 1891 ein Medizinstudium an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin auf. 1897 erhielt er die Approbation und wurde mit einer Arbeit zur Morphologie der Leukozyten promoviert, die noch im selben Jahr als Beitrag in Rudolf Virchows „Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin“ veröffentlicht wurde.

Arzt und Wissenschaftler

Eine erste Anstellung fand Hirschfeld am Krankenhaus Moabit. Dort war er zunächst als Assistent von Alfred Goldscheider (1858–1935) tätig und qualifizierte sich auf dem Gebiet der Inneren Medizin und der Neurologie. Schließlich eröffnete er eine eigene Praxis in Kliniknähe. Sein wissenschaftliches Interesse galt den Bluterkrankungen. 1908 gehörte Hirschfeld zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Hämatologischen Gesellschaft. Als Georg Klemperer (1865–1946), der seit 1906 Chefarzt im Moabiter Krankenhaus war, 1910 im Nebenamt die Leitung des Krebsinstituts der Charité übernahm, übertrug er Hirschfeld die Leitung des dortigen Labors. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich das Berliner Krebsinstitut unter Leitung von Ferdinand Blumenthal (1870–1941) zu einer international bedeutenden Einrichtung. 1919 habilitierte sich Hirschfeld mit einer Arbeit über perniziöse Anämie. Er erhielt eine eigene Abteilung und wurde 1922 zum außerordentlichen Professor ernannt.

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Publizistische Tätigkeit

Insgesamt veröffentlichte Hans Hirschfeld mehr als 160 wissenschaftliche Arbeiten. Darin setzte er sich schwerpunktmäßig mit labordiagnostischen Methoden, der Differenzierung der Leukämien und der Funktion der Milz auseinander. Er machte sich als Autor mehrerer Lehrbücher einen Namen und genoss als Herausgeber der „Folia Haematologica“, der ältesten hämatologischen Fachzeitschrift der Welt, auch international hohes Ansehen. Gemeinsam mit dem österreichischen Fachkollegen Anton Hittmair (1892–1986) gab er 1932/33 ein vierbändiges „Handbuch der allgemeinen Hämatologie“ heraus, das einen hervorragenden Überblick über sämtliche Teilgebiete der Hämatologie bot.

Nationalsozialismus: Entrechtung und Deportation

Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht in Deutschland übernahmen, wurden Jüd:innen und politische Gegner:innen systematisch entrechtet und verfolgt. Jüdischen Ärzt:innen wurde ihre Kassenzulassung entzogen, sie wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt und an den Universitäten entlassen. Dies traf auch Hans Hirschfeld, der sowohl seine Stelle an der Charité als auch seine Lehrbefugnis verlor. Die Herausgeberschaft der von ihm verantworteten Fachzeitschrift musste er aufgeben. Als ihm Ende September 1938 die Approbation entzogen wurde, durfte er als „Krankenbehandler“ fortan nur noch jüdische Patient:innen versorgen. Zuletzt arbeitete er im Labor des Jüdischen Krankenhauses.

Lange hatte Hirschfeld, der seit 1903 mit Rosa, geborene Todtmann, verheiratet war, gehofft, dass die Herrschaft der Nationalsozialisten nicht lange anhalten würde. Die beiden Töchter hatten Deutschland verlassen und lebten später in England und den USA. Als er schließlich emigrieren wollte, war es zu spät. Nachdem ihnen zuvor ein Großteil ihres Vermögens abgepresst worden war, wurden die Eheleute Hirschfeld mit dem „70. Alterstransport“ am 30. Oktober 1942 vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert. Im dortigen Getto nahm Hans Hirschfeld unter schwierigsten Bedingungen seine ärztliche Tätigkeit wieder auf. Während seine Frau das Kriegsende erlebte, starb er am 26. August 1944 im Alter von 71 Jahren im KZ Theresienstadt.

Vergessen und Verdrängen

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand eine (selbst)kritische Form der Vergangenheitsbewältigung in medizinischen Fachgesellschaften und Institutionen lange Zeit nicht statt. Die Bedeutung jüdischer Wissenschaftler:innen, die vertrieben und ermordet worden waren, wurde häufig verschwiegen oder verleugnet. Dies gilt auch für Hans Hirschfeld, über dessen Schicksal teils falsche Angaben veröffentlicht wurden. Posthum wurde er seiner Verdienste und Autorenrechte beraubt: Als ab 1957 eine zweite Auflage des „Handbuchs der Allgemeinen Hämatologie“ erschien, wurde Hirschfeld nicht mehr erwähnt. Neben Anton Hittmair fungierte Ludwig Heilmeyer (1899–1969) als Herausgeber.

Wiederentdeckung und heutiges Erinnern

Es ist dem Engagement einzelner Personen zu verdanken, dass die Leistungen Hans Hirschfelds und sein erlittenes Unrecht dem Vergessen entrissen und einer breiteren Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht wurden. Der Medizinhistoriker Prof. Dr. med. Peter Voswinckel ist hierbei an erster Stelle zu nennen: Er recherchierte bereits Mitte der 1980er Jahre zu Hirschfelds Schicksal und entwickelte anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) 2012 eine beeindruckende Ausstellung mit dem Titel „Verweigerte Ehre“. Ein Jahr zuvor wurde vor Hirschfelds letzter Wohnadresse an der Charlottenburger Droysenstraße 18 ein Stolperstein verlegt.

In Ulm wurde 2021 – auch als ein Akt des öffentlichen Erinnerns und der Wiedergutmachung – ein Platz auf dem Universitätscampus nach Hans Hirschfeld benannt. Eine Stele erläutert die Namensgebung: Es war der Gründungsrektor der Ulmer Universität, der oben erwähnte Ludwig Heilmeyer, der sich nach dem Krieg Hirschfelds Arbeiten zu eigen gemacht hatte.

Literatur

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