Ludwig Levy-Lenz (1889–1966)
Die verheerende Inflation war Ende 1923 abgeklungen, aber die Neuregelung der Honorierung ärztlicher Leistungen stand noch aus, weshalb die Berliner Ärztekammer ihre Mitglieder Anfang März 1924 zum Streik aufrief. Doch nicht alle zogen mit: Der Gynäkologe Dr. med. Ludwig Levy-Lenz (1889–1966) ließ sogar ein Flugblatt drucken, in dem er den niedergelassenen Ärzten unterstellte, sie wollten sich auf Kosten der Gesundheit ihrer Patientinnen und Patienten bereichern. In der „Berliner Aerzte-Correspondenz“ (BAC) vom 15. März 1924 machte ein anonymer Verfasser, der sich hinter dem Kürzel „W“ verbarg, seinem Wut und seiner Enttäuschung darüber Luft. Er bezeichnete Levy-Lenz als Verräter, der seine Kollegen betrüge, um sich der preußischen Medizinalbürokratie anzudienen. Der Streik scheiterte, und Levy-Lenz begann eine Karriere als Wegbereiter der Schönheitschirurgie, verpflanzte Affenhoden in Menschen, um älteren Männern jugendliche Potenz zu verschaffen und arbeitete eng mit dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld zusammen.
„Ratschläge von Dr. Levy-Lenz, Spezialarzt“
Der konservativ geführten Ärztekammer war dies ein Dorn im Auge. Als Levy-Lenz schließlich 1926 begann, öffentliche Vorträge darüber zu halten, wie man als ungewollt schwanger gewordene Frau dieses Problem diskret aus der Welt schaffen könne, beschlossen einige Kammermitglieder, Levy-Lenz das Handwerk zu legen. Die Tatsache, dass er in der Tageszeitung „BZ am Mittag“ für seine Tätigkeit geworben habe, stelle ein standeswidriges Verhalten dar. Doch der Beschuldigte betonte, dass Vortrag und ärztliche Praxis nichts miteinander zu tun hätten. Daraufhin veröffentlichte der Schöneberger Hausarzt Max Gerson, der beim Ärztestreik im Jahr 1924 mitgewirkt hatte und sich von Levy-Lenz persönlich beleidigt fühlte, im Januar 1927 einen Beitrag in der BAC, in dem er beschrieb, an welch unsittlichen Orten Levy-Lenz für seine Tätigkeit warb: „Neulich hatte ich eine Freude: In der öffentlichen Bedürfnisanstalt an der Potsdamer Brücke sah ich an einer Stelle, wo nicht selten politische Unflätigkeiten und geschlechtliche Unanständigkeiten prangen, ein vornehmes Emailleschild mit ungefähr folgendem Aufdrucke: 'Wie schütze ich mich vor geschlechtlicher Ansteckung?' Ratschläge von Dr. Levy-Lenz, Spezialarzt.“

Anonnce von Ludwig Levy-Lenz
Foto: Dr. Florian G. Mildenberger
Eine der inkriminierten Annoncen von Ludwig Levy-Lenz, entnommen aus der „Berliner-Aerzte Correspondenz“.
Damit widerlegte er die Behauptung von Levy-Lenz, die ärztliche Praxis und die Tätigkeit als Gelegenheitsdozent seien zwei grundverschiedene Varianten seiner beruflichen Tätigkeit. Doch Gersons Hoffnung, Levy-Lenz auf diese Weise vor ein ärztliches Ehrengericht zerren zu können und ihm womöglich die berufliche Existenz zu erschweren, erfüllte sich nicht. Vor 1914 hätte eine solche Werbung Levy-Lenz zweifellos die Approbation gekostet, aber im Berlin der 1920er-Jahre hatte die preußische Obrigkeit andere Sorgen als die Befindlichkeiten einiger sich beleidigt fühlender Kammerfunktionäre. Levy-Lenz blieb unbehelligt.
Freie Liebe, Inkompetenz und falsche Versprechen
Ab 1929 gab Levy-Lenz die populärwissenschaftliche Zeitschrift „Die Ehe“ heraus, in der er und zahlreiche andere Autorinnen und Autoren die Annehmlichkeiten der freien Liebe bewarben, Gesundheitstipps gaben und schilderten, wie man der sittenstrengen Obrigkeit ein Schnippchen schlagen könne. In der Ärztekammer war man nicht amüsiert. Nachdem Levy-Lenz schließlich in einem weiteren Flugblatt seinen hausärztlichen Kollegen totale Inkompetenz bei der Diagnose von Krankheiten unterstellt hatte, platzte dem Ärztekammerfunktionär Carl Heilbronn endgültig der Kragen und er empfahl im März 1929 in einem Artikel in der BAC seinen Kollegen indirekt, sämtliche ihnen missliebige Patientinnen und Patienten zu Levy-Lenz in die Praxis zu schicken – mit dem Versprechen, dass dieser sie ohne Diagnose sogleich krankschreiben würde.
Das ließ Levy-Lenz nicht auf sich sitzen und drohte seinerseits der Ärztekammer mit einem Schadensersatzprozess. Darauf wollten sich die Redaktion der BAC und die Kammer dann doch nicht einlassen. Sie druckten eine Gegendarstellung ihres Opponenten ab und hofften auf bessere Zeiten.
Aufstieg und Fall
Stattdessen mussten sie mit ansehen, wie die Karriere von Levy-Lenz weiter an Fahrt aufnahm. Er wurde zum Pionier für geschlechtsangleichende Operationstechniken und avancierte zu einem der bestbezahlten plastischen Chirurgen Deutschlands mit einer eigenen Privatklinik in der Ahornallee 51 in Charlottenburg. Im Jahr 1930 veröffentlichte Levy-Lenz das Buch „Die Schwangerschaftsunterbrechung“, in dem er mit Co-Autoren unverblümt beschrieb, wie der verbotene Eingriff gefahrlos durchgeführt werden konnte. Damit machte er sich neue Feinde, die weitaus gefährlicher waren als seine Kollegen bei der BAC und der Ärztekammer. Das zeigte sich ab 1933: Levy-Lenz wurde als „Sexual-Jude“ beschimpft. Er musste Deutschland verlassen und ging nach Ägypten ins Exil. Seine Werke wurden aus den Bibliotheken entfernt und er verschwand aus der Geschichte der Berliner Ärzteschaft.