Unabdingbar: ausländische Fachkräfte „aus aller Herren Länder“

In Berlin kommt jede zehnte Ärztin bzw. jeder zehnte Arzt aus dem Ausland. Gut 2.000 von ihnen warten noch auf ihre Anerkennung. Für viele dauern die Verfahren zu lange. Und es gibt weitere Herausforderungen, um die dringend benötigten Fachkräfte in unser Gesundheitssystem zu integrieren.

Symbolbild: Gruppen von Holzfiguren

Bereits jeder zehnte Arzt in Berlin kommt aus dem Ausland.

Die Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde am Vivantes Klinikum Friedrichshain ist so bunt wie die ganze Stadt. 30 bis 40 Prozent der 13 Ärztinnen und Ärzte, die hier arbeiten, haben einen ausländischen Hintergrund – mit oder ohne deutschen Pass. „Wir können nicht mehr ohne diese Kolleginnen und Kollegen, aber ich will auch nicht mehr ohne“, erklärt Chefarzt PD Dr. med. Parwis Mir-Salim. Ausländische Fachkräfte „aus aller Herren Länder“ seien für seine Klinik unabdingbar, nicht zuletzt, weil sie auch die unterschiedlichen Sprachen beherrschen, die viele Patientinnen und Patienten sprechen, meint der gebürtige Berliner, dessen Familie ebenfalls eine Einwanderungsgeschichte hat.

Dass es im Klinikalltag manchmal auch Probleme gibt, streitet er nicht ab. „Ich bin aufs Hören trainiert und merke sofort, wenn mich jemand nicht richtig verstanden hat.“ Neben sprachlichen Mängeln, die niemand gerne zugeben wolle, hat der Mediziner auch schon Bildungsdefizite festgestellt; manchmal so gravierend, dass man die Ärztinnen und Ärzte nicht alleine in einem Bereitschaftsdienst lassen könne. Das seien aber absolute Ausnahmen, in den allermeisten Fällen seien die Defizite händelbar, betont Mir-Salim. „Ich sehe eine hohe Bereitschaft bei meinen ausländischen Kolleginnen und Kollegen, unsere Sprache zu lernen und sich in unser System zu integrieren.“

Mehrheit kommt aus Europa

In Berlin arbeiten mehr als 3.000 Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland, das sind fast zehn Prozent aller in Berlin tätigen Medizinerinnen und Mediziner. Jene mit Migrationshintergrund noch nicht eingerechnet. Von den 3.251 ausländischen Ärztinnen und Ärzten (Stand 31.12.2023) stammt der größte Teil aus Europa (66 Prozent) bzw. aus der Europäischen Union (46 Prozent). Österreich, Italien und Griechenland liegen bei den europäischen Herkunftsländern ganz vorn. Die meisten nicht-europäischen Ärztinnen und Ärzte kommen aus Asien (20 Prozent) – mit Syrien an der Spitze, gefolgt von Saudi-Arabien und Iran. Afrika mit Ländern wie Ägypten, Tunesien und Libyen ist mit einem Anteil von 6 Prozent die drittgrößte Herkunftsregion der in Berlin tätigen Ärzteschaft.

Ohne die Ärztinnen und Ärzte, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind und hier arbeiten, würde unser Gesundheitswesen zusammenbrechen, heißt es aus der Ärztekammer Berlin. „Sie sind für uns unersetzbar.“ Mit dieser klaren Ansage hat sich die Kammer Anfang 2024 gegen Rechtsextremismus und demokratiefeindliche Tendenzen in Deutschland gestellt.

Ähnlich lautende Appelle kamen in diesem Jahr auch von etlichen anderen Ärzteorganisationen. Anlass war die Bundestagswahl im Februar und die hohen Zustimmungswerte zur AfD. „Wir sehen mit großer Sorge, dass derzeit mit Schlagworten wie 'Remigration' und 'Massenabschiebungen' unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen zutiefst verunsichert werden und nicht wenige von ihnen bereits darüber nachdenken, in einem anderen Land in Europa zu heilen und zu helfen“, schreibt ein Bündnis unter anderem aus Bundesärztekammer, Marburger Bund und Deutscher Krankenhausgesellschaft. Für die gesundheitliche Versorgung der Menschen in Deutschland würde das zu unverantwortbaren Verwerfungen in der Behandlung und Betreuung der Menschen führen.

Das Bündnis beruft sich unter anderem auf eine Studie des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI), die die Bedeutung der „Internationalen Talente“, so der Studientitel, für die deutsche Krankenhauslandschaft untermauert. Demnach ist die Zahl der ausländischen Ärztinnen und Ärzte in über 90 Prozent der Krankenhäuser in den vergangenen fünf Jahren – größtenteils deutlich – gestiegen und mehr als die Hälfte der Häuser (56 Prozent) hat mittlerweile eine oder einen Integrationsbeauftragte:n benannt. Doch die Studie verweist auch auf Schwierigkeiten: Sprachliche und fachlich-qualifikatorische Probleme sind demnach die größten Herausforderungen für die Krankenhäuser; kulturelle Unterschiede wie etwa die Akzeptanz der Geschlechterrollen oder die Einhaltung des Ramadans scheinen dagegen eher eine geringe Rolle zu spielen. Darüber hinaus werden bürokratische und administrative Hemmnisse genannt, die es den Krankenhäusern schwer machten, internationale Fachkräfte zu gewinnen.

 

Die Fachsprachprüfung ist der aussagekräftigste Teil, um zu beurteilen, wie gut eine Ärztin oder ein Arzt die deutsche Sprache spricht und ob sie sich auf Augenhöhe mit Medizinern verständigen kann.

Dr. med. Anett Neumann,
Prüferin für Fachsprachprüfungen bei der Ärztekammer Berlin

Bürokratische Hürden

In der Tat ist die Erlangung einer Approbation ein hoch bürokratischer Akt. Wer gute Deutschkenntnisse vorweisen kann, in einem EU-Staat ausgebildet wurde und alle notwendigen Unterlagen vorgelegt hat, erhält nach Auskunft des dafür zuständigen Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) die Approbation innerhalb der gesetzlichen Frist von vier Monaten, oft sogar schon nach einem Monat. Die meisten Anträge auf Approbation wurden im vergangenen Jahr von Ärztinnen und Ärzten aus der Ukraine (85) gestellt, gefolgt von der Türkei (58) und Syrien (47).

Bei Personen aus Drittstaaten dauert die Bearbeitungszeit demnach sechs bis elf Monate, häufig aber eben auch sehr viel länger. Sprachdefizite, fehlende Unterlagen, Unterschiede in der Ausbildung, die Kenntnisprüfungen oder aufwändige „Gleichwertigkeitsprüfungen“ erforderlich machen – all das kann die Verfahren zum Teil über Jahre in die Länge ziehen. Während des Anerkennungsverfahrens können Personen aus Drittstaaten eine Berufserlaubnis beantragen, die es ihnen für zwei Jahre erlaubt, „unter ärztlicher Aufsicht“ ihren Beruf mehr oder weniger auszuüben. Doch auch eine Berufserlaubnis gibt es nicht umsonst.

Lange Wartezeiten

Daten des LaGeSo zeigen, dass sich Ende 2024 insgesamt 676 Berufserlaubnisverfahren in Bearbeitung befanden, davon waren 393 Neuanträge. Bei den Approbationsverfahren betrug das Verhältnis 1.332 zu 643. Aktuell warten also mehr als 2.000 Ärztinnen und Ärztinnen darauf, in Berlin arbeiten zu können und mindestens die Hälfte davon schon seit mehr als einem Jahr.

Das Amt begründet die Verzögerungen mit „fehlenden Unterlagen und Nachweisen.“ Dazu gehört auch der verpflichtende Nachweis, gut Deutsch zu sprechen. Der größte Teil der ausländischen Bewerberinnen und Bewerber muss deshalb eine Fachsprachprüfung absolvieren. Im Jahr 2023 hat die Ärztekammer Berlin 626 solcher Prüfungen abgenommen, durchgefallen sind knapp 40 Prozent. Prüferin Dr. med. Anett Neumann rät, sich gezielt auf den dreiteiligen Test vorzubereiten. Insbesondere der letzte Teil, das Arzt-Arzt-Gespräch, sei eine Herausforderung, die viele unterschätzten. „Das ist der aussagekräftigste Teil, um zu beurteilen, wie gut eine Ärztin oder ein Arzt die deutsche Sprache spricht und ob sie sich auf Augenhöhe mit Medizinern verständigen kann“, so Neumann.

Damit die dringend benötigten Ärztinnen und Ärzte nicht länger andere Jobs machen müssen, sondern in ihrem Beruf arbeiten können, gibt es in einigen Bundesländern wie Bayern oder Sachsen Bestrebungen, die Anerkennungsverfahren zu vereinfachen und zu verkürzen. Auch im Bundesgesundheitsministerium sollen entsprechende Vorschläge liegen. Nur ist aktuell unklar, ob das von Bundesgesundheits­minister Prof. Dr. med. Karl Lauterbach angestoßene Vorhaben, das Änderungen in der Bundesärzte- und der Approbations­ordnung vorsieht, unter der neuen Regierung umgesetzt wird.

Keine Abstriche bei der Qualität

Dass die Anerkennungsverfahren für Ärzt:innen aus dem Ausland derzeit oft viel zu lange dauern, findet auch der Präsident der Ärztekammer Berlin, PD Dr. med. Peter Bobbert: „Hier sollten wir alle Möglichkeiten nutzen, die Prozesse zu optimieren“, sagt er. Abstriche bei den Anforderungen dürften dabei jedoch nicht gemacht werden. „Oberstes Gebot muss bleiben, dass die Qualität der Versorgung und die Patientensicherheit gewährleistet bleiben.“

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Einige geflüchtete oder ausgewanderte Ärztinnen und Ärzte sind unterdessen frustriert, dass ihr beruflicher Status, den sie einmal hatten, in Deutschland infrage gestellt wird. Laut DKI-Studie wirkt sich der „Rückfall in den Studentenstatus“ insbesondere bei spezialisierten Medizinerinnen und Medizinern unmittelbar auf die Arbeitszufriedenheit aus. Tatjana kennt den Frust. Die Gynäkologin aus der Ukraine darf mit ihrer Berufserlaubnis nur Hilfstätigkeiten in einer Berliner Frauenarztpraxis verrichten, dabei hat sie in ihrer Heimat Frauen und Neugeborenen das Leben gerettet. Da sie ihren Job nicht verlieren möchte, will sie ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen. In einer Arztpraxis zu arbeiten sei allemal besser, als Pizza auszutragen, erzählt sie in einem Mix aus Englisch und Deutsch.

Die meisten Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland arbeiten aber nicht im niedergelassenen, sondern im stationären Bereich, das Verhältnis beträgt laut Berliner Ärztestatistik etwa 1:3. Beim größten Arbeitgeber der Stadt, der Charité – Universitätsmedizin Berlin, haben etwa 15 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner einen ausländischen Pass.

Anlaufphase dauert länger

Probleme im Arbeitsalltag will das Klinikum so nicht bestätigen. „Internationale Ärztinnen und Ärzte kommen üblicherweise sprachlich und fachlich gut vorbereitet hier an“, teilt eine Sprecherin auf Nachfrage mit. Dennoch brauchten sie anfangs mehr Zeit für das Schreiben von Arztbriefen, Kommunikation und das Einarbeiten in die IT-Landschaft. Dies werde aber durch das „notwendige kollegiale Verständnis“ der deutschen Kolleginnen und Kollegen aufgefangen, „weil jeder neue Beschäftigte eine gewisse Anlaufphase benötigt.“

Um Neuankömmlingen aus dem Ausland den Einstieg zu erleichtern, gibt es den Angaben zufolge außerdem Mentorinnen und Mentoren in den Abteilungen sowie Mitarbeitende, die beim Onboarding helfen, also bei den behördlichen Anerkennungsverfahren und Sprachprüfungen unterstützen. Allerdings scheint das Berliner Universitätsklinikum, das sich als „kulturell aufgeschlossene Klinik“ bezeichnet, in einer privilegierten Lage zu sein. Stellen, die ohne ausländische Bewerber nicht besetzt werden könnten, gibt es demnach an der Charité nicht. „Wir haben keine offenen Stellen für Ärztinnen und Ärzte – vorübergehende Vakanzen durch natürliche Fluktuation ausgenommen.“

Neue ärztliche Fachkräfte aus dem Ausland werden an Berlins Universitätsklinikum also gar nicht so dringend benötigt wie anderswo. Es gibt Stimmen, die das begrüßen, weil ein Aspekt oft vergessen wird: In Ländern, in denen Krieg, Verfolgung und Elend herrschen, werden Ärztinnen und Ärzte vielleicht noch dringender gebraucht als in Deutschland. So kommentiert ein Arzt einen Artikel des Ärztenachrichtendienstes „Fachkräfte aus dem Ausland unverzichtbar für Gesundheitsversorgung“ mit den Worten: „Fremde Länder bluten in der medizinischen Versorgung aus.“ Eine Schande sei das.

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