Gesundheitsgefahren durch Soziale Medien: Wie können wir unsere Kinder besser schützen?

Was Menschen einst zusammenbringen und unterhalten sollte, ist längst zu einem neuen Gesundheitsrisiko geworden. Soziale Medien. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen machen sich die negativen Auswirkungen bemerkbar. In der Diskussionsrunde „Zwischen Reiz und Risiko – Wie Soziale Medien Kinderseelen beeinflussen“ Ende November diskutierten in der Ärztekammer Berlin Vertreter:innen aus Medizin, Politik, Wissenschaft, Pädagogik und Elternschaft darüber, wie den Gesundheitsgefahren durch TikTok, YouTube und Co. begegnet werden kann. 

Die Expert:innen und Gastgeber:innen der Diskussionsrunde (v. l. n. r.): Jakob Maske, Dr. Annika Baumann, Dr. med. Jakob Hein, Dr. med. Yüksel König, Dr. Kristian Kunow, Dr. med. Peter Bobbert

Die Expert:innen und Gastgeber:innen der Diskussionsrunde (v. l. n. r.): Jakob Maske, Dr. Annika Baumann, Dr. med. Jakob Hein, Dr. med. Yüksel König, Norma Kusserow, Dr. Kristian Kunow, Dr. med. Peter Bobbert

Mediennutzung: zu früh, zu exzessiv

„In der digitalen Welt werden Kinder häufig mit Bildern und Vergleichen konfrontiert, die sie nicht verarbeiten können“, erklärte Dr. med. Yüksel König, Mitglied des Vorstands der Ärztekammer Berlin und Moderatorin des Abends, zu Beginn der Veranstaltung. 

Jakob Maske, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt:innen e. V. (BVKJ), führte aus, dass es in der Regel keine frühen Warnsignale gebe. Dies betreffe nicht nur die Nutzung sozialer Medien, sondern alle Fälle, in denen Bildschirmmedien exzessiv und oft viel zu früh eingesetzt würden. Er berichtete von einem 5-jährigen Jungen aus seiner Praxis, der nicht sprechen konnte, nur hektisch und summend im Raum herumlief und körperlich nicht in der Lage war, allein auf die Untersuchungsliege zu klettern. Der Grund dafür war, dass er täglich über viele Stunden vor die bunt flimmernden Bildschirme gesetzt wurde und somit grundlegende Entwicklungen nicht durchlaufen konnte.

„Social Media ist ein starkes Suchtmittel“

Immer mehr Kinder und Jugendliche sind von negativen Folgen des Konsums von Sozialen Medien betroffen. Daher ist es dringend Zeit zu handeln – darin waren sich die Teilnehmenden der Diskussionsrunde einig. Für Dr. med. Jakob Hein, Facharzt für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie sowie Autor, steht fest, dass ein ausgeprägter Konsum von Sozialen Medien zu Depressionen und Angststörungen führen kann. Er habe viele mediensüchtige Patient:innen in seiner Praxis, berichtete er. 

Oft versuchten die Betroffenen, durch Soziale Medien negative Gefühle zu regulieren. Doch meist tritt das Gegenteil ein: Die extremen, in regelmäßigen Abständen ausgelösten Dopaminausstöße, die durch Soziale Medien hervorgerufen werden, machen schnell abhängig. Besonders extrem sei dies bei der Plattform TikTok der Fall, die vor allem von jungen Menschen genutzt werde. „Social Media ist ein starkes Suchtmittel“, so Hein.

Inhalte und Art der Nutzung sind entscheidend

Dr. Annika Baumann, Leiterin der Forschungsgruppe „Wohlbefinden in der digitalen Welt“ am Weizenbaum-Institut und Mitglied der Expertenkommission der Bundesregierung für einen effektiven Kinder- und Jugendmedienschutz, erklärte, dass Soziale Medien bei Kindern und Jugendlichen sehr viel stärkere Auswirkungen auf das Gehirn und die Psyche haben als bei Erwachsenen. Dennoch gehe es ihrer Meinung nach nicht nur darum, wie lange Kinder vor den Bildschirmen sitzen. Vor allem sei entscheidend, was und wie etwas genutzt wird. So gebe es auch viele positive, stärkende Inhalte in den Sozialen Medien, darunter auch solche, die nicht nur zum passiven Konsumieren, sondern auch zur Interaktion animieren. 

Norma Kusserow, Landesbeauftragte für psychische Gesundheit bei der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, betonte, dass es sich um ein umfassendes Thema handele, das politisch viele Ressorts betreffe. Sie setze besonders auf die Stärkung der Medienkompetenz. Diese müsse dort ansetzen, wo sich junge Menschen sich aufhalten, also in Kitas, Schulen und Ausbildungsstätten. 

Wir müssen die Plattformen stärker in die Verantwortung nehmen.

Dr. Kristian Kunow,
Stellvertretender Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb)

Aber auch Erwachsene – insbesondere Eltern und Lehrkräfte – benötigen mehr Medienkompetenz, um mit den Herausforderungen besser umgehen zu können. Kusserow verwies auf bereits bestehende Angebote wie das Zentrum für Verhaltenssucht des Caritasverbandes oder die Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin, die beide durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege gefördert werden. Allerdings räumte sie ein, dass sich die Sozialen Medien sehr schnell verändern, sodass sich die Präventionsangebote dieser Dynamik ständig anpassen müssen.

Anbieter in die Verantwortung nehmen

Dr. Kristian Kunow, stellvertretender Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb), betonte: „Wir müssen die Plattformen stärker in die Verantwortung nehmen.“ Es könne nicht sein, dass Inhalte, die früher aus Jugendschutzgründen erst ab 22 Uhr im linearen Fernsehen liefen, heute rund um die Uhr und für jeden verfügbar sind. Die Anbieter müssten ihre eigenen Regularien, wie beispielsweise Altersbegrenzungen, kontrollieren und durchsetzen. Sie müssten zudem verpflichtet werden, stärker gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen. Kunow erklärte dem Publikum in diesem Zusammenhang die Problematik der geltenden Haftungsfreistellung für Soziale Medien hinsichtlich der von ihnen transportierten Inhalte. Für diese haften sie im Gegensatz zu Zeitungen und Fernsehen zum Beispiel nicht.

Auch Baumann verwies auf die Verantwortung der Plattformen. Sie sollten Wissenschaftler:innen durch Schnittstellen Zugang zu ihren Daten gewähren, um die verschiedenen Auswirkungen Sozialer Medien auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nutzer:innen besser zu verstehen.

In der nachfolgenden Diskussion mit den Gästen der Veranstaltung wurde wiederholt beklagt, dass allzu oft die Eltern für die exzessive Nutzung Sozialer Medien durch ihre Kinder verantwortlich gemacht werden. Eltern und Lehrpersonal seien dagegen machtlos, so die einhellige Meinung. Und doch, so wandte Kunow ein, könnten Eltern Einfluss nehmen. Oft fehle nur das Wissen darüber, wie sich die Handynutzung der Kinder kontrollieren lasse. Es sei meist gar nicht nötig, die Nutzung von Smartphones komplett zu verbieten. Es gibt heute technische Möglichkeiten, einzelne Apps zu sperren und Nutzungszeiten zu begrenzen. Anleitungen für technische Schutzlösungen für Geräte und Apps finden sich beispielsweise unter www.medien-kindersicher.de. Auch Google (Family Link für Android) und Apple bieten Jugendschutzeinstellungen für ihre Systeme an.

Verbot als Lösung?

Bei der Frage nach einem Verbot von Smartphones oder Sozialen Medien gingen die Meinungen auseinander. Bis zu einem Alter von drei Jahren sollten Kinder möglichst gar keine Bildschirmmedien nutzen, so Maske. Der BVKJ hat daher die Kampagne „Bildschirmfrei bis 3“ ins Leben gerufen.

 

 

 

Am liebsten wäre ihm ein Handyverbot bis zu einem Alter von 12 Jahren, so Maske. „Aber ich weiß, dass das unrealistisch ist. Es gibt kaum 11-Jährige, die kein Handy haben.“ Kunow hingegen hält die Nutzung von Smartphones ab 10 Jahren für vertretbar. „Das Handy ist ja auch ein Werkzeug. Das sollten wir nicht generell verteufeln.“ Wichtig sei es auch, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben. Manchmal könne es helfen, mit ihnen einen „Mediennutzungsvertrag“ zu schließen. „Wenn Zeitungen, TV- oder Radiosender so handeln würden wie Social-Media-Plattformen, gäbe es einen großen Aufschrei“ beklagte Kunow. Aus seiner Sicht sei technisch bereits vieles möglich: „Restriktive Verbote bringen nichts, wir brauchen smarte Lösungen.“

Sechs Monate Wartezeit auf einen Therapieplatz

Doch was ist, wenn Kinder oder Jugendliche tatsächlich schon mediensüchtig sind und in der Folge sogar depressiv werden? „Dann hilft tatsächlich nur noch die totale Abstinenz – zumindest für eine gewisse Zeit“, so Hein. Das müsse natürlich von einer psychotherapeutischen oder psychiatrischen Behandlung begleitet werden. Das Problem: Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz betragen mindestens sechs Monate. Für junge Menschen ist das eine unzumutbar lange Zeit. Auch wenn die offiziellen Zahlen etwas anderes aussagen, zeigt die Realität, dass wir sowohl im stationären als auch im niedergelassenen Bereich nicht über genügend Ressourcen verfügen. Das bestätigte auch Kusserow und fügte hinzu: „Da benötigen wir eine neue Bedarfsplanung.“ 

Aus der Diskussionsrunde

Praktische Empfehlungen

  • Medienkompetenz von Kindern, Eltern und Schulpersonal stärken
  • Alternativangebote bzw. Erlebnisräume außerhalb Sozialer Medien schaffen
  • Niederschwellige Beratungsangebote
  • Schülerschaft und Eltern stärker in die Diskussion einbinden
  • Anbieter der Plattformen hinsichtlich der Altersverifikation in die Verantwortung nehmen
  • Stärkere Kontrollen der Anbieter hinsichtlich rechtswidriger Inhalte
  • Verpflichtende Schnittstellen als Zugang für Forschung für alle Plattformanbieter
  • Aufklärungsvideos in den Sozialen Medien selbst verbreiten
  • Psychotherapeutische Versorgung stärken (sowohl im niedergelassenen als auch im stationären Bereich)
  • Zentrale Stelle schaffen, an der sich Eltern und Lehrkräfte über technische Entwicklungen informieren können
  • Interdisziplinäre Netzwerke schaffen, unter anderem zum Austausch von Best-Practice-Beispielen
  • Frühkindliche Bildung stärken
  • Mehr geschultes Fachpersonal an Schulen, Kitas und Ausbildungsstätten einsetzen
  • Umgang mit Sozialen Medien frühzeitig in die Berufsbildung integrieren
  • Bei der Gesundheitsversorgung Eltern frühzeitig auf das Thema ansprechen

Klares Fazit

Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass der interdisziplinäre Austausch zum Thema verstärkt werden müsse. Dafür bräuchte es mehr Netzwerke und Räume zum Erfahrungsaustausch. Derzeit fände die Diskussion noch viel zu sehr in abgeschotteten Expertenkreisen statt. Eltern sowie die Kinder und Jugendlichen selbst sollten stärker in die Suche nach Lösungen eingebunden werden.

Zum Abschluss stellte Hein fest: „Wenn wir ehrlich sind, sind wir alle überfordert.“ 

Der Abend hätte ihm eine wichtige Erkenntnis mitgegeben, erklärte Kunow zum Schluss: „Wenn wir mal wieder in unserer Bubble diskutieren, würde ich gerne einige aus dieser Runde dazu einladen.“

Ein klares Fazit der Diskussion war, dass die Plattformen Sozialer Medien Verantwortung übernehmen müssen oder wie Hein es zusammenfasste: „Da, wo das Geld verdient wird, liegt auch die Verantwortung!“

Die Ergebnisse aus der Runde sind unter anderem in das Positionspapier „Soziale Medien bieten Nutzen und Risiken zugleich: Kinder und Jugendliche effektiv schützen“ eingeflossen, dass die Ärztekammer Berlin am 4. Dezember 2025 veröffentlicht hat.

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