Mein Weg mit Robert Koch

Berlin war Schauplatz manches Triumphs von Robert Koch. Hier hielt er seinen epochalen Vortrag über die Ätiologie der Tuberkulose. Hier wurden ihm zu Ehren große Festbankette ausgerichtet und der Kaiser belohnte ihn mit hohen Geldgeschenken. In Berlin lernte er Hedwig Freiberg kennen, die seine zweite Ehefrau werden sollte.

Buch-Cover: Mein Weg mit Robert Koch

Der „Tuberkulinrausch“

Im Jahr 1890 reiste der schottische Arzt und Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle nach Berlin. Dem Schöpfer der berühmten Sherlock Holmes-Romane ging es wie hunderten anderen Ärzten und tausenden Lungenkranken: Ihn hatte die Nachricht in Ekstase versetzt, dass der durch seine Bakterien-Entdeckungen weltberühmte Prof. Dr. Robert Koch (1843–1910) ein neues Heilmittel gegen Tuberkulose – das Tuberkulin – vorgestellt hatte.

Medizinhistorikerinnen und -historiker pflegen den Mythos vom bescheidenen und skrupulösen Dr. Koch, der gedrängt wurde, der nur in vorsichtigen Andeutungen gesprochen hätte und dessen Worte von Publikum und Politik dramatisch falsch verstanden worden wären. Indessen vermitteln die überlieferten O-Töne von Kochs Vortrag trotz ihrer leicht verschwurbelten Ausdrucksweise eine klare Botschaft: „Nach diesen Erfahrungen möchte ich annehmen, dass beginnende Phthise [=Tuberkulose] durch das Mittel mit Sicherheit zu heilen ist“. Besonders vorsichtig klang das nicht.

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Der „Tuberkulinschwindel“

Im eigens dafür umgebauten Circus Renz eröffnete am 4. August 1890 vor 5.000 Gästen der „X. Internationale medizinische Kongress zu Berlin“. Kultusminister Gustav von Goßler erwähnte bereits in seiner Begrüßungsrede Kochs Tuberkulin. Später verkündete Robert Koch, dass er ein Tuberkulose-Heilmittel gefunden und dieses in ersten Versuchen als wirksam und sicher getestet hätte. Berlin stand fortan Kopf, Caféhäuser und Hotels wurden zu Pop-up-Impfzentren umgebaut und mit Betten ausgestattet, in denen das in Windeseile produzierte Tuberkulin Kranken in den Rücken gespritzt wurde. Oft in großen feierlichen Inszenierungen in Anwesenheit von Prominenten. Kranke, Ärzte und Berichterstatter aus der ganzen Welt kamen nach Berlin, um an diesem Durchbruch zu partizipieren, der nicht nur die Krankheit Tuberkulose, sondern mit ihr gleichsam symbolisch alle Krankheiten künftig würde auslöschen können. So zumindest die damalige Erwartung, in der Politik, Medien und eine mentalitätshistorisch überaus interessante Wissenschaftseuphorie an einem Strang zogen.

Der „Tuberkulinrausch“ entpuppte sich nach wenigen Monaten als „Tuberkulinschwindel“: Heilerfolge blieben aus, die angeblich geheilten Patientinnen und Patienten waren ausschließlich die, die ohnehin nur leicht erkrankt waren. Koch wurde unter Druck gesetzt, seine geheim gehaltene Rezeptur zu veröffentlichen. Das vermeintliche Wundermittel stellte sich als recht primitive Mixtur aus in Glycerin aufgelösten Tuberkulosebazillen heraus.

Die Lebenserinnerungen

Dass Robert Koch sein Tuberkulin auch an seiner minderjährigen Geliebten und späteren Frau, der Schauspielerin und Malerin Hedwig Freiberg (1872–1945), getestet hatte, schreibt diese in ihren Lebenserinnerungen „Mein Weg mit Robert Koch“. So berichtet sie, dass sie in der Folge schwer erkrankte und sich nur langsam erholte. Und ein Leben lang unter den Spätfolgen dieser experimentellen Injektion litt.

Diese und andere Erinnerungen hat Hedwig Koch Jahre nach dem Tod des Nobelpreisträgers auf 75 Schreibmaschinenseiten festgehalten. Neben wenigen glücklichen Momenten beschreibt sie vor allem das Leben an der Seite eines schwierigen Mannes. Die schonungslosen Berichte aus dem Alltag des Ehepaars zeigen einen teilweise wenig sympathischen, pedantischen und geizigen Gatten. Zudem gibt sie tiefe Einblicke in die zweifelhafte Kolonialmedizin. In Kochs Beobachtungen kommen sowohl die Stärken als auch die Abgründe der von Robert Koch betriebenen mikrobiologischen Forschungen zum Ausdruck. Vor allem aber lesen sich ihre Erinnerungen als die Gesellschaftskritik einer Frau, die zwischen selbstloser Hingabe und Aufbegehren gegen erlittene Demütigung und Entwertung schwankt.

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