Redaktion: Seit dem Frühjahr 2023 sind Sie Chefärztin der Geriatrie bei den DRK Kliniken Berlin Westend. Der fachliche Schwerpunkt der Abteilung liegt auf der Alterstraumatologie. Was ist Ihnen und Ihrem Team bei der Versorgung der Patient:innen wichtig?
Sonja Triestram: Wir sehen unsere Patient:innen in der Geriatrie als Ganzes. Wir behandeln nicht nur die Akuterkrankung wie Schenkelhals- oder Beckenfraktur, sondern erfassen den gesamten körperlichen und psychischen Allgemeinzustand der Patientin oder des Patienten, inklusive des sozialen Umfeldes. Oft besteht eine Multimorbidität, einhergehend mit Polypharmazie und häuslicher Unterversorgung. In der Alterstraumatologie (ATZ) findet eine frühzeitige und strukturierte Behandlung im interdisziplinären Team mit geriatrischer und unfallchirurgischer Kompetenz statt, die durch die integrierte Zusammenarbeit mit geriatrisch aktivierender Pflege, Therapeut:innen aus der Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Psychologie und dem Sozialdienst dazu dient, die Autonomie und Selbstständigkeit der uns anvertrauten Patient:innen so weit als möglich wiederherzustellen. Diese besondere Teamarbeit prägt und „trägt“ unsere geriatrische Abteilung.
Neben dem ganzheitlichen Ansatz ist auch der Zeitaspekt nicht unwesentlich. Ältere Menschen brauchen einfach für bestimmte Abläufe mehr Zeit – die ist bei uns gegeben. Wir haben in der geriatrischen Komplexbehandlung die Möglichkeit, ganz individuell auf Veränderungen zu reagieren. Das alles machen wir mit dem Ziel, dass die Patient: innen möglichst wieder am Alltagsgeschehen teilhaben können. Wir fördern Mobilität und Selbstständigkeit und leisten damit einen ganz entscheidenden Beitrag für eine gute Lebensqualität und das Altern in Würde. Das schätzen unsere Patient:innen sehr. Die Dankbarkeit bei ihnen und auch bei den Angehörigen ist riesig. Zudem ist es für uns persönlich eine große Freude, wenn jemand nach einer Fraktur und unserer Therapie nicht in eine stationäre Pflegeeinrichtung, sondern nach Hause „gehen“ kann.
Was hat Sie persönlich zum Fachgebiet Geriatrie gebracht?
Die Geriatrie hat mich quasi „gefunden“. Während ich Anfang 2005 bei den DRK Kliniken Berlin Mitte als Assistenzärztin arbeitete, musste kurzfristig eine Stelle als Heimärztin in der stationären Pflegeeinrichtung „DRK Kliniken Berlin Pflege und Wohnen Mariendorf“ besetzt werden. Weil ich in der Nähe wohnte, lag es nahe, dass ich zunächst dorthin wechsele. Ungeplant, aber dann mit immer mehr Begeisterung und Engagement, habe ich dort fünf Jahre gearbeitet und lernte, wie viel man medizinisch auch noch im Pflegeheim erreichen kann. Das betrifft insbesondere die Vermeidung von Einweisungen ins Krankenhaus oder die symptomorientierte Begleitung am Lebensende mit Würde und Empathie. Einfach, weil man seine Patient:innen – die Bewohner:innen – und auch deren Angehörige wirklich gut kennt. Bei meiner geriatrischen und später auch palliativmedizinischen Weiterbildung habe ich dann gelernt, was darüber hinaus noch möglich ist, wenn man das Fachwissen für die Altersmedizin erwirbt.
Die Patient:innen als Ganzes sehen
Die medizinische, therapeutische und pflegerische Betreuung älterer, oft hochbetagter und mehrfach erkrankter Patient:innen steht im Fokus der Akutgeriatrie. In der Alterstraumatologie der DRK Kliniken Berlin Westend werden Traumapatient:innen ab 70 Jahren mit geriatrisch-internistischer und unfallchirurgischer Kompetenz versorgt.
Die OSTKREUZ-Fotografin Stephanie Steinkopf hat das Team und die Patient:innen begleitet.
Mehr erfahren: DRK Kliniken Berlin Westend, Klinik für Innere Medizin – Geriatrie
Geriatrie: Der ganze Mensch im Fokus
Die Menschen in Deutschland werden immer älter und Krankheiten gehören oft zum Altwerden dazu. Das bedeutet letztlich, dass jede Ärztin, jeder Arzt in Zukunft zumindest im weiteren Sinne geriatrisch tätig sein wird. Sind Ärzt:innen darauf vorbereitet?
Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, dass sie eigentlich schon jetzt geriatrisch arbeiten. Schauen Sie einmal, welche Patient:innen auf den meisten Stationen liegen. Viele sind älter, viele haben mehrere Vorerkrankungen. Und angesichts des demografischen Wandels werden auch zukünftig mehr hochbetagte Menschen medizinisch versorgt werden müssen. Für diese Perspektive reicht die bisherige Verankerung im Studium oder auch in der Fort- und Weiterbildung nicht aus. Viele Ärzt:innen haben Unsicherheiten im Umgang mit älteren Patient:innen. Deswegen wird bei den DRK Kliniken Berlin Westend viel Wert darauf gelegt, dass PJ-Studierende oder Ärzt:innen in der Weiterbildung der Inneren Medizin zu uns rotieren. Das zahlt sich aus: Selbst wenn sie später auf anderen Stationen arbeiten, achten sie bei älteren Patient:innen besser auf bestimmte Aspekte und geben uns wertvolle Informationen.
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Eine gute Versorgung geriatrischer Patient:innen beginnt in der Regel in der hausärztlichen Praxis und wird dort nach der Akutbehandlung weitergeführt. Welche Ansätze sehen Sie, um die Zusammenarbeit zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor zu verbessern?
Es bestehen leider nach wie vor Kommunikationsbrüche. Dabei ist es gerade in der Geriatrie wichtig, möglichst umfassend alle Informationen zur Hand zu haben, um eine gute und adäquate Behandlung sicherzustellen. Beispiel Medikamentenplan: Wenn wir den immer direkt bei den Patient:innen hätten – zum Beispiel elektronisch auf der Krankenkassenkarte gespeichert, dann würden wir enorm viel Zeit für die Recherche sparen. Und auch die Erreichbarkeit ist ein Thema. Viele Praxen setzen weiterhin vornehmlich auf das Telefon oder das Fax. Oft verpasst man sich so gegenseitig. Ich denke, dass wir die Digitalisierung wirklich als Chance begreifen müssen, die zwar Arbeitsabläufe ändert, gleichzeitig aber auch echte Potenziale bietet, um Informationen schneller und einfacher weitergeben zu können.
Ältere Menschen brauchen einfach für bestimmte Abläufe mehr Zeit – die ist bei uns gegeben. Wir haben in der geriatrischen Komplexbehandlung die Möglichkeit, ganz individuell auf Veränderungen zu reagieren.