Zentralisierung statt „Hierarchiewissen“
„Aus Schnittstellen Verbindungsstellen zu machen – das liegt mir am Herzen“, sagt Dr. Beate Blichmann und wirkt so, als ob es sich dabei um eine leichte Übung handelt. Vielleicht, weil die 1979 geborene Ärztin während ihres beruflichen Alltags unzähligen Schnittstellen begegnet, für die es gute Verbindungen braucht. Blichmann leitet als Dezernatsärztin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ein siebzehnköpfiges Ärzteteam, das eine bestimmte Aufgabe hat: Es berät die Verwaltung der Rentenversicherung, wenn diese über die Genehmigung von Anträgen auf medizinische Rehabilitationsleistungen aus ärztlicher Sicht entscheiden soll. Früher tauchten dabei regelmäßig Fragen auf, mit denen sich nicht alle im Team wirklich gut auskannten. Inzwischen ist das aber kein großes Problem mehr – dafür hat sie selbst gesorgt.
Nachdem Blichmann 2014 bei der Behörde angefangen hatte, tauschte sie sich mit Kolleg:innen aus anderen Dezernaten über deren Erfahrungen bei der Einarbeitung aus. Sie war seinerzeit überrascht, wie diese bei ihr gelaufen war. „Das war ganz anders als in den Kliniken, wo es meistens hieß: ‚Hier ist der Schlüssel für deinen Spind im Keller, wir sehen uns dann morgen auf Station‘.“ Beim Austausch mit den Kolleg:innen stellte Blichmann jedoch Unterschiede fest. „Manche hatten nützliches Wissen erlangt, das anderen fehlte.“ Die Ärztin nennt das „Hierarchiewissen“. Ihr Vorschlag, das zu ändern und die Einarbeitung zu zentralisieren, stieß in der Behörde auf breite Zustimmung.
Ich will weg vom ‚Wilmersdorfer Landrecht‘, wie dieses Phänomen hier manchmal flapsig genannt wird.
Digital statt analog
Sie entwickelte einen Plan für ihre Ideen und sorgte dafür, dass der Einarbeitungsordner in Papierform durch eine digitale Version ersetzt wurde. „So können wir die Infos gemeinsam immer aktuell halten. Das ist ein Riesenvorteil für alle.“ Gleichzeitig hatte sie noch mehr Ideen, wie sich die Zusammenarbeit der verschiedenen Dezernate und der Austausch mit den Antragstellenden verbessern ließen. Schon damals war ihr klar: „Ich will weg vom ‚Wilmersdorfer Landrecht‘, wie dieses Phänomen hier manchmal flapsig genannt wird.“ Blichmann lacht. Was sie damit meint? „Wenn es Entscheidungskriterien gibt, die sich nicht nachvollziehen lassen, dann fragen sich die Menschen zu Recht: ‚Warum wurde der eine Reha-Antrag durchgewunken und der andere nicht?‘.“
Mit dieser Denkweise rannte Blichmann bei der Rentenversicherung offene Türen ein. Ihr Chef unterstützte von Anfang an ihre Ideen und setzte sich dafür ein, dass sie mehr Verantwortung übernehmen konnte. Deshalb ist sie heute nicht nur Dezernatsärztin: Mit 51 Prozent ihrer Stelle ist Blichmann Bereichsleiterin Ausbildungs- und Talentförderung der Abteilung Prävention und Rehabilitation, zu deren Aufgaben ausdrücklich der Wissenstransfer und die Digitalisierung gehören. Auch diese Themen sind ihr ein Herzensanliegen: Sie freut sich, wenn sich neue Kolleg:innen leichter zurechtfinden und fördert deren Engagement, zum Beispiel durch regelmäßige dezernatsübergreifende Formate, bei denen sich Mitarbeitende aus verschiedenen Teams zu sozialmedizinischen Themen austauschen.
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Blichmann hat an der Freien Universität in Berlin studiert und anschließend in verschiedenen Reha-Kliniken gearbeitet. Sie weiß also aus Erfahrung, was Rehabilitation in der Praxis bedeutet. Während des Studiums lernte sie ihren Mann kennen und bekam vier ihrer sechs Kinder. Teamplay ist ihr in die DNA geschrieben: „Kindergarten, Schule, Sportvereine und Babysitter – auch als Mutter braucht man Talent, um Menschen zusammenzubringen und gut zu kommunizieren.“ Ein Talent, das ihr auch im Beruf hilft. Ihr ist es wichtig, dass Versicherte und ihre Ärzt:innen leichter verstehen, welche Informationen die Rentenversicherung im Antragsverfahren benötigt. Dafür hat sie ein Pilotprojekt entwickelt, das einer Proaktiven Strategie folgt. Es unterstützt Diabetiker:innen dabei, so früh wie möglich Reha-Leistungen zu beantragen und somit ihre gesellschaftliche Teilhabe länger zu erhalten.
So ist es kaum verwunderlich, dass die Behörde die Dezernatsärztin im vergangenen Jahr mit der fachlichen Leitung eines wichtigen Digitalisierungsprojekts betraut hat. Es nennt sich „Regelbasierte Entscheidungsunterstützung“ (RegEnt) und bedeutet, dass alle 730.000 Reha-Anträge, die pro Jahr bei der Rentenversicherung Bund eingehen, digital gescannt werden. Der Befehl für den Suchprozess lautet: „Prüfe, ob du eine bestimmte Diagnose, eine funktionelle Einschränkung und eine entsprechende Vorbehandlung findest.“ „So filtern wir alle Fälle heraus, die sonnenklar sind“, erklärt Blichmann. „Circa 70 Prozent aller Anträge bewilligen wir im Erstdurchgang. Mit dem neuen digitalen Werkzeug finden wir diese Anträge nun schneller – und haben mehr Kapazitäten für die kniffligen Fälle.“ Genau die findet sie übrigens besonders spannend. „Ich kriege zum Glück öfter mal diese besonders schönen Fälle auf den Tisch“, sagt sie und lächelt. Dass sie das ernst meint, nimmt man ihr sofort ab.
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