Mein Thema: Freundschaft und Verrat

Was beschäftigt Berliner Ärztinnen und Ärzte in ihrem Lebens- und Arbeitsalltag? „Berliner Ärzt:innen“ hat bei Dr. med. Peter Volkmann nachgefragt. Er blickt auf ein ungewöhnliches Leben zurück. Nach seiner Flucht aus der DDR wurde er Allgemeinmediziner – aus gutem Grund.

Dr. med. Peter Volkmann

Mit dem Fahrrad durch Berlin

2022 gab Peter Volkmann seine Hausarztpraxis in Wilmersdorf auf – nach 35 Jahren. Da war er 77 Jahre alt. Doch kurz darauf ließ er sich für zwei Tage in der Woche in einer Hausarztpraxis anstellen, die in der ehemaligen Prachtstraße des Sozialismus, der Frankfurter Allee, liegt. „Passt irgendwie zu mir“, sagt er lächelnd. Den Weg von Wilmersdorf bis „tief in den Osten Berlins“ legt er mit dem Fahrrad zurück, nicht auf dem E-Bike, sommers wie winters, hin und zurück anderthalb Stunden.

„Warum tust du dir das an?“, wird er manchmal gefragt. „Im Winter morgens um halb sieben durchs kalte, nasse und dunkle Berlin?“ Nach einem Berufsleben, in dem 60 Arbeitsstunden pro Woche keine Seltenheit waren, hätte Volkmann wahrlich gute Gründe, es sich bequemer zu machen. Dass er es nicht tut, dass er also nicht den einfachen Weg wählt, ist ein für ihn typisches Verhalten, das sich durch sein ganzes Leben zieht.

Ich habe bereits mit 16 gemerkt, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was gesagt wird und dem, was wirklich ist.

Dr. med. Dr. rer. nat. Peter Volkmann,
Facharzt für Allgemeinmedizin

Geboren im Hotel Lux in Moskau

Und das fängt schon spektakulär an. Volkmann wird 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, im ebenso legendären, wie berüchtigten Hotel Lux in Moskau geboren. Seine Mutter ist eine deutsche Kommunistin, deren Familie 1934 in die Sowjetunion emigrierte. Doch ein Onkel Volkmanns wird in der Zeit der „großen Säuberungen“ 1938 schuldlos erschossen und seine Tante kam für acht Jahre in den Gulag, den sie nur knapp überlebte. 1948 kehrt die Familie nach Deutschland zurück, nach Ost-Berlin.

Volkmann wächst in privilegierten Verhältnissen und mit sozialistischen Überzeugungen auf. „Meine Familie gehörte zum kommunistischen Uradel“, bemerkt er schmunzelnd. Er aber befreit sich schon in jungen Jahren von dieser Ideologie: „Ich habe bereits mit 16 gemerkt, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was gesagt wird und dem, was wirklich ist“.

Nach dem Abitur studiert er Physik und promoviert in diesem Fach. Doch sein Land, die DDR, ist ihm inzwischen fremd geworden. „Zu unfrei, zu grau, zu perspektivlos.“ Er testet die Grenzen des Möglichen aus: „Ich habe immer versucht, meine Meinung zu vertreten und dabei so weit zu gehen, wie es ging: Ohne von der Universität zu fliegen oder verhaftet zu werden.“

Die Flucht aus der DDR und ein Neuanfang

Volkmann denkt über Flucht nach. Dass diese im August 1973 gelang, ist der unwahrscheinliche Ausgang eines riskanten Versuchs, nachts durch die Donau von Rumänien ins damalige Jugoslawien zu schwimmen. Da war Volkmann 28 Jahre alt. „Wie gefährlich diese Flucht wirklich war, ist mir erst Jahre später klar geworden, als ich den Ort bei Tageslicht besichtigen konnte.“

Der Neuanfang in West-Berlin fällt ihm schwer. Ohne seine Freunde und seine Familie gerät er in eine emotionale Krise und fällt in ein Loch, das alle Flüchtlinge kennen. Den Gedanken, Arzt zu werden, hatte Volkmann schon in der DDR – jetzt taucht er wieder auf: „Ich hatte so eine Unruhe in mir, wenn ich über die Lebenswirklichkeit eines Physikers nachdachte: im Labor, forschend, am Computer. Das konnte ich mir jetzt gar nicht mehr vorstellen.“ Er merkt: „Ich will Menschen helfen.“

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Mit 30 beginnt er noch einmal zu studieren: Medizin an der Freien Universität Berlin. Während der Facharztausbildung im Krankenhaus meldet sich sein Freiheitsdrang wieder: „Ich wollte mein eigener Herr sein.“ Also macht er sich 1987 als Hausarzt selbstständig. „Mich interessierte immer der ganze Mensch und ich habe sehr viel von meinen Patienten gelernt.“ Volkmann beginnt in seiner Freizeit zu schreiben und veröffentlicht 2013 sein erstes Buch So viel Zeit muss sein, in dem er von seinen Erlebnissen als Hausarzt erzählt.

Zwei alte DDR-Themen beschäftigen ihn jedoch weiterhin. Das eine äußert sich in Form von Alpträumen. Die verdrängten Ängste aus der Fluchtnacht quälen ihn 16 Jahre lang und verschwinden erst mit dem Fall der Mauer 1989.

Der Freund, ein Verräter

Das zweite Thema betrifft einen schockierenden Verrat: Ein enger Jugendfreund entpuppt sich später als Stasi-Spitzel. „Er hat uns alle verraten. Einige kamen durch ihn für Jahre ins Gefängnis.“ Die Arbeit in der Praxis und seine Familie helfen ihm bei der Bewältigung. Doch jahrelang kreisen seine Gedanken um die Frage, wie man gleichzeitig bester Freund und Verräter sein kann. Mit seinem 2024 erschienenen Roman "Der Freund - Im Visier der Stasi" findet Volkmann schließlich eine Antwort darauf. „Das Schreiben dieses Buches war Selbsttherapie. Es hat mich vom quälenden Grübeln befreit.“

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