Mein Thema: „Arbeit darf nicht krank machen“

Was beschäftigt Berliner Ärztinnen und Ärzte in ihrem Alltag, beruflich und persönlich? Berliner Ärzt:innen hat bei Dr. med. Marianne Engelhardt-Schagen nachgefragt, die ihr Berufsleben und auch ihren Ruhestand der Arbeitsmedizin gewidmet hat.

Dr. med. Marianne Engelhardt-Schagen

Dr. med. Marianne Engelhardt-Schagen

„In der Arbeitsmedizin liegt der Fokus auf Prävention“

Dr. med. Marianne Engelhardt-Schagen ist eine umtriebige Frau, die sich gerne kümmert: um den großen Garten ihres alten Hauses im Brandenburger Oderbruch. Um ihre Kinder und um die Enkel. Oder eben als Medizinerin um Menschen und ihre Gesundheit. Schon mit zwölf Jahren stand für sie fest, dass sie Ärztin werden wollte – inspiriert vom Hausarzt der Familie in ihrer Heimat Schaumburg-Lippe bei Hannover. Zielstrebig machte die junge Marianne als erste in der Familie das Abitur und ging 1972 zum Medizinstudium nach Berlin. Zum Entsetzen ihrer Eltern, für die Berlin „Sodom und Gomorrha“ bedeutete. „Ich aber wollte Abenteuer“, berichtet die heute 71-Jährige.

Vom Dorf in die Großstadt – anfangs ein Kulturschock. Doch sie lebte sich schnell ein, war bald in politischen Gruppen aktiv und wurde zur Studentenvertreterin gewählt. „Das Stipendium bei der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, das ich wegen meines gesellschaftlichen Engagements bekommen habe, hat sicher etwas damit zu tun, dass ich Arbeitsmedizinerin geworden bin. Als Stipendiatin durfte ich an Seminaren teilnehmen, die je zur Hälfte aus Stipendiat:innen, zur Hälfte aus Berufstätigen bestanden. Dort lernte ich die gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen in der Industrie der 1970er-Jahre kennen“, erinnert sie sich. Nach ihrem Medizinstudium begann sie als Internistin in der Klinik und als drei Jahre später die Facharztausbildung für Arbeitsmedizin eingeführt wurde, war sie eine der ersten. Eine Entscheidung, die sie nie bereut hat: „In der Arbeitsmedizin liegt der Fokus auf Prävention“, erklärt Engelhardt-Schagen, diese sei so wichtig, denn „Arbeit darf nicht krank machen“.

Ihre erste Stelle als Fachärztin für Arbeitsmedizin hatte sie als Betriebsärztin bei einem Berliner Energieversorger mit 14.000 Beschäftigten. Doch die Bürokratie und der drastische Personalabbau nach dem Mauerfall gefielen Engelhardt- Schagen nicht. „Vieles drehte sich nur noch um Profit und Wachstum. Diese Ideologie hatte in den 1990-er Jahren Konjunktur, als sich Unternehmensberatungen in den Betrieben die Klinke in die Hand gaben. Die Folge waren ein massiver Personalabbau und eine totale Überlastung der Menschen, auch in den Kliniken“, erinnert sich die Arbeitsmedizinerin. Sie bildete sich in Supervision, Coaching, systemischer Organisationsentwicklung und Mediation weiter und beriet in Teilzeit Unternehmen.

Mein Job war es, die verschiedenen Positionen an einen Tisch zu bekommen und gemeinsam zu schauen, was gut läuft, welche Schwachstellen und vor allem welche Lösungsideen es gibt. So ein Vorgehen bezieht die Menschen ein und sorgt für ein gutes Betriebsklima.

Dr. med. Marianne Engelhardt-Schagen,
Fachärztin für Arbeitsmedizin

So kam sie in Kontakt mit der Universität der Künste Berlin (UDK Berlin), wo sie später als Betriebsärztin anfing und in den folgenden 14 Jahren rund 1.000 Mitarbeitende und 4.000 Studierende betreute. Vom Umgang mit Gefahrstoffen wie Steinstaub bei den Bildhauer:innen oder Lösungsmitteln in der Malerei über Erste Hilfe bei Unfällen sowie Rücken- und Gelenkschmerzen bei Musikerinnen und Musikern durch einseitige Körperhaltung bis hin zu psychischen Belastungen der Studierenden durch Lampenfieber, Prüfungsangst, Depressionen, Drogen oder Psychosen prägten unterschiedlichste Probleme ihren Arbeitsalltag. Auch Konflikte unter den Mitarbeitenden oder Meinungsverschiedenheiten wegen finanzieller Engpässe, weil die Gelder vom Senat wieder einmal gekürzt wurden, erforderten ihre Expertise. „Mein Job war es beispielsweise, die verschiedenen Positionen an einen Tisch zu bekommen und gemeinsam zu schauen, was gut läuft, welche Schwachstellen und vor allem welche Lösungsideen es gibt. So ein Vorgehen bezieht die Menschen ein und sorgt für ein gutes Betriebsklima.“

Im Jahr 2023 ging Engelhardt-Schagen in den Ruhestand. Heute genießt sie ihre Freizeit, geht ins Theater oder besucht Konzerte und Museen. Doch so ganz ohne Arbeitsmedizin kann sie nicht, und so betreut sie ehrenamtlich die Mitarbeitenden des Ankunftszentrums für ukrainische Geflüchtete am Flughafen Tegel. Engelhardt-Schagen ist und bleibt umtriebig. Für ihr „Engagement für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitsmedizin, insbesondere der psychischen Gesundheit“ wurde ihr im vergangenen Herbst auf Vorschlag des Bundesministers für Arbeit und Soziales der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Es gibt noch viel zu tun, und weil die Aufgaben in der Arbeitsmedizin so vielfältig und sinnstiftend sind, arbeitet Dr. med. Marianne Engelhardt-Schagen einfach weiter.

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