Diagnose: Rhythmusstörungen in Praxisverwaltungssystemen

Mitglieder des Ärztenetzwerks Berlin haben vom 31. März bis zum 3. Juli 2023 gemeinsam mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) eine Umfrage zu Praxisverwaltungssystemen (PVS) und zur Telematikinfrastruktur (TI) durchgeführt. Sie richtete sich an Berliner Praxisinhaber:innen und ihre Mitarbeitenden. Ziel der Erhebung war es, Unterschiede in der Nutzerfreundlichkeit und im Service von Anbieter:innen von Praxisverwaltungssystemen zu identifizieren und einen Einblick in die Implementierung der Telematikinfrastruktur in ambulanten Praxen zu bekommen.

Auswertung der Umfrage zur Umsetzung der Digitalisierung

Nahezu die Hälfte (44 Prozent) der teilnehmenden Praxen berichtete über nicht funktionierende Prozesse in ihrem PVS, die wöchentlich oder mehrmals pro Monat auftreten. Zu den Situationen, die häufig Probleme bereiten, zählen demnach das Auslesen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK; 75,9 Prozent), die Nutzung von TI-Anwendungen (72,3 Prozent) und die Nutzung des PVS nach einem Update (62,6 Prozent). Nur 5,5 Prozent der Teilnehmenden gaben an, keine Probleme mit ihrem PVS zu haben.

Eingesetzte Praxisverwaltungssysteme

Die drei meistbenutzten Praxisverwaltungssysteme aus der Stichprobe sind TURBOMED (CGM), QUINCY (FREY ADV) und ALBIS (CGM). Mehr als die Hälfte der Nutzenden gab an, dass nicht-funktionierende Prozesse im PVS wöchentlich oder mehrfach im Monat auftreten. Allgemein deuten sich Unterschiede in der Problemhäufigkeit zwischen den einzelnen PV-Systemen an (siehe Abbildung 1). Auch jeweils zwei Drittel der Nutzenden von x.concept (medatixx) und MEDISTAR (CGM) gaben wöchentliche oder mehrfach im Monat auftretende Prozessstörungen an.

Deutlich seltenere Störungen – ein paar Mal im Quartal oder im Jahr bis hin zu gar keinen Problemen – nehmen die Nutzenden der Softwares psyprax (71,4 Prozent; Psyprax), tomedo (70 Prozent; Zollsoft) und EPIKUR (66,7 Prozent; Epikur) wahr. Bei psyprax und Epikur handelt es sich unter anderem um Praxisverwaltungssysteme für Psychotherapeut:innen. Diese Berufsgruppe hat mit TI-Anwendungen eher vereinzelt Berührungspunkte, weshalb Störungen im PVS möglicherweise auch seltener wahrgenommen werden.

Werden Probleme mit dem PVS festgestellt, wendet sich die Mehrheit der Befragten direkt an den PVS-Anbieter (75,3 Prozent). Allerdings äußert mehr als die Hälfte Unzufriedenheit über die Erreichbarkeit der jeweiligen Servicehotline (51,5 Prozent). Zudem werden hohe allgemeine Kosten (60,7 Prozent) sowie hohe zusätzliche Kosten für den Support (55,1 Prozent) beklagt.

Auswertung der Umfrage zur Umsetzung der Digitalisierung

Abbildung 1: Die Anzahl der nicht-funktionierenden Prozesse bei den zwölf Praxisverwaltungssystemen mit der höchsten Anzahl an Nutzenden.

Anbieterwechsel: Bereitschaft und Erfahrungen

Knapp die Hälfte der Befragten signalisierte Bereitschaft für einen Wechsel des PVS (49,6 Prozent), davon 15,3 Prozent „vielleicht in den nächsten Jahren“. Bei Teilnehmenden, die eine Wechselbereitschaft angaben (n = 191), zeigte sich jedoch sehr deutlich, dass ein möglicher Wechsel mit großer Sorge verbunden wird. So wird befürchtet, dass die Überführung der Praxis- und Patient:innendaten einen unangemessen hohen Aufwand bedeutet (90,6 Prozent Zustimmung). Zudem werden von 73,8 Prozent Datenverluste bei der Datenmigration befürchtet; unangemessene Trainings- und Umschulungsmaßnahmen beunruhigen zusätzlich 85,3 Prozent der Teilnehmenden, die sich einen Wechsel vorstellen könnten. Darüber hinaus erwarten 90 Prozent unangemessen hohe Wechselkosten für die Schnittstelle beziehungsweise die Datenmigration.

Die Rückmeldungen von Teilnehmenden, die bereits einen Wechsel des PVS vollzogen haben (n = 32), zeigen aber, dass sich diese Befürchtungen nicht bewahrheiten müssen. So wurden die Trainings- und Umschulungsmaßnahmen überwiegend als angemessen empfunden (68,8 Prozent). Uneinigkeit herrschte hingegen bei der Beurteilung der Angemessenheit des Aufwands: 53,1 Prozent fanden die Praxisdatenüberführung angemessen, 46,9 Prozent nicht. Einen reibungslosen Ablauf bei der Datenmigration erlebten 50 Prozent, während 40,6 Prozent Schwierigkeiten angaben [keine Angabe: 9,4 Prozent]. Die Angemessenheit der Wechselkosten wurde von 50 Prozent bejaht und von 46,9 Prozent verneint [keine Angabe: 3,1 Prozent].

Schlussendlich stimmte eine Mehrheit von 68,8 Prozent voll und ganz bzw. eher zu, dass der Wechsel zu signifikanten Verbesserungen geführt hat. Einige Teilnehmende gaben in Freitextantworten Gründe an, weshalb sie einen PVS-Wechsel nicht in Betracht ziehen. Genannt wurden insbesondere: Zufriedenheit mit dem aktuellen PVS, die Wahrnehmung gleicher Probleme bei anderen PVS-Anbietern, die hohen Kosten bei anderen Anbietern, bevorstehende Praxisabgabe, ein zu hoher Informationsaufwand bei der Suche eines geeigneten Systems.

Immer auf dem Laufenden bleiben. Melden Sie sich hier für unseren Newsletter an.

Nutzung von TI-Anwendungen

Ein Schlüssel zur Nutzung von TI-Anwendungen liegt im elektronischen Heilberufsausweis (eHBA). Von den haus- und fachärztlichen Teilnehmenden nutzen diesen 60,3 Prozent respektive 59,5 Prozent regelmäßig. Bei Teilnehmenden der psychotherapeutischen Versorgung gab der überwiegende Anteil zwar an, über einen eHBA zu verfügen, ohne diesen allerdings zu nutzen (65,3 Prozent).

Mit weitem Abstand vor anderen TI-Anwendungen nutzen 88,6 Prozent der Teilnehmenden (ohne niedergelassene Psychotherapeut:innen, n = 316) die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Andere TI-Anwendungen kommen bisher jedoch weitaus seltener zum Einsatz: Kommunikation im Medizinwesen (KIM) 48,7 Prozent, elektronischer Arztbrief 32 Prozent, elektronischer Medikationsplan 22,2 Prozent, Notfalldatenmanagement (NFDM) 15,2 Prozent, elektronische Patientenakte 10,8 Prozent sowie elektronisches Rezept 9,8 Prozent.

Die eAU wird von 62,5 Prozent eher als erschwerend für den Praxisalltag wahrgenommen. Als Unterstützung wird hingegen am ehesten der elektronische Medikationsplan wahrgenommen (46,4 Prozent). 26,1 Prozent beurteilen auch diesen als erschwerend (n = 69). Ein indifferentes Bild zeigt sich bei der Nutzung des eArztbriefs. Dieser wird jeweils von rund einem Drittel als Erleichterung, als Belastung und ohne Einfluss auf den Arbeitsaufwand bewertet. Dass einige TI-Anwendungen nicht genutzt werden (können), begründet die Hälfte der Teilnehmenden mit der zeitaufwendigen Einführung (51,7 Prozent) und einer hohen Fehleranfälligkeit (50,4 Prozent).

Zahlreiche Probleme, wenig entlastende Wirkung

Das Fazit der Umfrage fällt ernüchternd aus. Die überwiegend bereits digitalisierten Praxen kämpfen teilweise wöchentlich oder mehrfach monatlich mit auftretenden Störungen im PVS und haben dann Schwierigkeiten, die Servicemitarbeitenden des PVS-Anbieters zu erreichen. Das Auslesen von eGK, die Nutzung von TI-Anwendungen und fehlerhaft programmierte Updates gehören zu den Kernproblemen. Unweigerlich führen die Probleme mit einigen Praxisverwaltungssystemen dazu, dass ein Drittel bis die Hälfte der Teilnehmenden einen PVS-Wechsel in Betracht ziehen.

Für PVS-Anbieter mit der Absicht, Neukunden zu gewinnen, gilt es, den Wechselaufwand in den Praxen gering zu halten und Sorgen vor Datenverlusten, umfangreichen Umschulungsmaßnahmen sowie hohen Wechselkosten vorzubeugen. Der sich allmählich abzeichnende Aufbau der Telematikinfrastruktur zeigt lediglich vereinzelt eine entlastende Wirkung auf den Praxisalltag. Die zeitintensive Einführung und die hohe Fehleranfälligkeit begründen unter anderem, dass TI-Anwendungen nicht in den Praxen genutzt werden (können).

Mit einer folgenden deutschlandweiten Umfrage wollen wir eine umfangreichere Vergleichsdatenbasis zu eingesetzten PVS schaffen, da bisher neutrale Vergleichsportale zur Einschätzung der PVS fehlen.

Autor:innen

Zentralinstitut kassenärztliche Versorgung

  • Tobias Nieporte
  • Dr. med. Sebastian Carnarius
  • Kalina Witt
  • Doreen Becker
  • Thomas Czihal
  • Dr. rer. pol. Dominik von Stillfried

Ärztekammer Berlin

  • Dr. med. Klaus-Peter Spies
  • Dr. med. Irmgard Landgraf

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Wir freuen uns über Ihr Feedback!

Ja
Nein

Vielen Dank!

Zur Ärztekammer Berlin