„Wir können es nur gemeinsam schaffen“

Ohne Medizinische Fachangestellte (MFA) würde heute keine ärztliche Praxis mehr funktionieren. Doch obwohl der Ausbildungsberuf bei jungen Menschen weiterhin äußerst beliebt ist, herrscht im ambulanten Bereich Fachkräftemangel – auch weil viele MFA nicht im Beruf gehalten werden können. Bei der Veranstaltung „MFA – Gemeinsam für mehr Wertschätzung“ am 22. Juni 2023 in der Ärztekammer Berlin diskutierten Expert:innen darüber, was getan werden muss, um die Situation zu verbessern.

Diskussionsrunde „MFA – Gemeinsam für mehr Wertschätzung“ am 22. Juni 2023 in der Ärztekammer Berlin

Am 22. Juni 2023 fand in der Ärztekammer Berlin die Diskussionsrunde „MFA – Gemeinsam für mehr Wertschätzung“ statt. Von links nach rechts: Dr. med. Eva Jacobi, Hannelore König, Dr. med. Christiane Wessel, Elke Sido, Dr. med. Matthias Blöchle

„Wir haben ein Problem – und darüber wollen wir heute ganz offen sprechen“, eröffnete PD Dr. med. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin, die Veranstaltung. Ein Großteil der ärztlichen Praxen suche mittlerweile vergeblich nach Medizinischen Fachangestellten und könne freie Stellen nicht mehr besetzen. Über die Gründe dafür wurde in den folgenden zwei Stunden sehr offen – teilweise leidenschaftlich – diskutiert.

Doch zunächst ging es um ein Problem, über das sich alle einig sind: Das Gehalt der MFA ist viel zu niedrig. Zwischen 2.200 und 2.600 Euro brutto verdienen MFA bei einer Vollzeitstelle im Durchschnitt – oft zu wenig, um damit allein Miete und Lebenshaltungskosten bestreiten zu können und vielleicht noch als Mutter oder Vater alleinerziehend Kinder zu versorgen.

„Die letzte Tarifsteigerung hat schon einiges gebracht“, erklärte Hannelore König, Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe e. V. Doch für viele ärztliche Praxen war und ist das durchaus eine Herausforderung. Denn die Gegenfinanzierung der höheren Gehälter durch die Krankenkassen erfolgt mit Verzögerung und nur teilweise. Und auch nicht alle Medizinischen Fachangestellten haben bisher davon profitiert, sondern nur diejenigen, die schon viele Jahre in ihrem Beruf tätig sind.

Nichtanerkennung der MFA und des ambulanten Systems

Wie dramatisch die Situation nach wie vor ist, machte König deutlich: „38 Prozent der vollzeitbeschäftigten MFA und ZFA liegen im Niedriglohnsektor.“ Arbeitgeber:innen könnten dem teilweise entgegenwirken, indem sie den jüngeren MFA mehr Verantwortung übergeben und sie damit in höhere Gehaltsgruppen einordnen können. Der jetzige Tarifvertrag, so König, gebe schon viel her – man müsse die Möglichkeiten aber auch nutzen.

Die Schwierigkeiten, die sich auf der ärztlichen Seite ergeben, beleuchtete Dr. med. Christiane Wessel, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV Berlin) und niedergelassene Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. „Wir haben keine Planungssicherheit“, so Wessel. In den vergangenen Jahren und insbesondere während der COVID-19-Pandemie wurden die Leistungen und Belastungen der ambulanten Praxen von der Politik einfach nicht gesehen. „Das Problem ist nicht nur die Nichtanerkennung der MFA, sondern die Nichtanerkennung des ambulanten Systems“, so Wessel.

Wir MFA leisten eine verantwortungsvolle Arbeit.

Elke Sido,
Medizinische Fachassistentin, Praxismanagerin und Nicht-ärztliche Praxisassistentin
Elke Sido

„Da müssen auch wir Ärztinnen und Ärzte noch dazulernen“

Aber nicht nur das Gehalt ist entscheidend dafür, um MFA im Beruf zu halten, sondern auch die Arbeitsatmosphäre. Das zeigten Umfragen, wie die Moderatorin der Diskussion, Dr. med. Eva Jacobi, Fachärztin für Innere Medizin und Journalistin, erklärte. Elke Sido, Medizinische Fachassistentin, Praxismanagerin und Nicht-ärztliche Praxisassistentin, bestätigte dies: Der Umgang innerhalb der Praxis und die Wertschätzung durch Arbeitgebende und Patient:innen sei wesentlich für die Zufriedenheit. „Wir MFA leisten eine verantwortungsvolle Arbeit.“ Dass viele Patient:innen immer noch denken, Medizinische Fachangestellte würden nur die Versicherungskarte durch das Lesegerät ziehen, führe zwangsläufig zu Frust und Unstimmigkeiten.

Wie wichtig eine gute Arbeitsatmosphäre und der Respekt voreinander seien, betonte auch Dr. med. Matthias Blöchle, Vizepräsident der Ärztekammer Berlin und niedergelassener Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. „Wir müssen uns gegenüber unseren MFA zugewandt zeigen und Interesse an ihrem Wohlbefinden haben“, so Blöchle. Entscheidend sei , dass MFA wissen, dass sich ihre Vorgesetzten bei Konfliktsituationen mit Patient:innen immer vor ihre Mitarbeitenden stellen würden.

Zuwendungen, zum Beispiel zu Geburtstagen, könnten ebenfalls die Zufriedenheit erhöhen, so Blöchle. Dies sei bis zu 600 Euro im Jahr im Rahmen von Sachzuwendungen steuer- und sozialversicherungsfrei möglich. Doch worum es eigentlich ginge, fasste Blöchle so zusammen: „Wir müssen den MFA und den Auszubildenden zeigen: Wir sind für euch da.“ Dazu gehöre auch, sie öfter zu loben. Das wäre in seiner Ausbildung zwar nicht üblich gewesen. „Aber da müssen wir Ärztinnen und Ärzte auch noch dazulernen“. Wessel bestätigte ihn darin und erklärte: „Wir haben ja alle im Studium nicht gelernt, wie man Mitarbeitende führt.“ An dieser Stelle wies Jacobi auf entsprechende Fortbildungsangebote der Ärztekammer Berlin hin.

Mit Zusatzqualifikationen zufriedener

Betont wurde ebenfalls, dass es immer wichtiger werde, Bewerber:innen eine Chance zu geben, die vielleicht keinen guten Schubabschluss haben oder durch familiäre Bedingungen oder das soziale Umfeld einen schwierigeren Start ins Leben hatten. Allzu oft werden Ausbildungen abgebrochen. Auch dies gelte es möglichst zu verhindern.

Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmenden darin, dass der Fort- und Weiterbildung der MFA eine große Rolle zukomme. Eine Studie habe gezeigt, dass Zusatzqualifikationen die Arbeitszufriedenheit von MFA positiv beeinflussen, so Jacobi. Es sei daher wichtig, dass Arbeitgebende ihre Arbeitnehmenden motivieren, sich fort- und weiterzubilden und mehr Verantwortung zu übernehmen, so Sido. Und umgekehrt solle das Gespräch gesucht werden, um auszuloten, welche Zusatzqualifikationen möglich seien. „Sprechen Sie möglichst frühzeitig mit Ihren Arbeitgebenden“, ermutigte König die Medizinischen Fachangestellten.

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Mehr Austausch zwischen Schulen und ärztlichen Praxen nötig

Mehr Wertschätzung, die Förderung von Fort- und Weiterbildungen und ein angemessenes Gehalt – dass all diese Faktoren die Arbeitszufriedenheit von MFA erhöhen, darüber war man sich an dem Abend einig. In der folgenden Diskussion, in die das Publikum, das sich aus MFA, Ärzt:innen und Vertreter:innen der Berufsschulen zusammensetzte, einbezogen wurde, zeigten sich aber auch Differenzen. Besonders uneinig war man sich in der Einschätzung darüber, wieso es bei der Gewinnung von Fachkräften Probleme gebe.

Deutlich wurde dies unter anderem bei der Bewertung der Kommunikation zwischen den Berufsschulen und Oberstufenzentren auf der einen und den ärztlichen Praxen auf der anderen Seite. Die Berufsschulen würden zu wenig mit den Praxen zusammenarbeiten, wurde ein Vorwurf von ärztlicher Seite laut. Dagegen wurde von schulischer Seite vorgebracht, dass zu wenige Praxen die Angebote zum Austausch, wie beispielsweise Ausbildungs-Sprechtage, annehmen würden. Die Diskussion wies damit darauf hin, welche Herausforderungen die duale Ausbildung mit sich bringt und dass es teilweise noch am Wissen mangelt, wo und wie sich ein Austausch verbessern lässt.

Nach einer lebhaften Diskussion zeigten sich die meisten Teilnehmenden dann aber doch versöhnlich. Schuldzuweisungen würden wenig bringen, so war man sich einig. „Wir können es nur gemeinsam schaffen“, brachte es einer der Teilnehmenden auf den Punkt. Es sei daher endlich Zeit für einen „Runden Tisch ambulante Versorgung“ in Berlin, betonten mehrere Diskussionsteilnehmende.

Aufruf zum gemeinsamen Protest

Zum Abschluss machte König einen konkreten Vorschlag, wie sich alle gemeinsam für eine Verbesserung der Situation einsetzen können. „Kommen Sie zur Protestveranstaltung am 8. September 2023 am Brandenburger Tor“, rief sie Ärzt:innen und MFA auf. Dort werde man unter anderem erneut die zeitnahe und vollständige Refinanzierung von Tarifsteigerungen fordern. Denn bei allem Bemühen von MFA, Berufsschulen und ärztlichen Praxen sei es am Ende doch so, erklärte König: „Wir brauchen die Unterstützung durch die Politik!“

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