Tischgespräch im August 2023

Freitagabend. Ich sitze in der Kneipe und trinke etwas mit meinem Nachbarn. Mein Nachbar ist Lehrer und hat immer frei. Den Witz mache ich jedes Mal. Dafür belächelt er meinen Doktortitel. Wir sind also quitt.

Tischgespräch. Kolumne von Eva Mirasol

„Letzte Nacht habe ich gefühlt die Hälfte der Bevölkerung Berlins kennengelernt“, sage ich.

Er grinst. „Und ich die andere Hälfte heute im Bus.“

„War deine auch so schlecht gelaunt?“

„Oh ja, Pendelverkehr auf der Ringbahn.“

„Kennst du schon die neue Durchsage von der Frau mit der gut gelaunten Stimme?“

„Es wird wieder gebaut!“

„Genau die. Da hätte ich heute früh fast geweint.“

„Kannst du wenigstens morgen ausschlafen?“

Ich schüttle den Kopf. „Frühdienst.“

„Ich fühle mich geehrt, dass du trotzdem hier bist.“

„Ich werde es wahrscheinlich bald sehr bereuen.“

„Wenn du willst, klingle ich dich morgen wach. Ich habe schon um halb acht ein Elterngespräch.“

„Ist das üblich?“

„Nein, aber ich hatte Mitleid mit den Eltern. Die arbeiten auch im Schichtdienst.“

„Das ist aber nett von dir.“

Mein Nachbar grinst: „Ich werde es wahrscheinlich bald sehr bereuen.“

Am nächsten Morgen...

... weckt mich tatsächlich erst sein Anruf. Bereuen ist gar kein Ausdruck.

In der Rettungsstelle übernehme ich die Aufnahmestation mit lauter bekannten Gesichtern.

„Nirgendwo Betten“, sagt der Oberarzt, und seufzend betreten wir das erste Zimmer. Im Bett am Fenster liegt ein 90-jähriger alter Herr mit Pneumonie.

„Schon wieder Visite“, sagt er wenig begeistert. „Bitte schließen Sie das Fenster, es zieht.“

„Selbstverständlich“, sage ich und schließe das Fenster.

„Es zieht immer noch.“

Ich rüttele am Griff. „Tut mir leid, das Fenster ist geschlossen.“

Missbilligend blickt er mich an: „In diesem Laden funktioniert ja gar nichts. Das Essen ist schlecht. Die Leute sind unfreundlich. Sie haben gestern beim Blutabnehmen dreimal daneben gestochen, und jetzt zieht es auch noch! Am Ende werde ich noch krank.“

„Sie sind doch schon krank“, wirft der Oberarzt ein.

„Da haben Sie auch wieder recht“, sagt der Mann.

„Dürfte ich einmal Ihre Lunge abhören?“

Er nickt unwillig, und ich ziehe mein Stethoskop aus der Tasche. Als ich mich über ihn beuge, höre ich es auch: Ein leises Zischen dringt an mein Ohr.

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Ich blicke auf und muss grinsen: „Ich nehme Ihnen jetzt mal den Sauerstoffschlauch aus dem Ohr“, sage ich und stecke die Brille wieder in seine Nasenlöcher. „Dann zieht es auch nicht mehr so.“

Der Mann wird rot und grummelt vor sich hin. „Eins zu null für Sie. Aber ich will ein anderes Zimmer.“

„Wieso denn das?“

„Mein Bettnachbar will seinen Wecker nicht ausstellen.“

„Ihr Bettnachbar hat eine künstliche Herzklappe. Die kann er nicht ausstellen.“

„Das kann ja jeder sagen. Für mich hört sich das an wie ein Wecker.“

„Für mich auch“, mischt sich der Nachbar ein. „Darüber wollte ich sowieso mit Ihnen sprechen. Ich kann den Herrn gut verstehen, ich kann auch kaum mehr schlafen, so laut tickt diese Klappe. Das hat mir niemand gesagt. Der Mercedes unter den Klappen hieß es, – dass ich nicht lache!“

„Meine Herren, ich bitte Sie.“ Der Oberarzt hebt beschwichtigend die Hände.

Doch der Patient wird lauter: „Meine Frau hat mich mein Leben lang geliebt! Ich schnarche seit unserer ersten Nacht, und nie hat sie sich daran gestört! Aber seit der Klappe besteht sie auf getrennten Betten!“

Seine Augen füllen sich mit Tränen.

Der Oberarzt tritt ans Bett und zuckt zurück: „Huch, die ist ja wirklich laut. Was ist das für ein Modell?“

Der Mann reicht uns seinen Ausweis.

„Tatsächlich der Mercedes unter den Klappen.“ Der Oberarzt pfeift anerkennend durch die Zähne. Dann wirft er einen Blick ins Ausweisinnere und zögert: „Aber was hat man Ihnen denn da einprogrammiert? Weckerticken extra laut!“ Er lacht fröhlich. „Was hätten Sie denn stattdessen gern?“

„Was gibt es denn?“, fragt der Mann interessiert.

„Weckerticken leise, Weckerticken mittel und die Verspätungsdurchsage der Deutschen Bahn.“

„Was?“

„War nur ein Witz. Aber Sie haben die Wahl zwischen Hufeklappern, Meeresrauschen, Walgesang oder völliger Stille.“

„Nehmen Sie Meeresrauschen!“, ruft der alte Herr. „Ich möchte Meeresrauschen!“

„Da muss ich vorher meine Frau fragen“, sagt der Mann.

„Aber stecken Sie sich doch bis dahin einfach wieder den Sauerstoffschlauch ins Ohr.“

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