Tischgespräch im April 2024

Freitagabend. Ich sitze in der Kneipe und trinke etwas mit meinem Nachbarn. Mein Nachbar ist Lehrer und hat immer frei. Den Witz mache ich jedes Mal. Dafür belächelt er meinen Doktortitel. Wir sind also quitt.

Tischgespräch. Kolumne von Eva Mirasol

„Du siehst überraschend fröhlich aus. Läuft es gut auf der Arbeit?“

„Nein“, sage ich. „Aber ich habe einen neuen Späti.“

„Wie meinst du das?“

„Auf meinem Weg zur Arbeit ist ein neuer Späti, und die drei Männer, die dort arbeiten, sind mein Lichtblick – so freundlich ist den restlichen Tag niemand mehr zu mir.“

„Ist eben nicht immer Freitagabend.“ Mein Nachbar grinst.

„Bereits am zweiten Tag haben sie meine Bestellung erraten, am dritten meinen Beruf, und inzwischen warten Cappuccino und Croissant auf mich, noch bevor ich um die Ecke biege.“

„Da könnte man fast ein wenig neidisch werden.“

„Ich kenne deine Bestellung ja auch“, sage ich.

„Wetten, dass heute nicht?“

„Ein Ingwertee.“

„Woher weißt du das?“

„Immer, wenn du aussiehst, als hättest du die ganze Nacht korrigiert und müsstest gleich noch eine Runde dranhängen, trinkst du Ingwertee.“
„So ist es“, seufzt mein Nachbar. „Deutsch! Warum bin ich nicht Sportlehrer geworden?“

„Weil du ungern Sport treibst?“

Er seufzt wieder.

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Am nächsten Tag ist es wie immer. „Guten Morgen“, begrüßt mich Malek, der jüngste der drei. Ihn mag ich am liebsten. Er flüstert den anderen immer den Preis zu, wenn die dieselben Probleme mit den ungeraden Summen haben wie ich. Geradezu euphorisch strahlt er mich an: „Wie geht es Ihnen? Cappuccino, Croissant? Und auch heute sehen Sie wieder so frisch aus!“

„Danke“, sage ich. „Wieso sind Sie eigentlich so freundlich?“
„Wieso nicht?“

„Kein Berliner ist so freundlich.“

„Ich bin ja auch kein Berliner.“

„Ich auch nicht.“

„Das dachte ich mir schon.“

„Wie meinen Sie das?“

„Naja, ich dachte mir schon, dass Sie nicht aus Berlin kommen.“

„Wieso?“

„Na wegen Ihres Akzents.“

„Meines Akzents?“

„Sie sprechen irgendwie anders.“

„Wie denn anders?“

„Anders halt. Nicht so Berlin.“

„Das mag sein“, sage ich. „Ich komme aus Süddeutschland.“

„Aus Bayern, oder was?“

„Nein, aus Franken.“

„Was ist denn Franken?“

„Das elegantere Bayern. Woher kommen Sie denn?“

„Aus Nordafrika.“

„Ägypten, oder was?“

„Nicht doch. Tunesien. Das elegantere Ägypten.“

Er lächelt mich an.

„Und wie lange sind Sie schon hier?“, frage ich.

„Zehn Jahre. Und Sie?“

„Ich auch.“

„Das ist ja ein Zufall!“ Er lächelt wieder. „Macht Ihnen Ihr Migrationshintergrund zu schaffen?“

„Ich träume oft von gutem Bier. Und einer richtigen Brezen. Sonst geht es.“

„Ich träume von guten Datteln. Und einer richtigen Tajine. Sonst geht es.“

Er lächelt wieder. Dann beugt er sich verschwörerisch über den Tresen.

„Darf ich Sie etwas Fachliches fragen?“

Ich nicke.

„Kennen Sie eine Salbe gegen Hämorrhoiden?“

„Wieso?“

Er zögert. „Ein, äh, Freund von mir hat Hämorrhoiden.“

„Der Arme.“

„Ja, ganz übel. Was könnte er denn machen?“

„Vielleicht zum Hausarzt gehen?“

„Das würde er ja, aber er muss immer arbeiten. Er hat auch einen Späti, so wie ich.“

„Es gibt da so Salben“, sage ich.

„Die vielleicht?“ Er zeigt mir ein Foto auf seinem Handy.

„Zum Beispiel.“

„Bringt die was?“

„Ich glaube schon.“

„Aber wo kriegt er die her?“

„Von seinem Hausarzt.“

„Aber er muss doch immer arbeiten.“

Ich seufze.

„Können Sie nicht vielleicht …?“

...

Am nächsten Morgen schiebe ich ihm eine Packung Hämorrhoiden-Salbe über den Tresen.

Er schiebt zehn Euro zurück. „Der Cappuccino geht aufs Haus“, sagt er. „Mit extra viel Schokoflocken.“

„Das ist wirklich nicht nötig.“

„Doch, doch“, sagt er und lässt die Salbe in seiner Tasche verschwinden.

„Vielen Dank“, sage ich. „Und gute Besserung für Ihren Freund.“

„Welcher Freund?“, fragt er irritiert. Dann wird er rot. „Ach so, ja, natürlich, richte ich aus.“

...

„Darf man denn das?“, fragt mein Nachbar bei unserem nächsten Treffen.

„Was meinst du damit?“

„Naja, eine Diagnose durch die Hose ...“

„In ausgewählten Fällen …“

„Ein Freund von mir hat, glaube ich, auch Hämorrhoiden …“

„Der Arme“, sage ich. „Soll ich ihm mal die Adresse von meinem Späti geben?“

„Das wäre nett“, grinst er.

An manchen Tagen bin ich richtig gerne Ärztin.  

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