Die Sommerparty im Juni 2025
Der Termin für das Sommerfest der Berliner Ärztekammer stand schon seit einem Jahr in meinem Kalender. Genauer gesagt hatte ich ihn eingetragen, sofort nachdem wir von der Party 2024 nach Hause gekommen waren. Dann kam die Katastrophenmeldung: Im Jahr 2025 sind keine Begleitpersonen eingeladen!
So eine Enttäuschung!
Nun gut, ich gebe zu, ich war wahrscheinlich der Grund für diese Entscheidung, denn ich hatte den Verbrauch an Bratwürstchen (vegan und pur), Gin Tonic (mit und ohne Alkohol) und Aperol Spritz (ebenso) deutlich in die Höhe getrieben. Zwar hatte ich versucht, je verschiedene Barkeeper:innen und Grillmeister:innen aufzusuchen, aber es hatte alles nichts geholfen. Nach einer Stunde kannten sie mich alle und reichten mir wortlos Speis und Trank.
Objektiv und ökonomisch kann ich die Entscheidung der Veranstalter also völlig nachvollziehen. Schließlich lade ich den gefräßigen Nachbarn, der seit Jahren jedes Gartenfest unserer Straße besucht, aber nie etwas beisteuert, auch nicht mehr ein. Aber subjektiv und emotional hat mich die Ausladung sehr getroffen.
Meine Frau versuchte mich mit medizinischen Fakten zu trösten und wies mich darauf hin, dass ich als Nichtmediziner an den zumeist dann doch fachbezogenen Gesprächen gar nicht teilhaben konnte. Außerdem würden mir blutige Horrorgeschichten aus dem OP den Appetit verderben.
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Ich musste sie nun daran erinnern, dass im vergangenen Jahr niemand bemerkt hatte, dass ich „fachfremd“ war. Sehr empathisch hatte ich bei den klagenden Erläuterungen eines niedergelassenen Allgemeinmediziners über Regressforderungen zugestimmt – schließlich werde ich für jede meiner häuslichen Verfehlungen ebenso in Regress genommen! Mit einer frischgebackenen Fachärztin der Urologie hatte ich mich blendend und fachlich hochqualifiziert über … ok, das müssen wir jetzt nicht weiter ausführen, das fällt unter die Schweigepflicht. Bei den meisten Medizinern reicht es ohnehin, staunend über ihre täglichen Meisterleistungen der Lebensrettung zustimmend mit dem Kopf zu nicken und ab und an „Ach, wirklich?“ und „Nein, wie toll!“ auszurufen – vor allem, wenn es sich um Heldentaten aus dem OP der Unfallchirurgie handelt.
Ich wusste, dass ihre Kollegin, die aufder Gästeliste stand, akut mit Bronchitis flach lag. Aber würde ich als Frau Dr. Pollatschek durchgehen? Wir hattedoch noch irgendwo eine Langhaar-Faschingsperücke auf dem Dachboden. Rasiert war ich glatt wie ein Babypopo und beim Auftragen von Make-up hatte ich meiner Frau nun gewiss oft genug zugesehen. „Kontrollieren die da eigentlich die Arztausweise?“, fragte ich, doch meine Frau legte nur warnend den Kopf schief. Um sich unmittelbar danach mit der Hand an die Stirn zu schlagen und zu rufen: „Arztausweis! Oh Gott, der ist ja schon wieder abgelaufen, und ich habe das Online-Passwort zum Webportal vergessen!“
Da meine sachlichen Argumente nichts erreichten, versuchte ich bei meiner Frau mit psychologischer Fachkenntnis die achtsame Methode: „Du schreibst doch jetzt diese Kolumne für „Berliner Ärzt:innen“! Ich könnte dich bei der Recherche unterstützen. Nimm mich doch als deinen Ghostwriter mit! Oder als deinen Fotografen!“ „Ghostwriter“, schnaubte sie empört, „du scheiterst schon an einer Einkaufsliste, und meine kannst du nicht lesen!“
„Unleserliche Arztklaue“, murmelte ich, aber sie hatte mich trotzdem gehört. „Eine ausgefallene Handschrift ist ein Zeichen von Intelligenz“, fauchte sie. „Weil ich schneller denke, als ich schreiben kann, sieht es halt aus wie Steno. Wissenschaftliche Studien haben das gezeigt!“ Damit packte sie ihre Handtasche und machte sich auf den Weg in die Friedrichstraße. Ich blieb allein zurück und schaute alte Folgen von Grey‘s Anatomy.
Später am Abend klingelte mein Telefon. Es war meine Frau. Mit gepresster Stimme stöhnte sie, dass es ihr furchtbar schlecht ginge und ich sie abholen müsse. Sofort kamen mir polytraumatische Bilder in den Sinn, von blutenden Wunden und offenen Frakturen. Auf meine Frage, was passiert sei, flüsterte sie: „Ich habe eine Rostbratwurst, meine Geflügelbratwurst und eine vegane Wurst verzehrt, sowie zwei Aperol, einen echten und einen alkoholfreien Gin Tonic und zwei Bier. Ich musste doch für dich mitessen!“
Nachdem am nächsten Tag die Passage des Magensphincters erfolgreich geschafft war und die Alkoholdehydrogenase in der Leber zu Höchstleistungen aufgelaufen war, erzählte meine Frau mir, dass sie auch ohne mich einen spannenden Abend voller neuer Bekanntschaften und angeregter Gespräche erlebt hatte. Sogar ihre Visitenkarten seien ihr ausgegangen. Leider habe sie die Ansprache des Präsidenten verpasst, weil sie gerade gespannt den Triage Erfahrungen einer Kollegin als Ärztin auf den Kanalinseln gelauscht hatte.
Dennoch würde ich es begrüßen, wenn ich nächstes Jahr wieder mitdürfte. Vielleicht können wir uns gütlich auf vier Getränke und Verzehrgutscheine pro Mitglied einigen? Oder sechs? Oder …?
Sehr geehrter Herr Titel (ohne Doktor),
vielen Dank für Ihr schwungvolles Schreiben. Wir fühlen uns geschmeichelt! Man könnte denken, Sie schreiben über das Berghain. Meine Diagnose: Wir sind der neue Place to be.
Es freut uns, dass Sie sich letztes Jahr bei uns so wohlgefühlt haben – wobei Ihr von Ihnen selbst beschriebene Einsatz beim Essens und Getränkeangebot natürlich den Mediziner in mir und noch viel mehr unsere Rechnungsabteilung aufhorchen lässt.
Ihr Ideenreichtum und Engagement, sich noch Zugang zu unserer Sommerparty zu verschaffen, hat mich sehr beeindruckt. Damit sind Sie jedoch nicht allein. Im Vertrauen: Sich als Kind zu verkleiden, wäre vielleicht erfolgreicher gewesen. Man hat keine Idee davon, wie viele Kinder – augenscheinlich weit über 20 Jahre – noch innig mit ihren Eltern verbunden auf unserer Sommerpartyerschienen sind. Als wir die „Kinder“ dann aber zu Clown Olli brachten, blickten wir in zerknirschte Gesichter. Offenbar hatte man sich trotz des juvenilen Alters doch eher an der Gin Bar gesehen.
Nichts für ungut. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass wir die Teilnehmendenzahl zur Sommerparty begrenzen müssen. Unser Herz ist groß, aber der Platz ist begrenzt. So wollen wir uns auf die Kammermitglieder konzentrieren. Und obwohl sich Ärzt:innen sehr über so konzentrierte Zuhörer, wie Sie es offenbar sind, freuen, dient das Fest dem kollegialen Austausch und dem Kennenlernen von Vertreter:innen aus Ehren und Hauptamt.
Zudem darf ich Ihrer Ehefrau versichern, dass sie hinsichtlich meiner Rede nichts verpasst hat. Meine Begrüßungsworte waren kurz und wenig substanziell. Da waren die Triage Erfahrungen der Kollegin, die sie auf den Kanalinseln gemacht hat, sicherlich weit aufregender.
Ich bedaure es sehr, trotz Ihres aufmunternden Schreibens weiter den unnachgiebigen Türsteher spielen zu müssen. Sollte die Sehnsucht zur Dachterrasse unserer Kammer aber weiterhin groß sein, dann sind wir auch an den 364 weiteren Tagen im Jahr eine ansprechbare und nahbare Kammer. Wir finden bestimmt eine Möglichkeit für Sie. Seien Sie aber vorgewarnt: Die Gin-Bar ist dann wieder dem Kaffeeautomaten gewichen.
Und ein kleiner Tipp zum Ende: Bitten Sie Ihre Frau doch zukünftig, Ihnen etwas einpacken zu lassen. Ich habe nichts gesehen …
Es grüßt Sie herzlich Ihr
PD Dr. med. Peter Bobbert,
Präsident der Ärztekammer Berlin