„Der beste Zeitpunkt für ein Peer Review ist, wenn man sich noch nicht bereit dafür fühlt“

Der Grundgedanke des Ärztlichen Peer Reviews ist der kollegiale Austausch auf Augenhöhe. Dr. med. Oliver Kumpf, stellvertretender Sprecher der Sektion Qualität und Ökonomie in der Intensivmedizin der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Beauftragter für Peer Review in der Intensivmedizin der Ärztekammer Berlin, erklärt im Interview, weshalb die Freiwilligkeit Stärke und Schwäche des Verfahrens zugleich ist und warum es ohne erfahrene Pflegefachkräfte nicht auskommt. 

Dr. med. Oliver Kumpf
Interview mit
Dr. med. Oliver Kumpf

Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin

Foto: Paula Winkler, OSTKREUZ / Ärztekammer Berlin

Redaktion: Herr Dr. Kumpf, viele Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, empfinden die externe Qualitätssicherung als Last, weil sie aufwendig und der konkrete Nutzen für die Patientenversorgung nur schwer erkennbar ist. Inwiefern ist das beim Peer Review anders?

Dr. med. Oliver Kumpf: Die externe Qualitätssicherung (QS) im stationären Bereich funktioniert im Regelfall nur sehr mittelbar. Zunächst werden qualitätsrelevante Daten erhoben und statistisch ausgewertet. Wenn daraus (Kontroll-)Maßnahmen abgeleitet werden, etwa ein Besuch der Einrichtung im Rahmen des strukturierten Dialogs, liegt die Datenerhebung schon Monate zurück. Bei Peer Reviews steht hingegen der Vor-Ort-Besuch im Mittelpunkt; dadurch erhalten sie ihren unmittelbaren Charakter. Man kann sich direkt ein Bild machen, ohne zwischengeschaltete Institutionen oder umfangreiche Dokumentation.

Der Fokus liegt also auf dem kollegialen Austausch?

Das ist einer der wesentlichen Aspekte: Das Peer Review findet auf Augenhöhe statt. Im Rahmen eines strukturierten Verfahrens kommunizieren Menschen miteinander, die den gleichen Erfahrungshintergrund haben. Für die intensivmedizinischen Peer Reviews heißt das: Die Peers [Peer, Englisch für ebenbürtige, gleichgestellte, gleichrangige Person] kennen die intensivmedizinischen Abläufe und die damit verbundenen Probleme. Den Besuchten fällt es so in der Regel leichter, die Situation auf ihrer Station zu analysieren, Verbesserungspotenziale zu identifizieren und voneinander zu lernen, ohne dass dabei das Gefühl einer Prüfung aufkommt.

Wie kommt es zu einem Peer Review? Wer ergreift die Initiative?

Die Peer Reviews basieren auf Freiwilligkeit. Das heißt, eine Einrichtung, beispielsweise die Leitung einer Intensivstation, entscheidet sich zur Teilnahme und meldet sich bei der zuständigen Landesärztekammer, hier bei der Ärztekammer Berlin. Diese kann auf einen Pool an Peers zurückgreifen, die auf der Grundlage des „Curriculum Ärztliches Peer Review“ der Bundesärztekammer die Qualifikation zum Peer erworben haben. Aus diesem Pool stellt sie ein Peer-Team zusammen, koordiniert den Termin zum Besuch der Einrichtung und organisiert die Formalitäten.

Wie hoch ist die Bereitschaft der Intensivstationen zur Teilnahme?

Das Prinzip der Freiwilligkeit ist ein wesentlicher Vorteil und gleichzeitig die absolute Achillesferse des Verfahrens. Es steht und fällt mit dem intrinsischen Interesse der Mitarbeitenden, sich darauf einzulassen. Viele Einrichtungen scheuen sich, an einem Peer Review teilzunehmen, weil sie meinen, dafür noch nicht bereit zu sein. Dabei ist der beste Zeitpunkt, ein Peer Review zu machen, wenn man sich noch nicht bereit dafür fühlt. Denn vielleicht erfährt man gerade dann die Knackpunkte, wie die Station Prozesse anpassen oder sich effizient weiterentwickeln kann.

Viele haben bei der externen QS die Frage „Mache ich etwas falsch?“ im Hinterkopf. Wenn jemand von außen kommt, beispielsweise im Rahmen eines Audits, und sagt: „Du musst jetzt das und das machen“, wird sofort Widerstand entstehen. Beim Peer Review geht es jedoch darum, die Reflexion des eigenen Handelns zu ermöglichen. So können in vertrauensvoller Atmosphäre und auf systematischer Basis gemeinsam Lösungen erarbeitet werden, um die Behandlungsqualität zu verbessern. Jede und jeder kennt das: Ist man selbst auf eine Lösung gekommen, fällt es in der Regel deutlich leichter, diese auch in die Tat umzusetzen.

Nehmen an den intensivmedizinischen Peer Reviews nur Ärztinnen und Ärzte teil?

Natürlich sind an den Peer Reviews erfahrene Intensivmediziner:innen beteiligt. Es geht aber gerade nicht darum, dass Chefärzt:innen andere Chefärzt:innen besuchen. Sowohl im Team der besuchten Einrichtung als auch unter den besuchenden Peers müssen erfahrene Pflegekräfte sein. Dieser interprofessionelle Ansatz ist enorm wichtig. Die Intensivpflegenden haben qua Profession einen anderen Blick auf die Dinge. Die Interprofessionalität hilft unendlich, um Details wahrzunehmen und Fragen zu stellen, die nicht in unserem Sichtfeld als Ärzt:innen liegen, und vice versa. Deshalb machen wir keine Peer Reviews ohne Pflegende.

Das Peer Review ist eine wirklich einmalige Möglichkeit für unsere Teams, sich über die tägliche Arbeit mit Externen kollegial und vertrauensvoll auszutauschen. Wir können kritische Punkte besprechen und gemeinsame Lösungen finden. Das ist eine echte Bereicherung für unsere Stationen!

Dr. med. Florian Giering,
Oberarzt Campus Virchow-Klinikum Charité – Universitätsmedizin Berlin

Gibt es denn genügend Peers in Berlin?

Leider haben wir Schwierigkeiten, ausgebildete Peers zu finden, vor allem aus dem Bereich der Pflege. Das hat sicher mit der Personalknappheit und Arbeitsverdichtung zu tun, aber auch damit, dass die Kliniken bereit sein müssen, die Pflegekraft für den eintägigen Besuch auf der Intensivstation freizustellen. Umso mehr wünschen wir uns, dass auch jüngere intensivmedizinisch tätige Ärzt:innen und Fachpflegekräfte die Fortbildung zum Peer Review absolvieren, um den Pool zu vergrößern. Wir brauchen eine jüngere Generation, die sich für das Thema interessiert und sich engagiert, und wir brauchen Intensivstationen, die sich besuchen lassen.

Sie begleiten die intensivmedizinischen Peer Reviews schon seit vielen Jahren. Welche Rückmeldungen erhalten Sie von den Teilnehmenden?

Grundsätzlich wird das Peer Review sehr positiv wahrgenommen, von den Peers und vor allem von den Besuchten. Die Teilnehmenden schätzen die fachlich fundierten Rückmeldungen, die neu entstandenen Kontakte und die kollegiale Art, wie die Dinge beim Namen genannt werden. Würde man es wieder machen? Ja, jederzeit. 

Fortbildung

Peer Review Schulung Intensivmedizin & Hämotherapie

Die Ärztekammer Berlin bietet regelmäßig Fortbildungen nach dem Curriculum „Ärztliches Peer Review“ der Bundesärztekammer an. Im kommenden Jahr findet die Peer Review Schulung fachdisziplinübergreifend für die Intensivmedizin und Hämotherapie statt. Dieser Austausch ermöglicht neue Blickwinkel auf die eigene ärztliche Tätigkeit.

  • Zielgruppe Intensivmedizin: Ärzt:innen in langjähriger klinischer Tätigkeit als Fachärzt:innen mit der Zusatzbezeichnung „Intensiv­medizin“ in verantwortlicher Position auf einer Intensiv­einheit sowie an Fach­pflegekräfte für Intensivmedizin mit Berufserfahrung
  • Zielgruppe Hämotherapie: Qualitätsbeauftragte Hämotherapie sowie an Ärzt:innen, die als Transfusions­verantwortliche oder Transfusions­beauftragte tätig sind

Neben dem theoretischen Wissen über Peer Review-Verfahren werden der Umgang mit Konflikten, Kritik und Widerstand sowie eine lösungsorientierte Gesprächsführung vermittelt.

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