Wie die Ärztekammer Berlin und die gematik Probleme bei der Digitalisierung lösen

Die Digitalisierung kommt in den Arztpraxen an. Doch nicht alle sind begeistert. Das liegt vor allem an den „Kinderkrankheiten“ des Projektes. Wer auf digital umstellt, muss Zeit investieren – fürs Einarbeiten und für technische Fallstricke. Im Kooperationsprojekt „Ärztenetzwerk Berlin“ tauschen sich Ärzt:innen und Vertreter:innen der gematik über die praktischen Probleme in den Arztpraxen aus. Ein Resümee zeigt: Davon profitieren alle.

Reden hilft: offen und mit Interesse an der Perspektive der anderen

„Ich finde diesen kurzen Draht zur gematik sehr bereichernd. Ich verstehe jetzt besser, wo die Probleme in Wirklichkeit herkommen und was getan werden muss, damit sie gelöst werden können“, so Dr. med. Oliver Fasold auf die Frage, was er am Ärztenetzwerk Berlin schätzt. Fasold ist Neurologe und arbeitet in einer Praxisgemeinschaft zusammen mit zwei weiteren Neurolog:innen. Für die Digitalisierung im Gesundheitswesen interessiert er sich schon lange. So nahm er im Jahr 2020 an zwei Feldversuchen zur elektronischen Patientenakte und den KIM-Diensten teil. Und für einige Patient:innen nutzt er bereits die Möglichkeit zur Verschreibung sogenannter digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGa) – Apps, die von den Krankenkassen bezahlt werden. Als die Ärztekammer Berlin ihn Anfang 2021 fragte, ob er sich an regelmäßigen Treffen von Berliner Ärzt:innen mit der gematik beteiligen möchte, zögerte Fasold nicht lange. Er betrachtet den Aufwand dafür als gut investierte Zeit: „Ich hatte das Gefühl, wenn man die Digitalisierung nicht von Anfang an mitmacht, geht sie vielleicht an einem vorbei.“

Vom Austausch profitieren alle

Das Ärztenetzwerk Berlin ist ein Kooperationsprojekt der Ärztekammer Berlin und der gematik GmbH. Das zentrale Anliegen der Kooperation ist, einen Dialog auf Augenhöhe zu gestalten. Dafür treffen sich seit November 2021 einmal im Monat niedergelassene Ärzt:innen aus Berlin mit Vertreter:innen der gematik und sprechen über alltägliche Probleme mit der Telematikinfrastruktur und den digitalen Anwendungen, die die Praxen bereits nutzen. Dazu gehören das elektronische Rezept (E-Rezept), die bundeseinheitlichen Medikationspläne (eMP), die KIM-Dienste für den datenschutzkonformen elektronischen Austausch mit anderen Ärzt:innen, das Notfalldatenmanagement, die elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) und die elektronische Patientenakte (ePA).

Fokussierter Austausch in lockerer Atmosphäre

An den Treffen des Ärztenetzwerkes nehmen zwischen vier und zehn Ärzt:innen verschiedener Fachrichtungen teil. Von der gematik ist neben dem Leiter der wissenschaftlichen Evaluation, Dr. Markus Wiesenberg, immer jemand aus einer Fachabteilung anwesend, die oder der einleitend ein 15- bis 20-minütiges Impulsreferat zu unterschiedlichen Aspekten der Digitalisierung hält. Danach wird in lockerer Atmosphäre über Themen gesprochen, die den Ärzt:innen besonders auf den Nägeln brennen. Es soll schließlich ein wirklicher Austausch darüber stattfinden, was in den Praxen passiert. Thematisiert wird, ob das, was die gematik entwickelt hat, funktioniert wie gedacht. Die Erfahrungen, die die Ärzt:innen machen, bilden den Kern des Austausches und so kamen schon ganz unterschiedliche Themen zur Sprache. Natürlich das E-Rezept, die Medikationspläne und die ePA, aber auch die Frage, wie die Support-Strukturen sind und welche Probleme Ärzt:innen haben, wenn sie zeitnah Hilfe benötigen, wenn es technisch nicht rund läuft. „Das war für uns oft ein Augenöffner. Das Ärztenetzwerk Berlin ist für uns extrem wertvoll“, fasst Wiesenberg die bisherigen Treffen zusammen.

Augenöffner für konkrete Verbesserungen

„In der Lockdown-Phase der Pandemie haben die Patient:innen ihre elektronische Gesundheitskarte meist selbst ins Kartenterminal der Arztpraxis gesteckt. Durch elektrostatische Entladungen kam es dadurch hin und wieder zu Störungen im Betriebsablauf von Praxen. Auch über solche Themen tauschen wir uns im Netzwerk näher und vor allem lösungsorientiert aus“, so Wiesenberg. Nicht zuletzt durch die Gespräche im Ärztenetzwerk hätte sich relativ schnell eine Lösung für das Problem gefunden, berichtet er weiter. Nun verhindere ein spezieller Aufsatz auf den Lesegeräten die elektrostatische Entladung. Die Gespräche sind geprägt von dem Willen, sich gegenseitig zu unterstützen. Die Ärzt:innen erfahren, wie die Anwendungen eigentlich funktionieren sollen und lernen durch die Impulsvorträge, wie die gematik einzelne Teile konzipiert hat und mit welchen Spezifikationen die Anbieter der Praxissoftwaresysteme arbeiten. Sozusagen, wie das Produkt am Ende aussehen müsste, wenn es ideal umgesetzt wäre. Die Mitarbeitenden der gematik profitieren wiederum davon, dass sie erfahren, wie die Softwareunternehmen mit den Spezifikationen tatsächlich umgehen.

Dass dabei nicht immer Softwarelösungen herauskommen, die in der Praxis reibungslos funktionieren, war der gematik zwar schon vor den Treffen mit den Berliner Ärzt:innen bewusst. Aber mit welchen Auswirkungen die Ärzt:innen im Praxisalltag ganz konkret zu kämpfen haben, wird durch den Austausch erst richtig deutlich. Den Ärzt:innen helfen die Gespräche ebenso, um die Ursachen für die Probleme zu durchschauen. Das bestätigt auch Neurologe Fasold: „Ich habe durch das Netzwerk besser verstanden, welchen Anteil die Entscheidungen der Softwareunternehmen an manchen Schwierigkeiten haben. Dinge, die man erst einmal bei der gematik verortet, lassen sich meistens doch eher auf die Anbieter der Praxissoftware zurückführen.“

Probleme so vielfältig wie die Programme

Diese Anbietervielfalt stellt sich immer mehr als die größte Herausforderung bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens heraus. So zeichnet sich die Telematikinfrastruktur dadurch aus, dass Unternehmen, die Praxissoftwaresysteme erstellen, auf die Vorgaben der gematik für die einzelnen Anwendungen zurückgreifen. Die gematik entwickelt diese Spezifikationen zusammen mit allen an der gematik beteiligten Organisationen, etwa den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Krankenkassen und den Ärztevertretungen. Die Programmierung der Anwendungen übernehmen dann allerdings verschiedene Softwareunternehmen. Dabei haben sie Spielräume. Und diese Spielräume sorgen dafür, dass am Ende kein Einheitsprodukt entsteht, für das bei Problemen eine Einheitslösung gefunden werden kann. Die Probleme der Arztpraxen sind genauso vielfältig wie die Programme der Softwareanbieter. Eine wichtige Erkenntnis für alle, die sich im Ärztenetzwerk Berlin austauschen: „Es war wichtig für uns zu sehen, wie vielfältig die Softwareunternehmen die Vorgaben umsetzen“, so Wiesenberg. „Wenn etwas nicht richtig funktioniert, geht es sehr oft nur um Kleinigkeiten, die sich problemlos aus der Welt schaffen lassen.“ Und Fasold ergänzt: „Mir war gar nicht bewusst, dass viele Probleme der Digitalisierung dadurch entstehen, dass die Programmiererinnen und Programmierer die Praxisabläufe und unsere Bedürfnisse als Praxis-Team nicht gut genug kennen. Im Alltag ist es für mich einfach nicht praktikabel, 14 Mal klicken zu müssen, um eine KIM-Nachricht zu versenden oder sieben Mal, um ein E-Rezept zu erstellen.“ Diese Zusammenhänge seien ihm und seinen ärztlichen Kolleg:innen erst beim Vergleich der Systeme aufgefallen. Da die gematik mit am Tisch saß, konnte sie sich direkt mit den Anbietern in Verbindung setzen, wodurch diese manchmal erst den entscheidenden Impuls bekamen, um Abläufe anwenderfreundlicher zu lösen.

Die gematik kann sehen, wo die ärztlichen Prioritäten liegen und wir Ärzt:innen werden durch die gematik aus erster Hand informiert. Wir können das Thema Digitalisierung konstruktiv, versorgungsorientiert und positiv angehen.

PD Dr. med. Peter Bobbert,
Präsident der Ärztekammer Berlin
PD Dr. med. Peter Bobbert

Gemeinsam schneller vorankommen

Die Vernetzung der Ärzt:innen untereinander ist dabei nicht nur ein schöner Nebeneffekt, sondern gehört auch zu den Hoffnungen, die die Ärztekammer Berlin mit der Kooperation von Anfang an verband. Vorstandsmitglied Dr. med. Klaus Spies formuliert es so: „Uns ist schon länger aufgefallen, dass die Umsetzung der Digitalisierung im ambulanten Bereich extrem schwierig ist. Daher wollten wir gern, dass die beiden Welten zusammenkommen und wir dabei eine Vermittlerrolle übernehmen. Wir wünschen uns, dass alle voneinander lernen und es dadurch letztlich für alle leichter wird und die Digitalisierung schneller vorankommt.“

Es gibt allerdings eine Schwierigkeit, die auch die Teilnehmenden der Treffen etwas ratlos macht: Die Tatsache, dass Ärzt:innen zu viele Ansprechpersonen haben, wenn es ein Problem mit der Telematikinfrastruktur gibt. Die Art, wie die Digitalisierung umgesetzt wird, erfordert, dass sie erkennen, ob das Problem durch einen Fehler in der Software, durch Fehler des IT-Dienstleisters, durch unzureichende Vorgaben der gematik oder durch eine falsche Nutzung in der Praxis entsteht. Je nachdem, wo die Ursache liegt, ist dann eine andere Ansprechperson zuständig. Doch wer das jeweils ist, lässt sich oft nicht gleich sagen und dazu drängt meist die Zeit. Denn wenn die Technik nicht funktioniert, legt das unter Umständen den gesamten Praxisbetrieb lahm – über Stunden und mehr.

Mit Blick auf die Zukunft wünschen sich die Teilnehmenden des Ärztenetzwerkes Berlin, dass die Runde wächst. Derzeit treffen sie sich einmal im Monat online für rund anderthalb Stunden. Sobald wie möglich sollen weitere Formate dazu kommen, etwa die Besichtigung einzelner Praxen, um die technischen Lösungen von Kolleg:innen kennenzulernen und sich davon inspirieren zu lassen. Für den Austausch steht zudem eine Online-Plattform zur Verfügung, auf der die Teilnehmenden Protokolle und Informationen aus den Netzwerktreffen finden. Daneben plant die gematik Mini-Umfragen unter den Mitgliedern des Netzwerkes. Zudem sollen nicht nur die teilnehmenden Ärzt:innen von den Netzwerktreffen profitieren: Aus den gesammelten Themen und Ideen soll zeitnah eine Art Praxisleitfaden mit einem FAQ-Teil entstehen und Interessierten zur Verfügung gestellt werden.

Arbeitserleichterung durch Digitalisierung

„Meine Erfahrungen mit der elektronischen Patientenakte, mit KIM-Diensten und dem E-Rezept sind eigentlich positiv. Aber es wird lange dauern, bis das im Alltag für viele ankommt“, resümiert der Tempelhofer Neurologe Fasold. Er geht davon aus, dass der Nutzen der Anwendungen steigt, je mehr Praxen die Dienste regelmäßig in ihrem Alltag einsetzen. Da ist allerdings noch viel Luft nach oben. Das merkt Fasold auch. Er bekommt noch immer viele Briefe per Post oder Fax. Dabei würde er gerne komplett auf den elektronischen Austausch umsteigen. „Der KIM-Dienst erleichtert mir die Kommunikation mit Kolleg:innen aus den zuweisenden Hausarztpraxen schon sehr. Leider kommen die Befundberichte aus der Radiologie noch nicht per KIM an, dies wäre für unsere Praxis aber mit einer erheblichen Arbeitserleichterung verbunden.“ Aktuell nutzt Fasold die elektronische Kommunikation vor allem für die Behandlung einiger chronisch kranker Patient:innen. „Die ePA hat da schon einen echten Nutzen, da ich die neurologischen Befunde und Labordaten direkt in die Akte hochladen kann, sodass sie nicht mehr per Post verschickt oder abgeholt werden müssen“, berichtet Fasold. „Nicht alle wohnen hier im Bezirk oder in Brandenburg und das erspart den Leuten so manchen Weg, der für sie einfach auch aufwendig ist.“

Es gibt noch viel zu tun

Trotz der vielen Fortschritte bleibt immer noch viel zu tun, bis die Digitalisierung richtig in den Praxen ankommen wird. Das bestätigt auch Spies. Er blickt etwas sorgenvoll in die Zukunft: „Aufgrund der bisherigen Erfahrungen befürchten wir schon, dass bei der Vernetzung von ambulantem und stationärem Bereich ähnliche Startschwierigkeiten auftreten werden, da auch bei den Klinikinformationssystemen eine große Vielfalt herrscht.“ Markus Wiesenberg von der gematik ist hingegen zuversichtlich, dass die Digitalisierung trotz der „Kinderkrankheiten“ gute Fortschritte macht. „Wir sehen nicht zuletzt durch den Austausch im Kooperationsnetzwerk, dass wir gut vorankommen können, wenn wir offen und mit Interesse an der Perspektive der anderen zusammenarbeiten.“

Sie möchten mitmachen? Schreiben Sie eine E-Mail an wev@gematik.de und erfahren Sie, wann das nächste Treffen stattfindet.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Wir freuen uns über Ihr Feedback!

Ja
Nein

Vielen Dank!

Zur Ärztekammer Berlin