„Man lernt, die Nuancen von ‚giftig‘ besser zu beurteilen“

Dr. med. David Steindl leitet seit März 2024 den Giftnotruf der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Unterstützt wird er unter anderem von seiner Stellvertreterin Daniela Acquarone, die seit 20 Jahren als klinische Toxikologin beim Giftnotruf tätig ist.

Dr. med. David Steindl
Interview mit
Dr. med. David Steindl

Leiter Giftnotruf der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Foto: privat
Daniela Acquarone
Interview mit
Daniela Acquarone

Stellvertretende Leiterin Giftnotruf der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Foto: privat

Redaktion: Welche Grundidee hat zu der Kooperation zwischen Intensivmedizin und dem Giftnotruf der Charité geführt?

Dr. med. David Steindl (DS): Ich komme aus der Intensivmedizin und hatte in der Nephrologie meinen ersten Kontakt zu schwer vergifteten Patienten, unter anderem auch zu dem Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Das alles fand ich so spannend, dass ich mehr über Vergiftungen wissen wollte. Dabei kam ich auf die Idee, beim Giftnotruf zu arbeiten und mich zum klinischen Toxikologen ausbilden zu lassen.

Im Dienst auf einer Intensivstation sieht man die einzelnen Vergiftungen nicht täglich, aber beim Giftnotruf beschäftigen wir uns auch mit seltenen Vergiftungen viel häufiger. Es ist ein großer Unterschied, ob man Wissen alle vier Monate einmal anwenden muss oder jeden Tag. Deshalb haben wir eine Rotation zwischen Intensivmedizin und Giftnotruf aufgebaut, die mein Kollege Dr. med. Nils Müller gerade fortsetzt. In Zukunft wünschen wir uns solche Rotationen auch mit Ärztinnen und Ärzten aus der Pädiatrie oder der Notaufnahme.

Wie sah diese Kooperation genau aus?

DS: Tatsächlich habe ich seit September 2021 in beiden Bereichen in Teilzeit gearbeitet: Zwei Wochen pro Monat in der Intensivmedizin, die andere Hälfte beim Giftnotruf. Das hat sehr gut funktioniert. Und das, was ich hier gelernt habe, findet man so in keinem Buch!

Wie würden Sie in wenigen Sätzen zusammenfassen, was man bei der Arbeit im Giftnotruf lernt?

DS: Man lernt, die Nuancen von „giftig“ besser zu beurteilen. Vergiftung heißt im Laienverständnis oft tödlich, aber oft stimmt das gar nicht; denn die Menge macht in der Regel das Gift!

Daniela Acquarone (DA):  Hier lernt man, das Vergiftungsrisiko einzuschätzen; denn wichtig ist nicht nur das Gift oder in unserer Sprache „die Noxe“, sondern auch der Applikationsweg und die Dosis. In anderen Worten: Ein sehr intensiver Kontakt mit einer sehr giftigen Substanz kann viel Schaden anrichten; eine sehr giftige Substanz mit einer minimalen Exposition kann ungefährlich sein.

Was gefällt Ihnen an der Arbeit beim Giftnotruf besonders gut?

DA: Ich finde es toll, was für eine Fachkompetenz man sich hier erarbeiten kann! Denn neben der täglichen Routine kommt regelmäßig etwas völlig Neues hinzu. Und trotzdem kann toxikologisch geschultes Personal in kürzester Zeit eine Aussage über Noxen treffen, die vorher völlig unbekannt waren.

DS: Hier kann man alle Facetten der Akutmedizin in kürzester Zeit einmal begleiten – und dazu noch in einem interdisziplinären Team. Das gibt es sonst in keinem Fach. Und die vielen positiven Rückmeldungen schätze ich sehr. In einem meiner letzten Nachtdienste hat ein Kollege am Telefon zu mir gesagt: „Sie haben mich mal wieder super beraten, toll, dass es Sie gibt!“ Das ist keine Rückmeldung, die ich normalerweise von dem Personal einer Rettungsstelle bekomme, wenn ich denen als Notarzt nachts um drei Uhr einen intubierten Patienten bringe.

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