Lachgaskonsum – ein Trend unter Jugendlichen

Lachgas gilt als relativ sichere und sozial akzeptable Droge. Seit der Pandemie wird es deshalb immer mehr als Partydroge von Jugendlichen und jungen Erwachsenen konsumiert. Der Giftnotruf der Giftnotruf der Charité – Universitätsmedizin Berlin bestätigt, dass die Anrufe von Laien in Bezug auf Lachgas in den vergangenen Jahren rapide angestiegen sind.

Dr. med. David Steindl
Interview mit
Dr. med. David Steindl

Leiter Giftnotruf der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Foto: privat

Lachgas: Gefährlicher Spaß oder ernsthafte Bedrohung?

Die von der Ampel-Regierung vorgeschlagene Änderung des Betäubungsmittelgesetzes zielte auf ein Verbot der Abgabe an Kinder und Jugendliche sowie auf die Einstufung von Lachgas als Droge ab. Da das Vorhaben jedoch nicht mehr umgesetzt wurde, haben inzwischen mehrere deutsche Landkreise und Städte, darunter der Kreis Helmstedt, Hamburg, Dortmund, Osnabrück, Hanau oder Köln, die Abgabe an Minderjährige verboten.

Auch in Berlin hat im Januar 2025 eine Experten-Anhörung vor dem Senat stattgefunden. Die neue Bundesministerin für Gesundheit, Nina Warken (CDU), hat ein bundesweites Abgabe-Verbot von Lachgas zur Chefsache gemacht.

Dr. med. David Steindl, der Leiter des Giftnotrufs der Charité – Universitätsmedizin Berlin, warnt vor dem Trend unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Lachgas als Partydroge zu inhalieren. Was für viele wie ein harmloser Spaß klingt, kann irreversible gesundheitliche Folgen haben. Unsere Autorin Heike Grosse hat mit ihm über dieses Thema gesprochen.

Heike Grosse: Herr Dr. Steindl, Sie arbeiten seit 2021 beim Berliner Giftnotrufzentrum, seit einem Jahr als dessen Leiter. Haben Sie in diesen vier Jahren beobachtet, dass die Anfragen im Zusammenhang mit Lachgas und Kindern bzw. Jugendlichen gestiegen sind?

Dr. med. David Steindl: Unseren Beraterinnen und Beratern ist nicht aufgefallen, dass sich die Fälle, in denen wir Anrufende zu Lachgas beraten haben, gehäuft hätten. Aber was uns aufgefallen ist, ist, dass immer mehr Kartuschen in Grünanlagen herumliegen, die Lachgas enthalten haben.

Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, dass der Konsum von Lachgas bei Kindern und Jugendlichen ein Trend sein könnte?

Vor zwei Jahren bin ich auf einem internationalen Toxikologie-Kongress zum ersten Mal auf das Thema aufmerksam geworden. Damals berichteten Experten aus den Benelux-Staaten und den USA über die Folgen des zunehmenden Lachgas-Missbrauchs.

Als Nächstes kann ich mich noch gut an Fotos von leeren Lachgas-Kartuschen aus dem Volkspark Hasenheide erinnern. Die hatte mir einer meiner Mitarbeiter geschickt, weil er sie dort mit dem Kinderwagen umschiffen musste. Dann haben wir in unsere Daten gekuckt, ob nicht nur die leeren Kartuschen, sondern auch die Anrufe im Zusammenhang mit Lachgas zugenommen hatten.

Was ist dabei herausgekommen?

Dass sich die telefonischen Anfragen zu Lachgas bei uns seit 2021 von Jahr zu Jahr tatsächlich fast verdoppelt haben. Von 2010 bis 2020 hatten wir zwei bis drei Anfragen, meist von Ärzt:innen oder medizinischem Personal, die nicht im Zusammenhang mit einem Missbrauch standen. Missbrauch war anfangs ein Einzelphänomen und stieg erst im Jahr 2021 mit sechs bis sieben Anfragen deutlich an. 2022 waren es neun, 2023 dann 31, und 2024 bereits 41 Anfragen – und das sind nur die Zahlen aus Berlin.

Aber Lachgas-Missbrauch ist kein Berliner Problem. Um zu prüfen, ob es sich dabei wirklich um einen Trend handelt oder lediglich um eine Schwankung, haben wir die Daten von fast allen deutschen Giftnotrufzentren (GIZ) aus den Jahren 2000 bis 2023 gesammelt und verglichen, also über einen wirklich langen Zeitraum. Hier war eindeutig sichtbar, dass die Kontakte zu Giftnotrufzentren in allen Regionen Deutschlands erheblich zugenommen haben. Im Jahr 2023 gab es in ganz Deutschland 77 Anrufe zu Lachgas.

Dementsprechend handelt es sich also tatsächlich um einen Trend. Und dabei muss man jedoch bedenken, dass sich nicht alle Menschen, die Lachgas als Droge konsumieren, beim Giftnotruf melden. Nur diejenigen, die Angst bekommen und Wirkungen spüren, die sie so nicht beabsichtigt haben. Auch aus Frankreich gibt es beispielsweise Erhebungen, die zeigen, dass sich das Konsummuster von Lachgas hin zu immer höheren Dosen verändert hat.

Mit welchen Vergiftungserscheinungen durch Lachgas haben sich Betroffene in den vergangenen Jahren an die Mitarbeitenden des Giftnotrufs der Charité gewandt?

Das waren vor allem die Symptome, die typisch für die Anwendungen von Narkosegasen sind, da Lachgas vor allem ein Narkosegas ist. Dazu zählen Schwindel, Gangunsicherheiten oder drohende Bewusstlosigkeit. Wir können auch gut nachvollziehen, warum es zu diesen Symptomen kommt: Einerseits verdrängt Lachgas Sauerstoff aus der eingeatmeten Umgebungsluft. So kann eine Hypoxie entstehen, die insbesondere für das Gehirn schwere Folgen haben und sogar zum Tod führen kann, wie es 2022 auch in Deutschland passiert ist. Andererseits hemmt Lachgas Enzyme, die normalerweise dafür sorgen, dass der Körper Vitamin B12 nutzen kann. Deshalb entsteht ein funktioneller Vitamin-B12-Mangel. In der Folge können Muskeln gelähmt werden und psychische Erkrankungen können sich verstärken. Aufgrund der Muskellähmungen können die Betroffenen dann beispielsweise nicht mehr richtig laufen und machen sich in die Hose, weil sie den Urin nicht mehr zurückhalten können. Diese Auswirkungen sind nicht immer reversibel.

Gibt es Befragungen aus Deutschland, die zeigen, wie viele Kinder und Jugendliche Lachgas konsumieren?

Gute Daten dazu haben wir nicht. Es gibt jedoch eine Querschnittsstudie, den sogenannten MoSyD Jahresbericht 2022, in dem 957 junge Menschen im Alter von 15 bis 18 Jahren danach befragt wurden, ob sie im Jahr 2022 Kontakt zu Lachgas hatten. Dies haben 17 Prozent der Befragten bejaht. Es handelt sich aber nur um eine kleine Gruppe aus einer begrenzten Region Deutschlands, sodass diese Aussage noch nicht viel über die gesamte Gruppe der Minderjährigen in ganz Deutschland aussagt.

Die Studie der Giftnotrufzentren, von der ich oben gesprochen habe, bildet die Situation in ganz Deutschland besser ab. Sechs der sieben deutschen Giftnotrufzentren haben mitgemacht. Die Studie soll im Sommer 2025 auch in Deutschland veröffentlicht werden.

Kann man pauschal sagen, ab welcher Dosierung Lachgas wirklich schädlich ist?

Nein, das ist bisher nicht möglich. In Bezug auf die Auswirkungen gibt es ein Review australischer Wissenschaftler, die Fallstudien zu dieser Frage gesammelt haben. In einer dieser Fallstudien ist die kleinste Menge Lachgas angegeben, die Menschen konsumiert haben, bevor gesundheitliche Folgen aufgetreten sind. Da die Studie zu einer Zeit durchgeführt wurde, in der ausschließlich kleine Sahnekapseln mit Lachgas erhältlich waren, bezieht sich die Angabe auf diese Kapseln. In der Studie traten bei 10 bis 20 Kapseln über einen Zeitraum von sechs Wochen gesundheitliche Symptome auf. Wenn man berücksichtigt, dass in jeder Kapsel 8 g Lachgas enthalten sind, entspricht das einer Gesamtmenge von 80 bis 160 g Lachgas. Die Kartuschen, die wir heute in Grünanlagen herumliegen sehen, enthalten ein Vielfaches dieser Menge: 670 g, über 1.350 g bis zu 2.000 g.

Aber es ist nicht immer die Dosierung, die das Gift gefährlich macht, sondern auch die Umstände, in denen es inhaliert wird: Wenn ich beispielsweise als Autofahrer mal kurz Lachgas inhaliere und dann nicht mehr schnell genug bremsen kann, wenn mir ein Kind vor das Auto läuft, hat das natürlich andere Folgen, als wenn ich dabei allein auf dem Sofa sitze.

Kann Lachgas im Blut oder in der Ausatemluft nachgewiesen werden?

Bisher ist das nicht routinemäßig möglich. Auf einer Toxikologischen Konferenz im November 2024 hat jedoch eine Hamburger Toxikologin ein Nachweisverfahren vorgestellt, mit dem in Hamburg ein Analysetest entwickelt wurde, der einer Methode aus Dänemark ähnelt. Dieser Test stammt aus der Rechtsmedizin: Im Straßenverkehr spielt Lachgas eine immer größere Rolle, da sich die Unfallrate von Autofahrern, bei denen eine Lachgaskartusche gefunden wurde, drastisch erhöht hat.

Deshalb ist ein beweissicherer, quantitativer Nachweis von Lachgas in Blutproben auffälliger Verkehrsteilnehmer ungeheuer wichtig. Bisher war es eben schwierig, den Konsum von Lachgas nachzuweisen. Dieses Problem haben die Hamburger Experten jetzt glücklicherweise gelöst. Das Verfahren, bei dem Distickstoffmonoxid mittels einer Headspace-Gaschromatographie-Massenspektrometrie nachgewiesen wird, ganz ähnlich wie der Nachweis von Alkohol im Blut, ist jedoch nur in einigen speziell dafür ausgestatteten Laboren möglich.

Gibt es eine Art „Gegengift“, das die Vergiftungs-Symptome von Lachgas lindert?

Nein, ein Gegengift gibt es tatsächlich nicht. Bei neurologischen Folgeerscheinungen wird Vitamin B12 intravenös verabreicht, da Lachgas, wie schon beschrieben, bestimmte Enzyme hemmt, durch die Vitamin B12 vom Körper nicht mehr gut genutzt werden kann. In der Folge kommt es zu einem Vitamin-B12-Mangel: Zuerst kribbeln die Beine, danach fühlen sie sich schwer an und schließlich versagen die Muskeln. Durch die längerfristige Gabe von Vitamin B12 und das Beenden des Lachgaskonsums können sich die Folgeerscheinungen zurückbilden, aber leider nicht immer wieder vollständig.

Bereits im Juni 2024 verabschiedete der Petitionsausschuss des Bundestags eine Beschlussempfehlung für ein Verkaufsverbot von Lachgas an Minderjährige. Warum hat es das geplante gesetzliche Verbot der Bundesregierung trotzdem nicht durch den Bundestag geschafft?

Der Bundesrat hat über die Finanzierung das ganze „Gesundes-Herz-Gesetz“ – in dem das Verbot von Lachgas ein Unterpunkt war – abgelehnt, da die beiden  Aspekte Vorsorgeuntersuchung und Präventionsangebote um die Finanzierung konkurrierten. Die Gesetzesvorlage ist dann irgendwann zwischen August 2024 und November 2024 verschwunden. Man kann also sagen, dass diese Bestrebungen im Sand verlaufen sind. Nun befasst sich unsere Gesundheitsministerin aber erneut mit dem Thema eines bundesweiten Verbots von Lachgas als Partydroge.

Glauben Sie, dass ein Verbot wirklich dazu beiträgt, dass Kinder und Jugendliche weniger Lachgas konsumieren?

Ja, als Teil eines Maßnahmenpakets. Den Effekt eines solchen Verbots kann man am Beispiel der Niederlande sehen: Dort wurde der Zugang zu Lachgas im Jahr 2023 erschwert und seit 2024 sind die Anrufe wegen Vergiftungserscheinungen im Zusammenhang mit Lachgas rapide gesunken. Natürlich sind die Niederlande ein viel kleineres Land und die Giftnotrufzentren sind anders organisiert. Aber selbst, wenn man das berücksichtigt, kann man einen deutlichen Effekt sehen. Wichtig sind zusätzliche Aufklärungsarbeit und Schulungen der Bereiche, in denen sich Patient:innen mit Schäden durch Lachgaskonsum vorstellen, also Notaufnahmen und Praxen.

Giftinformationszentrum

Giftnotruf der Charité

Dr. med. David Steindl leitet seit März 2024 den Giftnotruf der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Unterstützt wird er dabei von einem 30-köpfigen Team sowie seiner Stellvertreterin Daniela Acquarone, die seit 20 Jahren als klinische Toxikologin bei der Institution arbeitet.

Seit Mai 2025 ist am neuen Standort des Notrufs auf dem Campus Mitte der Charité auch eine klinische Betreuung vergifteter Patient:innen möglich.

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