Krankenhausreform: Die Lage ist kompliziert

Die geplante Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach soll die Probleme der Kliniken lösen. Doch der Weg dorthin gestaltet sich schwierig. Gelingt es, die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten zusammenzubringen?

Alltag im Krankenhaus: Ein Patient wird transportiert

Alltag im Krankenhaus: Ein Patient wird transportiert.

Krankenhäuser haben schon lange ein schwerwiegendes Problem. Sie müssen aus dem, was sie durch die medizinische Versorgung von Patient:innen erwirtschaften, fast alles bezahlen, was Behandlungen gemäß den Fachstandards erst möglich macht. Laufende Kosten für Personal, Material, Gebäude und Leistungen aus Servicebereichen wie Verpflegung und Reinigung gehören genauso dazu wie Investitionen in modernere Geräte oder Umbauten. Das Geld dafür kommt zu einem überwiegenden Teil von den Krankenkassen.

Doch so sollte es nicht sein. Für Investitionskosten müssen die Bundesländer aufkommen. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben sie ihre Verpflichtungen jedoch häufig mit dem Argument vernachlässigt, dass die Kliniken effektiver wirtschaften sollen. Sie zahlten nur die Hälfte dessen, was gebraucht wird: drei Milliarden Euro pro Jahr. Das zwingt Kliniken dazu, das Geld für Investitionen durch Behandlungen zu erwirtschaften.

Allerdings sorgt schon das DRG-Abrechnungssystem, das im Jahr 2003 eingeführt wurde, dafür, dass Krankenhäuser einen Spagat schaffen müssen. Sie müssen bei der Abrechnung mit den Krankenkassen den Fachstandard der Behandlungen gewährleisten, obwohl das Budget nicht im gleichen Maße wächst wie die Ausgaben, die dafür nötig sind – die Inflation noch nicht eingerechnet. Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. med. Karl Lauterbach (SPD) will das Problem nun mit einer weiteren Krankenhausreform angehen: Kliniken sollen nicht mehr gezwungen sein, massenhaft Behandlungsfälle abzurechnen.

Wie ist der Zeitplan der Krankenhausreform?

Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung legt fest, dass eine Kommission Leitplanken für eine Reform erarbeitet und zu einzelnen Aspekten Stellung nimmt. Bisher sind neun Stellungnahmen der 17-köpfigen Kommission erschienen. Die Kommissionsmitglieder sind Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen der Medizin, der Medizinökonomie und des Medizinrechts. Im Dezember 2022 haben sie die Grundzüge der Krankenhausreform vorgestellt. Ein Eckpunktepapier vom Juli 2023 legt die Struktur der Reform dar.

Eigentlich sollte die Reform am 1. Januar 2024 in Kraft treten. Doch die Verhandlungen mit den Ländern und die Beratungen im Bundestag verliefen nicht so, wie es sich der Minister gewünscht hatte. Der nächste Verhandlungstermin ist für die zweite Januarwoche 2024 geplant. Erst danach wird es einen Referentenentwurf des Gesetzes geben, der anschließend ins parlamentarische Gesetzgebungsverfahren geht.

Ein Teil der Reform, der die Transparenz zur Behandlungsqualität der Krankenhäuser neu regeln soll, wurde am 24. November 2023 vom Bundesrat abgelehnt und wird damit ebenfalls nicht zum anvisierten Zeitpunkt gültig. Realistisch betrachtet könnte die gesamte Reform also erst Anfang 2025 in Kraft treten und schrittweise bis 2029 in der Praxis ankommen.

Immer auf dem Laufenden bleiben. Melden Sie sich hier für unseren Newsletter an.

Ziele der Reform

Mit der Krankenhausreform verfolgt Karl Lauterbach drei zentrale Ziele:

  • Entökonomisierung
  • Entbürokratisierung
  • Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität

Außerdem will der Bundesgesundheitsminister die Versorgungssicherheit gewährleisten. Das heißt, dass alle Menschen in Deutschland Zugang zu den Behandlungen haben, die sie benötigen. Dieses Ziel ist für Flächenländer, etwa Brandenburg, schwieriger umzusetzen als für Stadtstaaten wie Berlin. Deshalb sind gerade für die Flächenländer neue Betriebsformen wichtig, die ambulante Operationen und flexible Arbeitszeitmodelle ermöglichen. Außerdem sollen Kliniken drei Versorgungsstufen zugerechnet werden: Regelversorgung, Schwerpunktversorgung und Maximalversorgung.

So ist die Reform gedacht

Mit Entökonomisierung ist vor allem die Abkehr von der starren Vergütung nach Fallzahlen gemeint. In Zukunft sollen Krankenhäuser nicht mehr darauf angewiesen sein, möglichst viele lukrative Behandlungen abzurechnen. Zusätzlich sollen sie eine feste Vergütung dafür bekommen, dass sie bestimmte Leistungen vorhalten, auch wenn Patient:innen sie nicht regelmäßig in Anspruch nehmen. Außerdem sollen die Fachbereiche Pädiatrie, Geburtshilfe, Schlaganfallversorgung, Spezielle Traumatologie, Intensivmedizin und Notfallversorgung einen zusätzlichen Zuschlag bekommen. Die Kosten für die Pflege werden weiter durch das Pflegebudget abgedeckt. Auf diese Weise sollen die Krankenhäuser 60 Prozent ihrer Einnahmen generieren. Die restlichen 40 Prozent sollen wie bisher im DRG-System, das heißt über Fallpauschalen, mit den Krankenkassen abgerechnet werden.

Damit trägt die Entökonomisierung auch zur Entbürokratisierung bei. Zusätzlich soll die Dokumentation der einzelnen Leistungen verschlankt werden, die bisher nötig war, um die Behandlungen abzurechnen und die Qualität zu überprüfen. Im Zuge der Reform soll bereits im Vorfeld überprüft werden, ob eine Klinik die notwendigen Voraussetzungen erfüllt, um eine Leistung zu erbringen. Die nachträgliche Qualitätskontrolle soll weitgehend entfallen.

Qualitätssicherung ist dem Bundesgesundheitsminister ein großes Anliegen. Dazu soll das Spektrum der medizinischen Leistungen in 65 Leistungsgruppen eingeteilt werden. Für sie sollen bundeseinheitlich Qualitätsanforderungen definiert werden, die dann jedes Krankenhaus erfüllen muss, das die entsprechende Leistung anbieten will. Die Länder dürfen Ausnahmen definieren, beispielsweise um in einer dünn besiedelten Region die Versorgung nicht zu gefährden.

Die Anforderungen für die Leistungsgruppen werden durch die zu erwartende Gesetzgebung bundeseinheitlich definiert. Die Kriterien beziehen sich auf das Personal (Ist es ausreichend vorhanden? Ist es genügend qualifiziert?), auf Behandlungsmengen (dafür werden Mindestmengen definiert) und auf Technik  (Ist sie ausreichend und auf dem notwendigen Stand vorhanden?). Jeder Behandlungsfall soll dann einer Leistungsgruppe zugeordnet werden.

Als Grundlage wird das nordrhein-westfälische Planungsinstrument verwendet, das allerdings nicht alle Teilbereiche der Medizin angemessen berücksichtigt, wie die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in einer Stellungnahme kritisiert. So könnten zum Beispiel einige Fachgebiete, die in der Behandlung von Krebserkrankungen für einen kleineren Teil der Patient:innen wichtig sind, zu kurz kommen. Die AWMF fordert deshalb eine weitere Differenzierung der Leistungsgruppen. Sie befürchtet, dass diese Bereiche sonst in der Vorhaltevergütung fehlen.

Qualitätssicherung gefährdet Qualifizierung von Ärzt:innen

Ein weiterer Knackpunkt ist, dass die zuständigen Planungsbehörden der Länder die Leistungsgruppen den einzelnen Krankenhausträgern bzw. -standorten zuweisen sollen. Daraus ergeben sich einige Zielkonflikte.

Die Versorgungsqualität in unseren Krankenhäusern hängt maßgeblich davon ab, dass wir genügend gut qualifizierte Ärztinnen und Ärzte sowie andere Gesundheitsfachberufe haben.

Dr. med. (I) Klaus Reinhardt,
Präsident der Bundesärztekammer

Denn ausgerechnet das Streben nach Qualitätssicherung könnte dazu führen, dass es in Zukunft zu wenige qualifizierte Ärzt:innen gibt. Werden Leistungsgruppen feingliedrig auf Krankenhausstandorte verteilt, wirkt sich das auf die Weiterbildung von Fachärzt:innen aus. Bisher absolvieren sie ihre Weiterbildung zumeist an einem Standort. Die neue Struktur stellt aber in Frage, ob alle Inhalte, die für die Facharztqualifizierung nötig sind, in einem Krankenhaus erlernt werden können. Angehende Fachärzt:innen müssten sich in diesen Fällen während der Qualifizierungsphase bei weiteren Kliniken bewerben, um dort entsprechende Erfahrungen sammeln zu können. Damit das möglich ist, müssten Krankenhäuser unterschiedlicher Versorgungsstufen so kooperieren, dass sie freien Stellen so auf die angehenden Fachärzt:innen verteilen, dass sie sich lückenlos weiterbilden können. Andernfalls würde sich die Dauer der Qualifizierung erhöhen und es könnte passieren, dass Weiterbildungsstellen unbesetzt bleiben. Eine mögliche Lösung dieses Problems wäre, dass Krankenhäuser für die Weiterbildung von Ärzt:innen angemessen vergütet werden. Das sieht die Reform bisher aber nicht vor.

Die AG Junge Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin fordert in einer Stellungnahme, die Zahl der Oberärzt:innen in die Mindeststrukturvoraussetzungen zu integrieren. Auch die AWMF fordert, dass die Reform den Personalbemessungsschlüssel der Bundesärztekammer übernimmt. Dieser berücksichtigt, wie viel Zeit und andere Ressourcen nötig sind, um den medizinischen Nachwuchs auszubilden. Das Problem ist nicht ganz neu: Schon das DRG-System bildet die Ausbildung von Fachärzt:innen nicht ab.

Die fehlenden Regelungen zur Facharztweiterbildung in der Krankenhausreform haben eine große Sprengkraft – sowohl für die betroffenen Kolleg:innen als auch für die Häuser.

Dr. med. Thomas Werner,
Mitglied im Vorstand und im Versorgungsausschuss der Ärztekammer Berlin

So sind die in den Qualitätsvorgaben definierten Mindestmengen daran geknüpft, dass sie von fachlich qualifizierten Spezialist:innen durchgeführt werden. Dadurch wäre ein großer Teil der Inhalte, die in der Weiterbildung wichtig sind, für Ärzt:innen in Weiterbildung nicht mehr zugänglich, da die Kliniken sonst die Zertifizierungsvorschriften, die der Qualitätsbemessung zugrunde gelegt werden, nicht einhalten können.

Die Herausforderungen für die Bundesländer unterscheiden sich

Das Land Berlin ist mit der Krankenhausplanung schon weiter als einige anderer Bundesländer. Hier gibt es seit 2016 Vorgaben zur Qualität, zu Prozessen und Strukturen. Die Folge: Im Bundesvergleich sind Berliner Krankenhausbetten stärker ausgelastet. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2021. Auch die neuen Bundesländer haben in den vergangenen Jahren einige Strukturänderungen vorgenommen.

Im nächsten Jahr muss sich die Berliner Senatsverwaltung jedoch Gedanken machen, wie sie die weitere Planung ausgestaltet. Einige Krankenhäuser werden dann Leistungen, die sie bisher erbracht haben, nicht mehr anbieten können. Das könnte die Konkurrenz zwischen den Kliniken weiter erhöhen – vor allem in Leistungsgruppen, die hoch dotiert sind. Auf diese Einnahmen konnten die Häuser bisher nicht verzichten, und können es im Moment erst recht nicht. Die Corona-Jahre und die hohe Inflation setzen die Häuser nach wie vor unter Druck, zusätzlich zur Geldnot, die auf die Unterfinanzierung durch die Bundesländer zurückgeht. Doch obwohl die Reform diese Dynamik eigentlich mildern will, könnte sie sie weiter antreiben. Um dies zu vermeiden, braucht es Übergangshilfen – zumindest für einige Kliniken. Davon sind die Mitglieder der Selbstverwaltung überzeugt, genauso wie die Gesundheitsminister der Bundesländer.

Auch in den Flächenländern gibt es ein Problem: Wenn sie Leistungsgruppen zuteilen, die hochspezialisiert sind, können diese Häuser sowohl Spezial- als auch leichte Fälle versorgen. Da die großen Häuser nicht alle schaffen, stellt sich die Frage: Was passiert mit diesen leichten Fällen? Eine Entwicklung, die sich schon jetzt zeigt, sind Wartelisten für planbare Operationen, zum Beispiel Leistenbrüche. Wünschenswert wäre ein Instrument, mit dem diese Fälle in Kliniken vermittelt werden, die zeitnah über Kapazitäten verfügen. Andernfalls entsteht eine Priorisierung durch die Hintertür, die ethisch fragwürdig ist.

Man kann Erkrankungen nicht gegeneinander aufrechnen. Sonst erkauft man sich vielleicht den Überlebensvorteil eines älteren Krebspatienten dadurch, dass ein junger Mensch nicht zeitnah versorgt wird.

Dr. med. Thomas Werner,
Mitglied im Vorstand und im Versorgungsausschuss der Ärztekammer Berlin

Wie geht es weiter?

Die Bundesländer fordern unter anderem Nachbesserungen bei der Finanzierung und der Definition der Leistungsgruppen. Sie befürchten auch, dass vielen Kliniken bis zur abschließenden Umsetzung der Reform das Geld ausgeht. Deshalb wurde ein Vorschaltgesetz vorgeschlagen: Der Bund soll eine Überbrückungshilfe finanzieren. Bayern will zudem eine Auswirkungsanalyse vorschalten. Die Haushaltslage des Bundes wird vermutlich beides nicht zulassen.

Sowohl die Gesundheitsminister:innen der Länder als auch die Mitglieder der Selbstverwaltung kritisieren, dass wesentliche Vorschläge kein Gehör im Bundesgesundheitsministerium finden. Und auch im Bundestag wurde hitzig über die Reform diskutiert. Zuletzt ließ Lauterbach zumindest erkennen, dass er sich mit der Kritik auseinandersetzt.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Wir freuen uns über Ihr Feedback!

Ja
Nein

Vielen Dank!

Zur Ärztekammer Berlin