Als Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) haben wir jüngst unser Jahrestreffen in Berlin veranstaltet. Mehr als 160 engagierte Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundesgebiet diskutierten gemeinsam mit Gästen aus anderen Wissenschaftsbereichen, etwa dem Physiker Prof. Dr. Jürgen Scheffran oder dem Politologen Prof. Dr. Johannes Varwick ein breites Themenspektrum. Auch wenn der Kern der IPPNW-Arbeit die Verhütung des Atomkrieges bleibt, ist unser Spektrum friedensrelevanter Themen heute breiter als zu unseren Gründungszeiten. So standen im Mittelpunkt der Tagung nicht allein der Krieg Russlands gegen die Ukraine, sondern auch das Thema „Klima und Krieg“ sowie Flüchtlingsthemen.
Diplomatie statt Waffen
Die besondere Rolle von uns Menschen mit Heilberufen besteht darin, auf die verheerenden Folgen von Kriegen für Menschen, Umwelt und Klima hinzuweisen, damit sich diplomatische Lösungen durchsetzen. Kriege gehen nicht zu Ende, wenn die Kampfhandlungen aufhören. Sie verursachen psychische und somatische Folgeschäden beim Menschen. Bei einem Krieg gibt es nur Verliererinnen und Verlierer. Im IPPNW-Leitantrag zum Ukrainekrieg, den wir bei allen Kontroversen mit überwältigender Mehrheit verabschiedet haben, reflektieren wir, dass wir keinen Anspruch auf die allein richtige politische Antwort haben. Wir wollen uns aber sehr wohl in die Debatte einbringen, etwa zu der Frage, mit welchen Akteurinnen und Akteuren Verhandlungen denkbar sind. In dem online verfügbaren Papier „Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine“ geben wir einen Überblick über bestehende Vorschläge und mögliche Schritte, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden.
Mit Blick auf unser Kernanliegen, die Verhütung des Atomkrieges, fordern wir, dass alle Atommächte erklären, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Diese müssen weltweit aus dem Status erhöhter Alarmbereitschaft genommen werden, damit bei Missverständnissen kein Atomschlag ausgelöst wird. Wir sprechen uns zudem gegen eine Aufrüstung aus. Die steigenden Verteidigungsausgaben tragen nicht zur Sicherheit der Menschen in Deutschland und Europa bei. Vielmehr ziehen sie finanzielle, materielle sowie intellektuelle Ressourcen ab, die wir für zivile Konfliktarbeit, Klimagerechtigkeit und die Stärkung der Gesundheitssysteme dringend benötigen. Die enorme Ressourcenverschwendung durch Kriege sowie eine Politik von Konfrontation statt Kooperation konterkariert zudem alle Bemühungen zur Lösung der weltweiten Klimakrise.
Impressionen vom IPPNW-Jahrestreffen 2023
Frieden in den Notaufnahmen
Unsere Arbeit ist vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine brandaktuell. Gleichzeitig sind die Zeiten für Friedensbewegte hart, denn es gibt keine einfachen Antworten auf die hochkomplexe Weltlage. Die Brutalität des Ukrainekrieges und die Aufgabe der militärischen Zurückhaltung, die die Politik der Bundesregierung bisher bestimmte, stellen die Friedensbewegung vor eine riesige Herausforderung.
Die Friedensbewegung ist sehr heterogen und derzeit keine Massenbewegung. Aber Sicherheitspolitik ist zu wichtig, um sie der Politik und – bei allem Respekt – dem Militär zu überlassen. Deshalb haben wir thematisch in den Vordergrund gestellt, was die Zivilgesellschaft tun kann. Ohne zivilgesellschaftliches Engagement und einen Kontakt zwischen den Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher Länder wird es nicht gehen. Als Ärztinnen und Ärzte haben wir eine herausragende Kompetenz, wenn es um die humanitären Folgen von Krieg geht. Das treibt viele von uns an – trotz vielfältiger beruflicher Belastung – wertvolle Zeit einzubringen für dieses Ehrenamt.
Die Gemeinschaft solch engagierter Kolleginnen und Kollegen trägt mich persönlich und hilft, den Mut nicht zu verlieren. Damit unsere Notaufnahmen niemals ein Krieg erreichen möge und wir solidarisch daran mitarbeiten, in anderen Regionen der Welt Abrüstung, Gerechtigkeit und Frieden voranzubringen.
3 Fragen an Clara Blumenroth
1. Seit 2018 engagieren Sie sich bei der IPPNW. Drei Jahre später, mitten in der Corona-Pandemie, sind Sie IPPNW-Studierendensprecherin geworden. Wie vereinbaren Sie Ihr politisches Engagement mit Ihrem Alltag als Studentin?
Oft fällt es mir nicht leicht, das Engagement in den Alltag einzubauen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es nur mit anderen geht. Um sich gegenseitig zu motivieren und dranzubleiben, braucht es einen Face-to-Face-Austausch. Man setzt sich so oft mit schwierigen und belastenden Themen auseinander. Wenn man das mit netten Menschen gemeinsam macht und dabei vielleicht noch eine gute Zeit hat, zieht es viel weniger Energie.
2. Haben Sie als Studierende und PJlerin, also im praktischen Jahr, im Alltag Bezug zu den politischen Schwerpunkten der IPPNW auf?
Man könnte im Studium ab und zu mal das Gefühl bekommen, Medizin sei „unpolitisch“. Zumindest das überholungsbedürftige Curriculum vermittelt manchmal diesen Eindruck. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Ein Thema, mit dem sich der IPPNW-Arbeitskreis Flucht und Asyl beschäftigt, sind Abschiebungen aus dem stationären Kontext im Krankenhaus. Das ist Realität, und damit sollte man sich auch als angehende Ärztin oder angehender Arzt beschäftigen. Denn oft ist es ärztliche Aufgabe, die Abschiebefähigkeit zu bescheinigen – oder eben nicht.
3. Wie kann die IPPNW junge Menschen im Medizinstudium erreichen?
Meine Generation hat mit klassischen Kernthemen der IPPNW, wie etwa Atomwaffen oder Krieg, weniger zu tun. Vielleicht liegt das daran, dass wir in einer Zeit aufgewachsen sind, in der der Krieg immer sehr weit weg schien. Das unterscheidet uns von der Klimabewegung oder Gruppen, die sich gegen Diskriminierung engagieren. Zunehmend arbeitet die IPPNW auch zum Thema Klimagerechtigkeit und dem Einfluss von Kriegen auf den Klimawandel. Ich denke, dass das Themen sind, die die junge Generation eher ansprechen und erreichen können. Auch sollten wir die Arbeit in den Bereichen, die im Berufsalltag relevant sind, stärken. Das IPPNW-Programm “Famulieren und engagieren” ist dafür ein tolles Beispiel. Hier verknüpfen Studierende eine Famulatur im Ausland mit der Arbeit in einem sozialen Projekt und werden dabei finanziell von der IPPNW unterstützt.