Am Friedenskurs festhalten

„Heute ist wieder Weltkrieg in der Notaufnahme“, lautete der Standardspruch eines Kollegen aus den Anfangsjahren meiner ärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus, um den oft irrsinnigen Arbeitsalltag in der Medizin zu beschreiben. Aktuell bleibt einem dieser Humor im Halse stecken und doch passt das Bild irgendwie immer noch. Bleibt denn da noch Zeit für eine ehrenamtliche Tätigkeit – ausgerechnet zum Thema „Krieg und Frieden“?

Jahrestreffen der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW vom 9. bis 11. Juni 2023 in Berlin

Um die Voraussetzungen für eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise unter internationaler Vermittlung zu schaffen, hat die ärztliche Friedensorganisation auf ihrem Jahrestreffen ein Ende der Kampfhandlungen und ein Waffenstillstandsabkommen in der Ukraine gefordert.

Als Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) haben wir jüngst unser Jahrestreffen in Berlin veranstaltet. Mehr als 160 engagierte Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundesgebiet diskutierten gemeinsam mit Gästen aus anderen Wissenschaftsbereichen, etwa dem Physiker Prof. Dr. Jürgen Scheffran oder dem Politologen Prof. Dr. Johannes Varwick ein breites Themenspektrum. Auch wenn der Kern der IPPNW-Arbeit die Verhütung des Atomkrieges bleibt, ist unser Spektrum friedensrelevanter Themen heute breiter als zu unseren Gründungszeiten. So standen im Mittelpunkt der Tagung nicht allein der Krieg Russlands gegen die Ukraine, sondern auch das Thema „Klima und Krieg“ sowie Flüchtlingsthemen.

Diplomatie statt Waffen

Die besondere Rolle von uns Menschen mit Heilberufen besteht darin, auf die verheerenden Folgen von Kriegen für Menschen, Umwelt und Klima hinzuweisen, damit sich diplomatische Lösungen durchsetzen. Kriege gehen nicht zu Ende, wenn die Kampfhandlungen aufhören. Sie verursachen psychische und somatische Folgeschäden beim Menschen. Bei einem Krieg gibt es nur Verliererinnen und Verlierer. Im IPPNW-Leitantrag zum Ukrainekrieg, den wir bei allen Kontroversen mit überwältigender Mehrheit verabschiedet haben, reflektieren wir, dass wir keinen Anspruch auf die allein richtige politische Antwort haben. Wir wollen uns aber sehr wohl in die Debatte einbringen, etwa zu der Frage, mit welchen Akteurinnen und Akteuren Verhandlungen denkbar sind. In dem online verfügbaren Papier „Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine“ geben wir einen Überblick über bestehende Vorschläge und mögliche Schritte, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden. 

Mit Blick auf unser Kernanliegen, die Verhütung des Atomkrieges, fordern wir, dass alle Atommächte erklären, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Diese müssen weltweit aus dem Status erhöhter Alarmbereitschaft genommen werden, damit bei Missverständnissen kein Atomschlag ausgelöst wird. Wir sprechen uns zudem gegen eine Aufrüstung aus. Die steigenden Verteidigungsausgaben tragen nicht zur Sicherheit der Menschen in Deutschland und Europa bei. Vielmehr ziehen sie finanzielle, materielle sowie intellektuelle Ressourcen ab, die wir für zivile Konfliktarbeit, Klimagerechtigkeit und die Stärkung der Gesundheitssysteme dringend benötigen. Die enorme Ressourcenverschwendung durch Kriege sowie eine Politik von Konfrontation statt Kooperation konterkariert zudem alle Bemühungen zur Lösung der weltweiten Klimakrise.

Frieden in den Notaufnahmen

Unsere Arbeit ist vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine brandaktuell. Gleichzeitig sind die Zeiten für Friedensbewegte hart, denn es gibt keine einfachen Antworten auf die hochkomplexe Weltlage. Die Brutalität des Ukrainekrieges und die Aufgabe der militärischen Zurückhaltung, die die Politik der Bundesregierung bisher bestimmte, stellen die Friedensbewegung vor eine riesige Herausforderung.

Die Friedensbewegung ist sehr heterogen und derzeit keine Massenbewegung. Aber Sicherheitspolitik ist zu wichtig, um sie der Politik und – bei allem Respekt – dem Militär zu überlassen. Deshalb haben wir thematisch in den Vordergrund gestellt, was die Zivilgesellschaft tun kann. Ohne zivilgesellschaftliches Engagement und einen Kontakt zwischen den Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher Länder wird es nicht gehen. Als Ärztinnen und Ärzte haben wir eine herausragende Kompetenz, wenn es um die humanitären Folgen von Krieg geht. Das treibt viele von uns an – trotz vielfältiger beruflicher Belastung – wertvolle Zeit einzubringen für dieses Ehrenamt.

Die Gemeinschaft solch engagierter Kolleginnen und Kollegen trägt mich persönlich und hilft, den Mut nicht zu verlieren. Damit unsere Notaufnahmen niemals ein Krieg erreichen möge und wir solidarisch daran mitarbeiten, in anderen Regionen der Welt Abrüstung, Gerechtigkeit und Frieden voranzubringen.

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