West-Nil-Virus – eine neue mögliche Diagnose für Berliner Patient:innen

Durch Mücken übertragene Infektionskrankheiten werden häufig vor allem mit tropischen Reisezielen und Erkrankungen wie Malaria, Dengue-Fieber oder Gelbfieber assoziiert. Aber auch in Europa gibt es in der letzten Dekade lokale, durch Mücken übertragene Ausbrüche viraler Infektionen. Neben der Ausbreitung invasiver Stechmücken wie der Asiatischen Tigermücke, spielen in Berlin auch heimische Stechmücken eine entscheidende Rolle bei der Übertragung einer Virusinfektion, für die sich Berlin bereits jetzt als Hotspot abzeichnet: das West-Nil-Fieber.

Virus

Das West-Nil-Virus zirkuliert zwischen Stechmücken und Vögeln und wurde durch Zugvögel in lokale Vogelpopulationen eingetragen. Menschen sind, ähnlich wie Pferde, Fehlwirte, die zwar klinisch teils schwer erkranken, jedoch nicht in ausreichendem Maße virämisch werden, um Übertragungen auf weitere Mücken zu ermöglichen. Heimische Stechmücken, die zum Spezieskomplex Culex pipiens gehören, sind die wichtigsten West-Nil-Fieber-Vektoren.

Symptome und Krankheit

Klinisch zeigen sich nach ca. 2- bis 14-tägiger Inkubationszeit bei ca. 20 Prozent der Infizierten Symptome des West-Nil-Fiebers (WNF) wie Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Rückenschmerzen, Exantheme, Abgeschlagenheit und Lymphknotenschwellungen. Die Krankheitsschwere reicht von milden selbstlimitierenden Verläufen, bis zu langwierigen stark beeinträchtigenden Erkrankungen, die über Monate andauern können. Daneben tritt bei etwa einem Prozent der Infizierten eine neuroinvasive Form der Erkrankung (West Nile Virus Neuroinvasive Disease, WNND) auf, die mit Meningitiden, Enzephalitiden, Muskelschwäche, schlaffen Lähmungen, und Ataxien einhergeht. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen dieser Verlaufsform können Schwäche, Abgeschlagenheit, Depression, Gedächtnisverlust oder Verwirrtheit auftreten und über Monate persistieren. Bei der WNND wird eine Fallsterblichkeit von bis zu 17 Prozent beobachtet, von der vor allem ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen betroffen sind.

Epidemiologie

In Deutschland wurde das West-Nil-Fieber erstmalig im Jahr 2018 im Zuge eines besonders starken Ausbruchs in Europa bei Vögeln und Pferden nachgewiesen. Erste autochthone, also lokal erworbene, humane WNV-Infektionen sind hier seit 2019 bekannt. Auch die Überwinterung von WNV in Stechmückenweibchen wurde in Deutschland bereits gezeigt, so dass der Amplifikationszyklus sich hier ohne kontinuierlichen Eintrag über Zugvögel aufrechterhält.

Erste Nachweise der Infektion erfolgten auch in Berlin im Jahr 2018 bei zwei Vögeln. Zwischen 2019 und 2022 sind bei insgesamt 95 Vögeln in Berlin WNV-Nachweise erfolgt. Für das Jahr 2023 wurden Ende Juli die ersten Nachweise bei zwei Habichten in Berlin berichtet. Der erste autochthone humane West-Nil-Fieber-Fall wurde in Berlin im Jahr 2019 gemeldet. In den Jahren 2020 bis 2022 wurden dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) insgesamt 12 autochthone humane WNV-Fälle übermittelt, ein Drittel davon mit Symptomen einer WNND, die eine stationäre Behandlung im Krankenhaus erforderte. Die Hauptstadt ist nicht nur der in Deutschland bislang nördlichste Punkt von humanen West-Nil-Fieber-Fällen, sondern sowohl im Hinblick auf die Nachweise bei Vögeln und Pferden als auch auf das Vorkommen humaner Fälle ein Hotspot. Aufgrund der häufig milden oder auch völlig asymptomatischen Verlaufsformen muss von einer deutlichen Untererfassung ausgegangen werden.

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Was ist bei der West-Nil-Fieber-Diagnostik zu beachten?

Die Sicherung und besonders der Ausschluss einer West-Nil-Fieber-Infektion im Labor kann herausfordernd sein. WNV-RNA lässt sich oft nur kurz (bis ca. 3 bis 7 Tage nach Symptombeginn) im Blut oder bei WNND auch im Liquor nachweisen. Bei länger zurückliegendem Infektionszeitpunkt (über 1 Woche) kann auch eine PCR-Untersuchung des Urins sinnvoll sein, um eine WNV-Infektion zu sichern, da WNV-RNA im Urin oft länger nachweisbar bleibt. Der direkte Virusnachweis mittels RT-PCR im Liquor, Blut oder Urin, beweist das Vorliegen einer WNV-Infektion. Die WNV-RT-PCR Testung ist besonders bei schwereren Verlaufsformen mit ZNS Beteiligung und Hospitalisierung oder bei Patient:innen unter Immunsuppression sinnvoll. Bei milderen Verläufen sollte eine RT-PCR Testung mit Berücksichtigung des Symptombeginns gut abgewogen werden. Ab dem 5. bis 7. Tag nach Symptombeginn ist der Nachweis von WNV-spezifischen Antikörpern (das heißt IgM und IgG) im Serum meistens das bessere Testverfahren.

Hierbei treten gelegentlich falsch reaktive Ergebnisse auf, da durch Impfung oder Infektion serologische Kreuzreaktivität mit anderen Flaviviren (zum Beispiel Frühsommer-Meningoenzephalitis, Denguevirus, Gelbfiebervirus, Japanisches-Enzephalitis-Virus) vorkommt. Der Nachweis von WNV-IgM und einer späteren WNV-IgG-Serokonversion oder ein signifikanter Antikörpertiter-Anstieg in Serumpaaren mit ca. 2 bis 4 Wochen Abstand können dabei eine WNV-Verdachtsdiagnose erhärten. Daher wird je nach Abnahmezeitpunkt und Untersuchungsergebnis der ersten Blutabnahme oft eine zweite Serologie empfohlen. Während der Mückensaison sollte in der hausärztlichen Versorgung bei fieberhaften Patient:innen mit Hautauschlägen oder Gelenk- und Muskelschmerzen WNV differentialdiagnostisch in Betracht gezogen werden. Ärzt:innen wenden sich zur Labordiagnostik am besten an ihr versorgendes fachärztliches Labor, in dem dann die Serologie entweder vor Ort oder nach Versendung in einem Speziallabor durchgeführt wird.

West-Nil-Fieber-Surveillance in Berlin?  

Seit 2021 kooperiert das LAGeSo mit dem Institut für Virologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, um eine intensivierte WNV-Surveillance in Berlin umzusetzen. Dazu gehört, dass Personen mit einer WNV-Infektion systematisch zu relevanten Expositionen im potenziellen Infektionszeitraum sowie zu klinischen Symptomen und zu Risikofaktoren für eine WNND befragt werden. Sollte sich die Infektion als autochthon herausstellen, werden Mückenfallen an Expositionsorten positioniert, um die so gefangenen Mücken auf WNV zu untersuchen. Beim Nachweis von West-Nil-Fieber erfolgt eine sequenzbasierte phylogenetische Analyse der isolierten Viren. Dadurch konnte gezeigt werden, dass die in Berlin nachgewiesenen WNV-Isolate seit 2019 sehr nah miteinander verwandt sind und innerhalb der in Deutschland gefundenen Stämme eine abgegrenzte Gruppe bilden. Dies legt nahe, dass es sich nicht um jährlich neu durch Zugvögel eingetragene Viren handelt, sondern um die Überwinterung und Verbreitung innerhalb der Vogel- und Mückenpopulation der Region.

Was wird bei WNV-Nachweisen in Mücken in Berlin unternommen?

Die heimische Stechmücke brütet vorwiegend in künstlichen Wasseransammlungen, in denen über mindestens acht bis zehn Tage lang Wasser steht, zum Beispiel Regentonnen, Gullys, Gießkannen, Vogeltränken, verstopfte Regenrinnen. Während es zur Bekämpfung der Asiatischen Tigermücke in vielen Regionen Deutschlands bereits bewährte Strategien zur Bekämpfung gibt, ist dies bei der Bekämpfung von West-Nil-Fieber in heimischen Stechmücken noch nicht der Fall. Berlin hat hier gewissermaßen eine Vorreiterrolle. In Europa ist der Einsatz von biologischen Larviziden die am häufigsten eingesetzte Maßnahme zur Vektorkontrolle in Bezug auf WNV. Zur Reduzierung der Mückendichte kommt in der Regel ein biologischer Wirkstoff zum Einsatz, der aus einem Eiweißkristall des Bakteriums, Bacillus thuringiensis israelensis (kurz: B.t.i.), hergestellt wird und den Vorteil einer sehr spezifischen Wirksamkeit gegenüber Mückenlarven hat.

Die Nationale Expertenkommission für Stechmücken hat eine Handlungsempfehlung zum integrierten Management von vektorkompetenten Stechmücken in Deutschland erarbeitet, die schon bei einzelnen WNV-Nachweisen in Stechmücken oder einzelnen autochthonen Infektionen bei Vögeln, Pferden oder Menschen neben Öffentlichkeitsarbeit auch persönlichen Mückenschutz, die Beseitigung von Brutstätten sowie den Einsatz von Larviziden vorsieht.

Fazit

Im Hinblick auf die weite Verbreitung von West-Nil-Fieber in Vögeln in Berlin und angrenzenden Regionen wird deutlich, dass die hier beschriebene Surveillance und Bekämpfung nur ein Zurückdrängen und Hinauszögern der weiteren Verbreitung zum Ziel haben kann. Die Erfahrung bereits stärker betroffener Länder zeigt, dass ein frühzeitig etabliertes integriertes Vektormanagement unverzichtbar ist. Nicht zuletzt da alle aufgeführten Maßnahmen auch die Verbreitung der in Berlin bereits nachgewiesenen Asiatischen Tigermücke verhindern können, ist dabei neben der Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit zur Beseitigung von Brutgewässern auch der Einsatz biologischer Larvizide in Berlin essenziell.

Die aktuell noch niedrigen gemeldeten humanen Fallzahlen in Berlin sollten daher nicht als Ausdruck eines vernachlässigbaren Problems gewertet werden, sondern vielmehr vorsorglich, auch im Hinblick auf den Klimawandel, als ein sich anbahnendes Public Health-Problem. Das Zeitfenster zur „Epidemic Prepardedness“ eines neu auftretenden Erregers sollte von der Ärzteschaft und dem öffentlichen Gesundheitsdienst bestmöglich genutzt werden, um dieser Herausforderung konzertiert zu begegnen. Neben einer gut aufgestellten Surveillance ist es daher besonders wichtig, dass niedergelassene Ärzt:innen wachsam sind. Es ist an ihnen, eine adäquate zielgerichtete Diagnostik durchzuführen und neu aufgetretene Fälle des West-Nil-Fiebers umgehend an das zuständige Gesundheitsamt zu melden.

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