Digitale Visionen, reale Hürden
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken formulierte ihr Programm klar: Das im kommenden Frühjahr erwartete Digitalgesetz soll mit „konkreten Gestaltungslösungen“ endlich Schwung in die Digitalisierung bringen. Sie benannte deutliche strukturelle Prioritäten: Optimierung der digitalen Infrastruktur, Verbesserung der Betriebsstabilität, Stärkung der Telematikinfrastruktur (TI) sowie Reduzierung von Ausfallrisiken und Komplexität. Zudem ist der Aufbau eines „digital gestützten Primärarztsystems“ ein zentraler Baustein. Auch das geplante Medizinregistergesetz soll die Datennutzung sowohl für die Versorgung als auch für die Forschung erleichtern.
Zugleich warnte Warken vor überzogenen Erwartungen an künstliche Intelligenz. „Man sollte die KI nicht nach einer medizinischen Zweitmeinung fragen, nachdem man beim Arzt war – sie kann es nicht“, betonte die Ministerin. Dieser Satz wurde im Publikum aufmerksam aufgenommen, gerade weil auf Kongressen oft zu hören ist, dass die Bevölkerung digital oft weiter ist als die Politik. Aktuelle Bitkom-Daten zeigen, dass viele Menschen der KI erstaunlich viel Vertrauen schenken: 55 Prozent der Chatbot-Nutzer vertrauen KI bei Gesundheitsfragen, 16 Prozent haben bereits eine ärztliche Empfehlung zugunsten eines Chatbots ignoriert und 30 Prozent halten Antworten von Chatbots für genauso wertvoll wie eine ärztliche Zweitmeinung. Zahlen, die verdeutlichen, wie stark KI bereits in die Gesundheitsentscheidungen vieler Menschen hineinwirkt.
„Echte Entlastung statt weiterer Pilotphasen“
Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. Klaus Reinhardt, vertrat eine deutlich kritischere Perspektive. Er sprach offen davon, dass Deutschland „am Beginn der Transformation der Digitalisierung“ stehe, aber noch „Lichtjahre davon entfernt sei, die ePA sinnvoll zu nutzen“. Reinhardt forderte „mehr Mut und Wagemut“, um endlich konkrete Fortschritte zu erzielen. Die ärztliche Selbstverwaltung brauche verlässliche Systeme, effiziente Datenschnittstellen und echte Entlastung statt weiterer Pilotphasen und noch mehr Komplexität. Dr. med. Kristina Spöhrer vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband bestätigte diese Einschätzung ausdrücklich. Auch der Verband fordert seit Jahren verlässlich funktionierende Systeme, klare Datenschnittstellen und eine spürbare Entlastung der Praxen, doch die tatsächlichen Fortschritte sind bislang gering.
Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz lag auf der Frage der Datennutzung. Dabei wurde wiederholt auf die enorme Diskrepanz zwischen Deutschland, Europa und den USA hingewiesen. Während in den Vereinigten Staaten jährlich mehrere hundert Milliarden US-Dollar in digitale Gesundheitsinnovationen fließen, sind es in Deutschland deutlich weniger.
Fragmentiert, unvollständig, nicht interoperabel
Dies wurde besonders durch die Ausführungen von Prof. Dr. Ariel Dora Stern vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam deutlich. Sie berichtete offen, dass sich Daten aus Deutschland derzeit „kaum nutzen lassen“. Diese seien fragmentiert, unvollständig, nicht interoperabel und im internationalen Vergleich schlicht zu langsam verfügbar. Forschungsteams griffen daher regelmäßig auf US-Daten zurück. Diese seien schnell, millionenfach vorhanden und qualitativ hochwertig. Eine ernüchternde Bilanz für ein hoch entwickeltes Land mit extrem hohen Gesundheitsausgaben und einem vorhandenen „Schatz an Gesundheitsdaten“.
Auch der GKV-Spitzenverband positionierte sich und forderte eine Neuausrichtung der Rolle gesetzlicher Krankenkassen. In Zukunft brauche es „mehr Spielraum für den Wettbewerb“, betonte Dr. Martin Krasney, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. Krankenkassen müssten mehr sein als reine Kostenträger („Payer“). Sie sollten aktive Partner in der digitalen Transformation werden, Innovationen fördern und neue Versorgungsmodelle gestalten.
Alle müssen sich bewegen
Dass Digitalisierung aber nicht nur Infrastruktur, sondern auch ein gesellschaftliches Thema ist, unterstrich Dr. Ralf Wintergerst, Präsident von Bitkom. Er forderte: „Jeder müsse aktiv werden.“ Visionen und politische Absichtserklärungen seien wertlos, wenn sie nicht mit konkreten Taten unterlegt würden. Die gesamte Branche – Politik, Industrie, Forschung und ärztliche Profession – müsse sich bewegen, damit digitale Gesundheit mehr werde als ein Sammelsurium von Pilotprojekten.
Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz war der Datenschutz. Die Diskussionen drehten sich um die Notwendigkeit souveräner europäischer Datenräume, die Sicherheit von Gesundheitsdaten und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Zahlreiche Stimmen mahnten: Ohne verlässlichen Datenschutz werde es weder Akzeptanz noch Teilnahme an der ePA noch eine nachhaltige Datennutzung für Forschung und Versorgung geben.
Insgesamt zeichnete sich ein klares Bild ab: Deutschland verfügt über die Visionen, Ressourcen und Expertise, um eine führende Rolle im Bereich der digitalen Gesundheit zu übernehmen. Der Weg dorthin wird jedoch erst möglich, wenn die grundlegende Infrastruktur stabil funktioniert, Prozesse entbürokratisiert werden und alle beteiligten Akteure bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Die Konferenz brachte drei zentrale Erkenntnisse hervor:
- Ohne stabile Telematikinfrastruktur gibt es keine funktionierende Digitalisierung. Die Infrastruktur ist kein Nebenschauplatz, sondern die Grundlage.
- Datenräume, Registergesetze und KI-Potenziale haben nur dann Wert, wenn sie in der Versorgung ankommen und dort für Entlastung sorgen.
- Ärztliche Perspektiven müssen in jeder Phase zentral berücksichtigt werden. Die Digitalisierung muss klinisch sinnvoll, intuitiv und alltagstauglich sein.
Die Digital Health Conference 2025 hat gezeigt: Wir wissen, was getan werden muss. Die politischen Versprechen sind formuliert, die technologischen Möglichkeiten sind vorhanden. Was jetzt zählt, ist Umsetzungstempo, Pragmatismus und der Mut, digitale Gesundheit nicht länger als Zukunftsprojekt, sondern als Gegenwartspflicht zu behandeln.
Digital Health Conference: Die Zukunft ist digital!
- Termin: Dienstag, 24. November 2026
- Ort: KOSMOS Berlin
- Information: #dhc25 | Digital Health Conference