Zwischen Paragrafen und Patient:innen – Sozialmedizin verständlich

Zum Arbeitsalltag der meisten Ärzt:innen gehört nicht nur die Versorgung ihrer Patient:innen. Regelmäßig müssen sie über Arbeitsunfähigkeit entscheiden oder Befunde für verschiedene Sozialversicherungsträger erstellen. In der Reihe „Zwischen Paragrafen und Patient:innen – Sozialmedizin verständlich“ gewährt Dr. med. Andrea Bratfisch einen Einblick in sozialmedizinische Themen und ordnet diese für die ambulante und klinische Tätigkeit ein. Dafür greift sie auf ihre umfassenden Erfahrungen als Bereichsleiterin im Dezernat Angewandte Sozialmedizin der Abteilung Prävention, Rehabilitation und Sozialmedizin der Deutschen Rentenversicherung Bund zurück.

Arbeitsunfähigkeit: Hintergründe für die tägliche Praxis

Die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit (AU) ist ein zentrales Element in der medizinischen Praxis. Sie dient nicht nur der rechtlichen Absicherung, sondern hat auch tiefgreifende sozialmedizinische Implikationen. Zwei wichtige Aspekte sind dabei der Krankenversicherungsstatus und die berufliche Tätigkeit der oder des Erkrankten. Die Bescheinigung über eine festgestellte Arbeitsunfähigkeit ist vor allem wichtig für den Schutz vor finanziellen Einbußen im Krankheitsfall. Sie gewährleistet die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber oder die Zahlung von Krankengeld durch die Krankenkasse.

Die Arbeitsunfähigkeit muss durch Vertragsärztinnen oder -ärzte sowie im Rahmen des Entlassmanagements durch das Krankenhaus oder eine Rehabilitationseinrichtung festgestellt werden. Dabei erfordert die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit jedoch mehr als eine Diagnose: Sie muss sozialmedizinisch fundiert beurteilt werden.

Bei gesetzlich Krankenversicherten liegt eine Arbeitsunfähigkeit dann vor, wenn aufgrund von Krankheit die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Krankheit ausgeführt werden kann. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn eine Krankheit noch nicht direkt zur Arbeitsunfähigkeit führt, aber absehbar ist, dass die Ausübung der Tätigkeit den Zustand der Patientin oder des Patienten verschlimmern und dadurch zur Arbeitsunfähigkeit führen würde.

Besonderheiten bei Privatversicherten

Die Arbeitsunfähigkeit ist in der privaten Krankenversicherung enger definiert als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Leistungsanspruch auf Krankentagegeld – Lohnersatzleistung – besteht nur, wenn die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit „vorübergehend in keiner Weise“ möglich ist. Ist die erkrankte Person stundenweise belastbar, besteht kein Leistungsanspruch. Außerdem darf die Tätigkeit während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit nicht weiter ausgeübt und auch keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgegangen werden.

Die Berufsanamnese

Die Berufsanamnese umfasst Informationen über die berufliche Tätigkeit und berücksichtigt sowohl physische als auch psychische Belastungen. Jede berufliche Tätigkeit ist mit spezifischen Anforderungen verbunden, sei es körperliche Arbeit oder geistige Tätigkeit mit mentalen Anforderungen. Bei Berufstätigen bezieht sich die Arbeitsunfähigkeit immer auf die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit.

Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit 

Für Arbeitslose ist bei der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeit der „allgemeine Arbeitsmarkt“ als „berufliche Tätigkeit“ anzunehmen. Und zwar in dem zeitlichen Umfang, für den die Patientin ihre oder der Patient seine Arbeitsleistung bei der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt hat. Erfolgt während einer laufenden Arbeitsunfähigkeit eine Kündigung, so bezieht sich die Arbeitsunfähigkeit auf den konkreten Arbeitsplatz zum Zeitpunkt der Kündigung. 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sowohl eine medizinische als auch eine sozialmedizinische Herausforderung darstellt. Neben vielen anderen rechtlichen Aspekten ist die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung des Krankenversicherungsstatus sowie der spezifischen Anforderungen der beruflichen Tätigkeit bzw. einer vorliegenden Arbeitslosigkeit zu beurteilen. Eine differenzierte Betrachtung sowie eine individuelle Beratung zur Rehabilitation oder beruflichen Umorientierung sind wichtig.

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