Mentoring: Starthilfe für den ärztlichen Nachwuchs

In der Wirtschaft und an Universitäten gehören Mentoring-Programme schon seit Jahrzehnten dazu, nun kommen sie auch in der Medizin an. Mittlerweile bieten ein Großteil der Fachgesellschaften und verschiedene Berufsverbände ein eigenes Programm für den ärztlichen Nachwuchs an. Egal, ob man vor einem wichtigen Karriereschritt steht, ein besonderes Forschungsvorhaben umsetzen will oder ein berufliches Netzwerk sucht: Es dürfte für jedes Anliegen ein passendes Match geben.

Netzwerke und Vorbilder

Soll ich oder soll ich nicht? Mich niederlassen, eine Führungsposition anstreben, weiter in die klinische Karriere investieren? Und wenn ja, wie mache ich das? Wo quetsche ich die Familienplanung hinein? All das sind typische Überlegungen, mit denen sich fast jede Medizinerin und jeder Mediziner in der Planung des Berufslebens konfrontiert sieht – spätestens dann, wenn die Facharztprüfung bestanden ist.

Genau zu der Zeit hat auch Dr. med. Jasmin Rudolph angefangen, sich ähnliche Fragen zu stellen. Sie ist Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO) und seit 2022 in einer Praxis in Berlin-Charlottenburg angestellt. Bis zur Facharztprüfung arbeitete die heute 32-Jährige am Universitätsklinikum Leipzig. Wie es danach für sie weitergehen könnte, war Rudolph lange unklar. Nur dass sie nach Berlin ziehen wird, stand fest. Sie fragte sich, ob ihr die Arbeit in einer Praxis Spaß machen könnte und ob sie vielleicht sogar einen Schritt weitergehen und eine eigene Praxis gründen sollte.

Nach der Arbeit in der Klinik fühlt sich der Wechsel in die Niederlassung oft wie ein harter Bruch an. Die Gründung einer ärztlichen Praxis bringt neue Herausforderungen mit sich: Personalführung, Buchhaltung und nicht zuletzt finanzielle Risiken. „Für mich war in dieser Situation ein Vorbild wichtig. Eine Frau, die das geschafft und zudem vielleicht auch Familie hat, damit ich sehe: Ja, das kann funktionieren“, erinnert sich Rudolph. Eine weitere Motivation war, in der neuen Stadt Gleichgesinnte zu finden. „In kleinen chirurgischen Fächern wie der HNO kennt man sich meist untereinander. Ich habe mich für das Mentoring beim Deutschen Ärztinnenbund angemeldet, um Zugang zu einem Netzwerk zu bekommen“, sagt die Ärztin.

Kompetente Unterstützung

Ein Netzwerk und ein Vorbild bei der Planung weiterer Karriereschritte finden – genau das seien gute und typische Wünsche an ein Mentoring, bestätigt Judith Usbeck. Als Projektleiterin für das „Bildungswerk der Wirtschaft“ begleitet sie Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern dabei, Mentoring-Programme auf- und auszubauen. Außerdem engagiert sie sich als Vorstandsmitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Mentoring. Das Schöne am Mentoring sei, „dass es eine sehr niederschwellige Methode ist. Wer über das notwendige Erfahrungswissen oder die Kompetenz verfügt, kann Mentorin oder Mentor werden“. In der Medizin sei es zudem üblich, dass die Begleitung durch Mentor:innen für Mentees kostenfrei ist.

Mentoring-Programme haben sich zunächst im angloamerikanischen Raum etabliert. Daher kommt man um ein paar Anglizismen nicht herum: Mentees sind meist jüngere Menschen, die Rat und Orientierung suchen und sich die Betreuung durch eine Mentorin oder einen Mentor wünschen – in der Regel handelt es sich dabei um erfahrenere Kolleg:innen.

Mentor:innen sind im besten Fall wohlwollende Sparringspartner:innen.

Judith Usbeck,
Vorstandsmitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Mentoring

Nicht zu verwechseln mit Coaching

Oft werden die Begriffe Mentor und Coach synonym gebraucht. Allerdings unterscheidet sich Mentoring stark vom Coaching. Bei Letzterem geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Coaches sind ausgebildete Dienstleister:innen, die für ihre Beratungen ein Honorar verlangen. In der Regel besteht beim Coaching keine Bindung an ein berufliches Netzwerk. Beim Mentoring liegt der Schwerpunkt hingegen auf der beruflichen Entwicklung. „Mentor:innen sind im besten Fall wohlwollende Sparringspartner:innen“, beschreibt Usbeck das Verhältnis im Mentoring-Paar. Mentor:innen engagieren sich in der Regel ehrenamtlich, weil sie ihr Wissen an jüngere Kolleg:innen weitergeben möchten. Sie wollen dem Nachwuchs Mut machen und fühlen sich nicht selten durch den Kontakt mit den nachfolgenden Generationen inspiriert.

Das Zusammenbringen des Mentoring-Paars, das sogenannte „Matching“, übernehmen die Organisator:innen des jeweiligen Mentoring-Programms. Beim Matching liegt auch schon der größte Hebel für ein erfolgreiches Mentoring: Bei der Anmeldung für ein Programm geben zukünftige Mentees ihre Wünsche und Ziele für das Mentoring an. „Je genauer man sich darüber im Klaren ist, wie der weitere Weg aussehen soll, desto besser können die Programmverantwortlichen das Matching gestalten“, sagt Usbeck. Ihre Erfahrung sei, dass es, „wenn diese Zielstellung nicht ausreichend klar ist, ab einem bestimmten Punkt zu viel Frust kommt. Und zwar bei beiden Teilnehmenden.“ Ideal sei es, die Ziele in einem Vertrag festzuhalten.

Wie man Stolpersteine vermeidet

Ein Bestandteil dieses Vertrages sollte der Aspekt der Vertraulichkeit sein. „Alles, was in den Gesprächen stattfindet, muss vertraulich behandelt werden, damit beide Seiten wirklich offen sein und auch sensible Themen besprechen können. Denn nicht selten werden im Mentoring auch persönliche Dinge verhandelt“, so Usbeck.

Was ist aber, wenn die Chemie im Duo so gar nicht stimmt? „Viele merken schon zu Beginn der Zusammenarbeit, ob es passt oder nicht“, beobachtet Usbeck. Deswegen empfiehlt sie den Programm-Organisator:innen, die „Kompatibilität“ früh abzufragen. Stellt man fest, dass es menschlich nicht passt, gibt es noch die Chance auf ein Re-Match.

Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit sind Erfolgsgaranten

„Außerdem empfehle ich, schon beim ersten Treffen zumindest grob festzulegen, wann man sich das nächste Mal trifft und in welchem Rhythmus es weitergehen soll, damit das Tandem am Ball bleibt“, rät die Projektleiterin. Ein Treffen alle vier bis sechs Wochen sei normalerweise eine gute Frequenz. Das kann entweder in Präsenz stattfinden, digital oder telefonisch. „Wichtig ist aber, dass man sich dann wirklich ein bis zwei Stunden Zeit nimmt“, betont sie.

Wir sind keine Stellenvermittlung, auch wenn sich über ein Mentoring manchmal Karrieresprünge ergeben.

Dr. med. Karin Rybak,
Niedergelassene Kardiologin und Gründerin des Mentoring-Programms der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie

Zeitmangel seitens der Mentor:innen, der dazu führt, dass das Mentoring einschläft, sowie fehlgeleitete Erwartungen sind die häufigsten Stolpersteine für Teilnehmende. Letzteres erlebt auch Dr. med. Karin Rybak hin und wieder. Rybak ist niedergelassene Kardiologin in Dessau. Sie hat 2021 das Mentoring-Programm der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ins Leben gerufen und ist selbst als Mentorin aktiv. Hin und wieder habe sie das Gefühl, dass Bewerber:innen für ein Mentoring eigentlich auf der Suche nach einer bestimmten Stelle sind. „Wir sind aber keine Stellenvermittlung, auch wenn sich über ein Mentoring manchmal Karrieresprünge ergeben“, betont Rybak.

Gerade für Frauen kann Mentoring eine große Unterstützung sein

Die Kardiologin erinnert sich noch gut an ihre Ängste als junge Praxisgründerin im Jahr 1995: „Neben dem Finanziellen war es vor allem die Sorge, fachlich abzufallen“. Dieses Thema beschäftige die neue Generation von Ärzt:innen auch heute. „Aber ich versuche den jungen Kolleginnen und Kollegen immer zu vermitteln, dass sie ihre fachliche Qualifikation selbst in der Hand haben. In einer eigenen Praxis haben sie keinen Chef, der sie vielleicht ausbremst oder der sie nicht ausreichend fördert.“ Rybak will für die Niederlassung begeistern. Und vor allem will sie Frauen dazu ermutigen, diesen Schritt zu gehen. „Der weibliche Nachwuchs fehlt uns.“

Tatsächlich sind Ärztinnen bis zu einem gewissen Zeitpunkt ihrer Karriere mit ihren männlichen Kollegen gleichauf – bis der berühmte Karriereknick kommt, meist im Zuge der Familiengründung. Doch auch männlich geprägte Klinikhierarchien bremsen Frauen nach wie vor aus. Die gute Nachricht ist jedoch: Mentoring wirkt, wie eine Evaluation des Mentoring-Programms der Universität Greifswald mit dem Titel „Geschlechtsspezifische Aufstiegsbarrieren für Ärztinnen“ aus dem Jahr 2022 nahelegt. Die Mehrheit der 15 Ärztinnen, die am Mentoring-Programm teilgenommen haben, gab an, Kompetenzen hinzugewonnen zu haben, und würde das Programm weiterempfehlen.

Bei der HNO-Ärztin Jasmin Rudolph passte das vorgeschlagene Match auf Anhieb. Ihre Mentorin ist eine HNO-Kollegin, die seit 20 Jahren eine eigene Praxis führt. „Sie ist ein tolles Vorbild und es war für mich sehr wertvoll, mich mit ihr auszutauschen. Außerdem hatte ich so gleich jemanden, der mich auf Kongressen oder bei Berufsverband-Treffen eingeführt und anderen Leuten vorgestellt hat“, sagt Rudolph. Sie tauscht sich seit fast einem Jahr immer wieder mit ihrer Mentorin aus. Auch bach dem Programm wollen die beiden Frauen in Kontakt bleiben. Das ist der Idealfall, aber er ist nicht selten: Aus einem Mentoring-Programm kann ein jahrelanges Vertrauensverhältnis erwachsen, an dem beide Seiten Freude haben.

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