Digitale Helfer für Patient:innen, Entlastung für Ärzt:innen

Die wohl wichtigste ärztliche Leistung kostet viel Zeit und bringt wenig Honorar: Reden. Den Verlauf erfragen, erklären, motivieren, informieren, ermutigen. An dieser Stelle setzen viele Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) an und können deshalb nicht nur Patient:innen helfen, sondern auch Praxen entlasten.

Digitale Helfer: Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)

Seit Jens Spahn Ende 2019 das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) auf den Weg gebracht hat, können Ärzt:innen ihren Patient:innen DiGA verschreiben, zum Beispiel Handy-Apps, die ihnen helfen, ihre chronische Erkrankung zu managen, die Lebensqualität zu verbessern, Auslöser für Haut- oder Verdauungsprobleme zu finden oder abzunehmen. Doch was können diese Apps, für wen sind sie geeignet und was haben Praxen und Nutzer:innen davon?

Wofür sind Digitale Gesundheitsanwendungen gut?

Apps begleiten kleine und große Veränderungen, liefern Pläne und zeigen realistische Ziele, schaffen einen Überblick über das eigene Verhalten und leiten an, sei es zum Turnen, Atmen oder Kochen. Außerdem bietet das Handy rund um die Uhr Informationen und vergrößert nachweislich die Gesundheitskompetenz der Nutzer:innen. Das wiederum motiviert und verbessert die Compliance.

Die DiGA Kalmeda – eine der ersten deutschen DiGAs überhaupt – wird Menschen mit Tinnitus verordnet. Eine kausale Behandlung ist bei diesem Krankheitsbild meist nicht möglich. Trotzdem lässt sich etwas tun: Die App konnte in einer Studie unter Beweis stellen, dass sich die Tinnitusbelastung deutlich verringern und die Lebensqualität steigern lässt, indem sie das Stresserleben und die Depressionsneigung der Patient:innen reduzierte – mit einer kognitiven Verhaltenstherapie und Audiodateien mit Hintergrundgeräuschen, die vom Tinnitus ablenken.

Die DiGA Kaia Rückenschmerzen etwa oder companion patella für Menschen mit Knieschmerz setzen auf Trainingspläne und Übungsanleitungen sowie Entspannung. Die App zanadio richtet sich an Adipositas-Patient:innen. Sie ist mit über 40.000 verkauften Anwendungen die meistverkaufte DiGA. Andere Apps begleiten Nutzer:innen mit psychischen Problemen wie Angst, Stress, Depression. Aber auch bei Nikotin- oder Alkoholsucht können DiGA unterstützen, ebenso bei Multipler Sklerose (MS), Rückenschmerzen oder Erektionsstörungen.

Wie kommen Apps in das DiGA-Verzeichnis?

Seit seiner Veröffentlichung im Oktober 2020 ist das offizielle DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) deutlich gewachsen: 47 erstattungsfähige Anwendungen hat das BfArM mittlerweile zugelassen, 20 davon sind dauerhaft gelistet. Das heißt, die Kosten für diese Anwendungen müssen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, wenn sie ärztlich verordnet werden. Bei den vorläufig zugelassenen DiGA steht noch eine weitere Anwendungsstudie aus; die dauerhaft gelisteten digitalen Gesundheitsanwendungen haben ihre Wirksamkeit und Sicherheit nicht nur in einer Pilotstudie, sondern in einer größeren Untersuchung belegt. „Wir legen einen hohen Maßstab an, auch wenn unser Fast-Track-Verfahren zügig für eine Zulassung sorgen soll“, sagt Maik Pommer, Pressesprecher des BfArM, das die Apps, die bereits eine CE-Zulassung haben, zusätzlich auf Sicherheit und Wirksamkeit prüft.

„Die Zulassung einer App mit der Zulassung von Medikamenten zu erklären, ist nicht wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen, sondern wie Äpfel mit Brötchen“, so Pommer. Wer eine App als DiGA listen lassen möchte, muss nicht nur mit einer randomisierten kontrollierten Studie nachweisen, dass sie wirksam ist – dass sie also die Krankheitssymptome bessert, die Lebensqualität nachweislich erhöht, die Compliance steigert und dass die vorab bestimmten Endpunkte erreicht werden. Um die Datensicherheit zu gewährleisten, dürfen die Programmierer:innen zudem keine digitalen Bausteine verwenden, die außerhalb Europas hergestellt wurden..

Welche weiteren Anforderungen gelten für die Hersteller?

Die Hersteller müssen in der Regel einen großen Aufwand in Sachen Datenschutz und Datensicherheit betreiben, um den hohen regulatorischen Anforderungen nachzukommen. So müssen DiGA nicht nur mit einer klinischen Studie den medizinischen Nutzen beweisen, sondern auch die Daten von Patient:innen maximal schützen. Dazu benötigen die Hersteller ein Informationssicherheits- und -managementsystem sowie den Nachweis über eine vom TÜV geprüfte ISO 27001-Zertifizierung. Ebenso müssen sie ihr System testweise hacken lassen, um Sicherheitslücken auszuschließen.

Diese hohen Anforderungen unterscheiden DiGA von kostenlosen oder günstigen, aber unkontrollierten Gesundheits-Apps und erklären ihren Preis. Kostenlose Apps bezahlen die Nutzer:innen womöglich unbemerkt mit ihren Daten, denn viele Firmen haben ein kommerzielles Interesse an den jeweiligen Betroffenen und deren Daten: Bei einer Brustkrebs-App können das beispielsweise Pharmaunternehmen sowie Hersteller von Implantaten und Perücken, Produzenten von Nahrungsergänzungsmitteln oder Pflegeprodukten sein. Auch für andere Leistungserbringer und Krankenkassen sind die Nutzerdaten potenziell interessant.

Was kosten DiGA?

Um die Preise der verschiedenen DiGA wird immer wieder gestritten. Die Spanne ist weit und die Kriterien, nach denen der GKV-Spitzenverband den Vergütungsbetrag festlegt, nicht bekannt. Patient:innen merken davon nichts, denn die Kosten der DiGA werden komplett von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen.

Wie werden DiGA verschrieben und abgerechnet?

Die Verordnung einer DiGA ist einfach: Verschreiben kann sie jede Praxis, und zwar budgetneutral. Eine niedergelassene Augenärztin kann eine Depressions-App verschreiben und der Psychotherapeut eine App für Adipositas. Klinikärzt:innen können DiGA im Rahmen des Entlassmanagements verordnen. Dafür müssen drei Angaben auf das Rezept (Muster 16): Der Begriff „DiGA“, die PZN und der Name der DiGA. Den Rest machen die Patient:innen selbst: Sie reichen das Rezept auf die gewohnte Art bei ihrer Krankenkasse ein und erhalten einen Freischaltcode. Dann laden sie die App herunter und können loslegen. Solange die DiGA indikationsgemäß eingesetzt wird, haftet primär der Hersteller, nicht die verordnende Praxis.

Zusätzlich zum Ausstellen des Rezepts können Praxen auch die Verlaufskontrolle abrechnen – bei vorläufig gelisteten DiGA über die Ziffer 86700, bei dauerhaft aufgenommenen über neue Gebühren­ordnungs­positionen (GOP). Die meisten Apps erstellen ein PDF, das den Verlauf zusammenfasst. Dieser Bericht lässt sich in die Praxissoftware integrieren und bietet eine Übersicht über Lebensstilintervention, Symptome, Krisen und Erfolge.

Was ist der Nutzen für die Patient:innen?

Alle Verlaufsdaten können auch privat bleiben. Gerade bei schambehafteten Problemen wie Inkontinenz, Depression, Erektionsstörungen oder Ängsten fällt es vielen Menschen leichter, sich dem eigenen Handy anzuvertrauen als einem noch so einfühlsamen Arzt oder einer Therapeutin. Ganz privat zeigt die App, wie es tatsächlich um die Gewohnheiten steht. DiGA bieten schließlich auch den Nutzer:innen einen Überblick über das, was sie erreicht haben. Ernährungsprotokolle, Schmerztagebücher und Schrittzähler zeigen, ob und wie sich Gewohnheiten ändern. Entspannungsübungen und Trainingsvideos animieren zum Mitmachen, außerdem erinnert der digitale Coach an Medikamenteneinnahme, Arztbesuche und ans Folgerezept.

Der „positive Versorgungseffekt“, den eine App nachweisen muss, kann auf verschiedenen Wegen erbracht werden. Wünschenswert ist ein medizinischer Nutzen wie ein verbesserter HbA1c-Wert, Gewichtsverlust, weniger Schmerzen, verbesserte Beweglichkeit. Damit Hand in Hand geht eine Verbesserung der Lebensqualität. Aber auch sogenannte „patientenrelevante Verfahrens- und Strukturverbesserungen“ qualifizieren eine Anwendung, etwa, wenn Patient:innen ihren Krankheitsverlauf verstehen und besser im Alltag zurechtkommen, oder wenn Betroffene während der Wartezeit für Folgetermine durch die App begleitet werden.

Werden DiGA von Ärzt:innen und Patient:innen angenommen?

Grundsätzlich bewerten sowohl Ärzteverbände als auch Krankenkassen sowie die Nutzer:innen DiGAs positiv. Ihre Einführung ist ein wichtiger Schritt zur Digitalisierung und zur flächendeckenden Versorgung im Gesundheitswesen. Auf dem Markt der digitalen Gesundheitshelfer machen DiGAs bisher allerdings nur einen winzigen Bruchteil aus. Viele Ärzt:innen haben keine Erfahrung mit der Verordnung und auch die Patient:innen entdecken das Thema erst langsam für sich.

Da DiGA aus Datenschutzgründen ihre Nutzer:innen nicht vernetzen dürfen, bilden sich auf Social Media Plattformen Gruppen, die sich ähnlich Selbsthilfegruppen unterstützen. Ein Zusatznutzen, der die Compliance fördert und Praxen entlasten kann. Doch da ist viel Luft nach oben: Eine Studie aus dem letzten Jahr trägt den treffenden Titel: „There's an app for that, but nobody's using it“. Darin kommen die Autor:innen zu dem Schluss, dass Ärzt:innen das größte Potenzial haben, DiGAs bekannt zu machen und ihre Nutzung zu fördern.

Langfristig könnten die Apps nicht nur die Gesundheit der einzelnen Anwender:innen verbessern; die Verlaufsdaten, die als PDF-Dateien ausgegeben werden, können außerdem helfen, die Versorgung zu verbessern, indem sie Erfolge, Hürden und Bedarfe zeigen. Letztlich trägt die App-Nutzung dazu bei, die Gesundheitskompetenz zu verbessern, da sich die Menschen in ihrem Alltag leitliniengerecht mit ihrer Diagnose beschäftigen.

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